FRAUEN Tarzan verjagt
Der höchste Berg der Welt«, meldete »Bild am Sonntag«, »gehört nicht mehr allein den Männern.« »Dieser Gipfelsieg«, so kommentierte die »Süddeutsche Zeitung«, »paßt wunderbar in unsere Emanzipationslandschaft.«
Die Japanerin Junko Tabei, 35, hatte geschafft, was bisher erst 35 Männern gelungen war: Sie erklomm die Südflanke und stand am Freitag vor Pfingsten, mittags um halb eins, auf dem 8848 Meter hohen Gipfel des Mount Everest. Schon eine Woche später wiederholte die Tibeterin Phanthong -- diesmal über die Nordflanke
den Frauen-Triumph. Die Nordroute war lange Zeit als kaum begehbar angesehen worden.
Noch 1910 hatte der Arzt Leopold Steinsberg in seinem Buch »Hygiene des Sports« die Frauen eindringlich vor der Hochtouristik gewarnt. Im Alpenland Schweiz waren Frauen nicht in die Bergsteiger-Clubs aufgenommen worden, bis sie 1917 -- nach britischem Vorbild ihren eigenen Verein gründeten.
Seither ist den Alpinistinnen kein Grat und kein Sattel mehr zu hoch. In den letzten Jahren brachen immer mehr Frauen-Expeditionen zum Sturm auf die Gipfel auf. Im August vergangenen Jahres war es dabei auf dem Peak Lenin, dem dritthöchsten Berg der UdSSR, zu »einer der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte des Alpinismus« ("Time") gekommen: »Lebt wohl. Wir sterben«. lautete der letzte Funkspruch einer russischen Frauen-Seilschaft« die während des Abstiegs in einen Schneesturm geraten war. Alle acht Bergsteigerinnen bezahlten ihre Passion mit ihrem Leben.
Frauen seien zwar nicht so stark wie Männer, hatte die 1,52 Meter kleine Mount-Everest-Bezwingerin Junko Tabei vor Journalisten in Katmandu gesagt, »aber wir können den Berg ja auch langsam erklimmen«. Dieser Satz von ihr ging um die Welt, und er deckt sich ziemlich genau mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die physische Leistungsfähigkeit der Frauen.
»Die überwältigende Überlegenheit von männlicher Kraft und Ausdauer«, erkannte der amerikanische Arzt Dr. Jack Wilmore von der Universität von Kalifornien, »ist wohl eher künstlich hervorgerufen worden« als durch die tatsächlich bestehenden biologischen Unterschiede zu rechtfertigen. Körperlich unterlegen seien Menschen, die ihre Kräfte nicht entwickeln und trainieren -- also, über Jahrhunderte hinweg, die Frauen.
Erst seit sie beim Leistungssport mitmischen dürfen, holen sie Zehntelsekunde um Zehntelsekunde auf. Der Weltrekord von Frauen auf der 100-Meter-Strecke wurde innerhalb von 40 Jahren um 0,9 Sekunden verbessert, der von Männern nur um 0,3 Sekunden. Bei den Olympischen Spielen 1924 war die männliche Siegerzeit im 400-Meter-Freistilschwimmen um 19,1 Prozent besser als die weibliche -- 1972 in München schrumpfte der Vorsprung auf 7,8 Prozent.
Schwimmstars von heute wie Kornelia Ender und Shirley Babaschoff, jubelte das feministische US-Magazin »Ms«, »hätten Tarzan zurück auf die Bäume gejagt. Gegen Kornelia Ender würde Johnny Weissmuller mit seinem Rekord von 1923 um eine ganze Bahnlänge zurückbleiben. Wissenschaftler wie Dr. Jerry Mogel vom Queens College in New York halten es für möglich, daß eines Tages die schnellste Läuferin der Welt von keinem Mann mehr überflügelt werden kann -- zumindest nicht auf langen Strecken, wo es »auf reine Muskelkraft weniger ankommt«.
Tests haben gezeigt, daß Mädchen bis zu zwölf Jahren genauso stark, wenn nicht stärker, und genauso reaktionsschnell sind wie gleichaltrige Jungen. Dann setzen jedoch die Jungen Muskeln an -- und die Mädchen Fett. Junge Männer haben etwa 15 Prozent Körperfett (Frauen 25 Prozent), doppelt soviel Muskelmasse und schneiden bei Kraftübungen zwei- bis viermal besser ab als das »schwache Geschlecht«.
Ausgelöst wird diese Veränderung im Körper des Mannes durch ein männliches Hormon, Androgen, das Gewichtheber gelegentlich als Bestandteil von Anabolika (unerlaubt) schlucken, um ihre gewaltigen Bizepse noch mehr anschwellen zu lassen, und das Landwirte (erlaubt) an ihre Ochsen verfüttern, um sie fleischiger zu machen.
Bei den Sprint-Wettbewerben wirkt das weibliche Körperfett wie eine zusätzliche Last, als ob Rennpferde mit Gewichtszulagen an den Start gingen, obgleich Spitzensportlerinnen es auf weniger als zehn Prozent herunterdrücken können. Im Wasser schützt es jedoch vor Kälte und sorgt für größeren Auftrieb: Die Amerikanerin Lynn Cox hält den absoluten Rekord im Kanalschwimmen.
Eine »Legende« nennt »Ms« die immer noch verbreitete Ansicht. Menstruation und Mutterschaft würden die Leistungsfähigkeit der Frauen beeinträchtigen. Das Magazin berichtete von einer Amerikanerin, die »auf dem Höhepunkt ihrer Periode« Weltrekord geschwommen sei, und verweist auf die Olympischen Spiele 1964 in Tokio: »Zehn der sowjetischen Medaillen-Gewinnerinnen waren schwanger.«
Durchtrainiert kann eine Langstreckenläuferin bis zu 25 Prozent mehr Sauerstoff aufnehmen als ein untrainierter Mann. »Frauen sind wie Babys behandelt worden«, sagt Dr. Frank Katch, Trainer am New Yorker Queens College, es werde innerhalb der nächsten fünf Jahre »eine Revolution geben auf dem Sektor, was Frauen alles können
Frauen spielen Fußball und Eishockey, starten beim Marathon-Lauf und von Ski-Sprungschanzen, nehmen an Rad- und Autorennen teil, treten als Ringrichterin und als Stierkämpferin auf. Zwei farbige Frauen aus New York, Jacqueline Tonawanda und Marian Tyger, baten kürzlich die Boxkommission um eine Lizenz: Sie wollen gegeneinander faustkämpfen.
»Die sollen doch am Kochtopf bleiben«, erregte sich Fritz Gretzschel, bundesdeutscher Berufs-Boxpromoter. »Im Boxring haben Frauen nichts verloren«, befand auch Ex-Weltmeister Max Schmeling. Und der Hamburger Box-Arzt Dr. Paul Schmidt meinte: »Wir können nur auf die Eitelkeit der Frauen hoffen -- oder wollen sie die totale Emanzipation mit aufgeschlagenen Augenbrauen und Boxernasen bezahlen?«