Wien-»Tatort« über Obdachlose Der Stolz der Straße

Wiener »Tatort«-Kommissare Eisner (Harald Krassnitzer), Fellner (Adele Neuhauser) mit Tina (Maya Unger): Ohne Deal geht gar nichts
Foto: Philipp Brozsek / ARDDieser »Tatort« spielt auf der Straße, er handelt von Menschen, die alles verloren haben. Alles – außer ihrer Handlungsfähigkeit. Denn zwischen Säuferkaschemme und Nachtasyl zeigen die Obdachlosen von Wien in dieser Folge mit dem Titel »Unten« einen erstaunlich wetterfesten Aktionismus.
Der eine hat unter einer Autobahnbrücke einen alten Wohnwagen stehen, in dem er Crystal Meth herstellt. Fliegt irgendwann in die Luft, »Breaking Bad« lässt grüßen. Der andere hat sich ein kleines Business aufgebaut, bei dem er die Hunde von alten Damen mitgehen lässt, um sie dann gegen Finderlohn zurückzubringen. Wie er im Checkertonfall dem Ermittler zuraunt: »Dognapping, verstehste?«
Ein dritter Obdachloser recherchiert manisch an einer Geschichte, in deren Zentrum eine Krankenhaus-Kette mit dem Namen Senthamed steht. Der Mann war früher Reporter, flog dann aber bei seiner Zeitung raus, weil er über ein Bankhaus geschrieben hatte, das zugleich bester Anzeigenkunde dieser Zeitung war. Ist er ein ehrenwerter Einzelkämpfer? Oder doch nur ein Irrer mit Wahnvorstellungen?

Harald Krassnitzer in der »Tatort«-Folge »Unten«: Leichenfund in einem Abrisshaus
Foto: Philipp Brozsek / ARDEher Letzteres, glauben Fellner (Adele Neuhauser) und Eisner (Harald Krassnitzer), die mit der Geschichte des Ex-Journalisten konfrontiert werden, nachdem man seine Leiche in einem Abrisshaus gefunden hat. Als sie im Spind des Opfers wühlen, den dieser in einer Notunterkunft hatte, fallen ihnen einschlägige Bücher und Zeitschriften entgegen. Eisner mault: »Verschwörungstheoretischer Scheißdreck!« Gleichzeitig hat der Mann vor seinem Tod Informationen zusammengetragen, die durchaus prüfenswert erscheinen. Hat der Gesundheitskonzern Senthamed, der ausschließlich private Kliniken betreibt, tatsächlich Dreck am Stecken?
Gut, wie die Schöpfer dieses »Tatort« (Buch: Thomas Christian Eichtinger, Samuel R. Schultschik) den Zauseln, Habenichtsen und Säufern eigene Subplots zugestehen. Die Figuren werden nicht als Bittsteller in Szene gesetzt, die um Almosen betteln und diese mit leuchtenden Augen entgegennehmen, um dem Publikum kurz ein warmes Gefühl zu bereiten. Wenn sie an die Polizei Informationen abdrücken, dann nur in Form eines souveränen Geschäfts, auch wenn dabei nur eine heiße Tasse Schokolade herauskommt.
Überleben als Frage des richtigen Deals
Die Obdachlosen bleiben Akteure, das ist wichtig, denn die Geschäftigkeit der verarmten Figuren steht hier für eine Art Restwürde: Ich handle, also bin ich. Street-Smartness nennt man das wohl. Wenn es so etwas wie den Stolz der Straße gibt, könnte er so aussehen.

Kommissar-Karussell: Alle »Tatort«-Teams im Überblick
Dieser »Tatort« ist also trotz seiner Programmierung vor den Feiertagen und trotz seines anrührenden Themas – es geht auch um eine junge Mutter, die mit ihrem Sohn Unterschlupf sucht – nicht das Weihnachtsfilmchen mit reinigender Wirkung und märchenhaftem Ausgang. Überleben ist hier eine Frage des richtigen Deals.
Angriff der Motorradschläger
Leider blasen die Filmemacher (Regie: Daniel Prochaska) ihr Trickser-und-Trinker-Tableau dann irgendwann zum allzu plakativen Verschwörungsthriller auf. Man neigt zurzeit beim Wiener »Tatort« dazu, den Themenkrimi mit Action-Besteck und Paranoia-Plot aufzupeppen. Das war auch schon jüngst bei dem Homöopathie-Krimi mit Fellner und Eisner so, wo die Kritik an der Globuli-Industrie zum Teil im Gewand eines Mafiaschockers daherkam.
In der neuen Folge nun rücken maskierte Motorradschläger den Obdachlosen auf die Pelle, während sich die feinen Herrschaften rund um den verdächtigen Gesundheitskonzern Senthamed zu Benefizveranstaltungen treffen, auf denen Spenden gesammelt werden für die Obdachlosen. Unten und Oben werden in diesem »Tatort« so manipulativ gegeneinander geschnitten, dass man am Ende nicht überrascht sein dürfte, wenn sich die Verschwörungstheorien über die Senthamed-Schnösel vom ermordeten Ex-Reporter bewahrheiten.
Bewertung: 6 von 10 Punkten
»Tatort: Unten«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste