FORSCHUNG BEWÄSSERUNG Tau in der Tiefe
»Wir führen Krieg«, sagte Israels Levi Eschkol, als noch die Waffen schwiegen. Und er nannte den Feind, dem Israel in Friedenszeiten Meter um Meter abringt, bei Namen: »Gegen die Wüste.«
Mehr als die Hälfte des israelischen Bodens ist noch immer ungenutzt. Aber kaum ein anderes Volk hat soviel Energie und Ingenieurstalent darauf verwendet wie Israel, der steten Bedrohung -- Wassermangel -- Herr zu werden.
Der jüngste Triumph israelischer Bewässerungsfachleute wurde im angesehensten Wissenschaftsjournal Amerikas verkündet. Auf Versuchsfeldern in der Negev-Wüste, so meldete der »Scientific American«, ist erstmals gelungen, was dereinst riesige Ödlandstriche mit geringem Kostenaufwand zum Erblühen bringen könnte -- die Bewässerung von Nutzpflanzen mit salzhaltigem Meerwasser.
Als unumstößlich galt vordem der Grundsatz, Salzwasser töte jeglichen Nutzpflanzenwuchs. Der israelische Agronom Hugo Boyko, 75, ehemaliger Berater des Landwirtschaftsministeriums in Tel Aviv, widerlegte das vermeintliche Naturgesetz. Auf einem Versuchsgut nahe dem Golf von Akaba, in seinem zweieinhalb Hektar großen »Wüstengarten von Eilat«, zog der Forscher 180 Arten von Nutzpflanzen heran, die Salzwasser vertragen.
Als Boyko vor 18 Jahren mit Samentüten und Spaten in die Wüste zog, fand er nahe dem Küstenflecken Eilat kahle Wüstenhügel. Heißer Wind fegte über den Boden aus Geröll, Grobsand und trockenem Lehm. Nun blühen an derselben Stelle Akazien und Granatapfelbäume, gedeihen in der Negev-Wüste Melonen, Zuckerrüben und Tomaten.
Solch paradiesisches Wachstum, meint Boyko, könne überall in der Welt den küstennahen Sandwüsten entlockt werden -- insgesamt einer Fläche doppelt so groß wie die USA.
Seit Jahren suchen Techniker in allen Ländern nach geeigneten Verfah-
* Links: 1949, vor Beginn der Salzwasser-Bewässerung; rechts: dieselbe Stelle 1966.
ren, die bedrohlich schrumpfenden Süßwasser-Reserven der Erde zu ergänzen. Allein in den Vereinigten Staaten wurde mehr als eine Milliarde Mark für dieses Forschungsvorhaben bereitgestellt. Hauptzielrichtung der Techniker: Entsalzung von Meerwasser, womöglich mit Hilfe von Atomkraft. Eine Anlage dieser Art ist auch in Israel geplant; in etwa fünf Jahren soll sie betriebsbereit sein.
Doch im Land zwischen dem Roten und dem Toten Meer ist das Wasserproblem so dringlich, daß sich die Techniker nicht mit der Aussicht auf Entsalzungsanlagen begnügen können. Rund 90 Prozent aller natürlichen Süßwasservorkommen Israels sind -- teils mit Bohrungen bis in mehr als 1000 Meter Tiefe -- bereits angezapft. Rapide steigt der Wasserbedarf der aufstrebenden Industrie des jungen Staates. Und es bedürfte gegenwärtig der doppelten Wassermenge, um die gesamte theoretisch nutzbare Bodenfläche Israels zu bewässern.
So erteilte die israelische Regierung dem Salzwassergärtner Boyko -- und seiner gleichfalls fachgeschulten Ehefrau Elisabeth -- schon 1949 den Auftrag, seine Theorien auf Testpflanzungen in der Negev-Wüste zu erproben.
Boyko wählte mit Bedacht eine Bodenart, die nach herkömmlichen Ackerbau-Leitsätzen als besonders dürftig gilt -- sandiges Gestein.
Namentlich zwei im Meerwasser enthaltene Substanzen sind für Landpflanzen schädlich: Magnesium- und Natriumchlorid (Kochsalz). Doch gerade in porösem Sandboden neigen diese leichtlöslichen Salze dazu, mit dem Bewässerungswasser rasch in tiefere Schichten abzusinken, ohne daß sie -- wie beispielsweise in Lehm- oder Humusboden -- lange an den Pflanzenwurzeln haften.
So rasch, fand Boyko, rinnt das Salzwasser durch den Sandboden, daß sich ein Effekt einstellt, der das haarfeine Wurzelgeflecht der Pflanzen gegen die tödliche Überfütterung mit Salz schützt. Nur ein Teil der Haarwurzeln wird von dem Salzwasser benetzt, ein anderer Teil bleibt mit der zwischen den Sandkörnchen gespeicherten Luft in Berührung. Und diese Sauerstoffzufuhr macht es den Pflanzenwurzeln möglich, zwischen erwünschten Nährsalzen und unerwünschtem Natrium- oder Magnesium-Salz zu wählen.
Daß salzwassergetränkte Pflanzen gleichwohl salzfreies Wasser saugen können, macht -- wie Boyko herausfand -- gerade das kontrastreiche Wüstenklima möglich: Die winzigen Lufteinschlüsse im Sandboden enthalten (salzfreie) Luftfeuchtigkeit; sie kondensiert sich auf den haarfeinen Pflanzenwurzeln, wenn dem glühendheißen Wüstentag die sternklare, kalte Nacht folgt. Boyko nennt dieses Phänomen, mit einem Anflug von Wüsten-Lyrik, »Tau in der Tiefe«.
Gerüstet mit hochempfindlichen Mikroskopen, entdeckte Salzwasser-Pionier Boyko auf dem Geflecht der Haarwurzeln noch einen anderen Effekt des salzigen Nährstromes: das »Viskositäts-Prinzip«. Da das Salzwasser, das sich in hauchfeiner Schicht von einem millionstel Millimeter Dicke auf den Wurzeln ablagert, sich weniger zähflüssig (viskos) verhält als salzfreies Wasser, reißt der kaum meßbare Wasserfilm verschiedentlich auf. Die Folge: Es kann Luft, die mit Wasserdampf gesättigt ist, um die Wurzeln streichen. Auch dieses Naß können die Pflanzen gefahrlos aufsaugen.
Die naheliegende Gefahr schließlich, daß seine Gärten in der Wüste nach längerer Bewässerungszeit am Ende doch versalzen könnten, weiß Agronom Boyko mit züchterischen Tricks zu umgehen. Dem Salzwasser-Experten gelang der Nachweis, daß mit bestimmten Pflanzen eine »biologische Entsalzung« der Plantagen möglich ist.
So pflanzte Boyko beispielsweise eine Binsenart, die sich zur Herstellung edler Papiersorten eignet und die zugleich die Fähigkeit besitzt, in den grünen Teilen der Halme und Blätter das unerwünschte Salz zu speichern.
Nach zweimaliger Ernte auf dieser Erholungspflanzung hatte Boyko dem Gartenboden einen Teil des vorher angesammelten Salzgehalts wieder entzogen -- das Salz ging in die Binsen.
Boyko experimentierte in der Negev-Wüste mit vergleichsweise wenig salzhaltigem Quellwasser (0,2 bis 0,6 Prozent Salzgehalt), das über eine 40 Kilometer lange Pipeline zu seiner Versuchspflanzung herangeführt wird.
Aber der israelische Experte ließ sich zu Testzwecken auch aus verschiedenen Weltmeeren Wasserproben liefern. Und von zehn bisher untersuchten Pflanzenarten überlebten jedenfalls schon vier auch das Berieseln mit dem beträchtlich salzreicheren Ozeanwasser (Salzgehalt: mehr als drei Prozent).
Zu den derart salzrobusten Arten -- die mithin auch auf afrikanischen und asiatischen Ödflächen gedeihen könnten -- zählt auch ein Dünengras (Agropyrum junceum).
Dieses Gras, meint Boyko, müßte sich mit ertragreichen Getreidesorten kreuzen lassen -- zur Verwirklichung eines biblischen Menschheitstraumes: Weizen in der Wüste.