DDR Tauben-Sperre
Noch im Sommer werden bundesdeutsche Kinogänger einen gefeierten Film aus einem Land des »sozialistischen Lagers« sehen, den die Lichtspielbesucher im »Arbeiter- und Bauernstaat« DDR nicht zu Gesicht bekommen sollen: Der tschechoslowakische Spielfilm »Die weiße Taube«, der in poetischer Bildsprache eine Geschichte von der Genesung eines kranken Kindes erzählt, darf in der Deutschen Demokratischen Republik nicht aufgeführt werden, weil er nach Meinung der SED -Filmgenossen der notwendigen »sozialistischen Parteilichkeit« entbehrt:
An diesem Verdikt vermochte auch die Tatsache nichts zu ändern, daß der Kameramann Jan Curik bei der vorjährigen Biennale in Venedig für seine Arbeit an eben diesem Film des Regisseurs Frantisek Vlácil von den Kritikern mit ungewöhnlichem Lob für die kunstvolle Photographie bedacht wurde.
Allerdings, die um arteigene Parteilichkeit bemühten Türsteher des Ostberliner Sozialismus weckten mit ihrer
Maßnahme den Unmut anderer SED -Kulturwächter. Die SED-Presse nahm die Entscheidung zum Anlaß, gegen die fade ideologische Film-Einheitskost zu protestieren, die in anderen Ländern des Ostblocks längst nicht mehr gereicht wird.
Zum Wortführer der Unzufriedenen machte sich die Redaktion des FDJ -Studentenblatts »forum«, die den Filmfunktionären mit gebotener Deutlichkeit zu verstehen gab, daß »große Teile des Publikums der belehrenden Bebilderung wohlkonstruierter Geschichten überdrüssig« seien.
Nicht etwa das Fernsehen, so räsonierte »forum«, sei schuld daran, daß der Filmbesuch (pro Kopf) der DDRBevölkerung von 18 Vorstellungen (1958) auf 13,5 (1960) zurückgegangen sei. Das Desinteresse des Publikums liege vielmehr in der schlechten Qualität des Filmangebots begründet: in »der keimfreien Anständigkeit des Mittelmaßes«. Ein Fünftel aller angebotenen Filme stammt von der Staatsgesellschaft Defa »forum": Planerfüllung »nach Metern"), vier Fünftel werden importiert.
Da bei der SED beaufsichtigten Auswahl bislang vorwiegend ideologische, kaum aber künstlerische Maximen den
Ausschlag gaben, kommen nicht einmal alle bemerkenswerten Filme aus den volksdemokratischen Nachbarländern in die DDR-Kinos. Nur Filme der sowjetischen Neuen Welle, wie »Ballade vom Soldaten«, haben eine Chance, auch DDRBürgern vorgeführt zu werden. Klagt »forum": »Formale Außergewöhnlichkeit ... wird vorerst nur mit näselnder Versöhnlichkeit geduldet, wenn sie aus der Sowjetunion kommt ...«
Angesichts der parteigeförderten Defa -Produktion wird freilich deutlich, weshalb
die DDR-Importeure keinen Wert auf formal von der Einheitsnorm abweichende Filme aus anderen sozialistischen Bruderländern legen: Dem Publikum müßte dann der Qualitätsunterschied nur noch quälender bewußt werden.
Bislang nämlich haben sich die volkseigenen Belichter aus Babelsberg nicht dazu verstehen mögen, auch nur andeutungsweise die neuen Stilmittel zu verwenden, mit denen die Filmproduktion anderer Ostblockländer unterdessen den Stumpfsinn der Parteiballaden zu überwinden sucht. Nach wie vor liefert die Defa photographiertes Parteiprogramm.
Daß die Prinzipientreue der DDR -Staatsfilmer allerdings nicht nur übermäßiger Linientreue, sondern mindestens ebensosehr künstlerischem Unver- mögen entspringt, macht ein Umstand deutlich, der den erbosten, freilich immer noch auf Besserung hoffenden Jugendfreunden in der »forum«-Redaktion bisher offenbar entgangen ist:
Des Babelsberger Einheits - Strickmusters überdrüssig, hat sich Defa-Regisseur Gerhard Klein für seinen Polenkrieg-Film »Der Fall Gleiwitz« einen ausländischen Mitarbeiter verschrieben. Um den chronischen, Phantasiemangel heimischer - Kinematographen wettzumachen, engagierte Spielleiter Klein eben jenen tschechischen Kameramann Jan
Curik, dessen Film »Die weiße Taube« kurz zuvor in Ostberlin wegen formalistischer Abweichung vom Film-Ideal der SED abgelehnt worden war.
CSSR-Film »Die weiße Taube": In Pankow unerwünscht
Vlácil