FERNSEHEN / Telemann TERRORAMA
Lokstedt?« fragte der Taxichauffeur, während er mich im Rückspiegel musterte und seine »Bild« Zeitung so faltete, daß mir die Schlagzeilen ins Auge sprangen: »FERNSEH-TERROR!« - »PANORAMA - GESCHÄFT FÜR ULBRICHT!« - »BILD-LESER VERBITTERT WIE NIE!«
Ich las und verstand. Wie konnte der Brave auch wissen, was Telemann, einen dem Scheine nach harmlosen Mitbürger, zu jenem verrufenen Viertel im Nordwesten Hamburgs trieb!
In den Fond zurückgelehnt, überdachte ich noch einmal das Ärgernis der letzten Wochen, das da war: Die »Panorama«-Sendung vom 11. Februar (Erstes Programm), in der Gert von Paczensky - jedem redlich Fühlenden nur noch als »der Spitzbart« geläufig - von »Bild« behauptet hatte, es schreie Passanten an, übe »humanitäre Betriebsamkeit, die dem Geschäft dient«, treibe »sentimentalen Mißbrauch« mit unserem Patriotismus, vermittle »Demagogie statt Information« und was der haltlosen Anwürfe mehr waren.
Und ich dachte an das Gewissensduell, das da gewütet hatte zwischen Telemann, dem Fernsehfreund, und Telemann, dem »Bild« Leser. Zu welcher Partei sollte er sich schlagen?
Kein Zweifel, auf der »Bild«-Seite kämpften und kämpfen starke Bataillone: dreieinhalb Millionen Groschenblatt-Käufer, beflügelt vom Groll gegen das »schlechte Programm«; befehligt vom hübschesten Chefredakteur des deutschen Sprachraums; befeuert vom Fistelstimmwunder Lou van Burg ("Deine Antwort auf Panorama war wunderbar"); unter dem artilleristischen Schutz von Presse-Organen, die nicht dulden wollen, daß »Radikalinskis im Fernsehen ... unbequeme Zeitungen fertigmachen« ("Nürnberger Zeitung").
Aber der Feind - im strategischen Sprachgebrauch »die Intellektuellen«, »Links-Intellektuelle«, »Links-Clique«, »Heimatlose Linke«, »Non-Konformisten«, »Kryptomarxisten« oder kurz »Gruppe 47« genannt - streitet auf eine viel gefährlichere Weise: Er sitzt, wie die »Katholische Nachrichten-Agentur« zu berichten weiß, »an den Schalthebeln der Personalpolitik und der Programmgestaltung« und ist »viel zu klug«, sich »durch ein Parteibuch oder einen Taufschein vordergründig zu exponieren«.
Angesichts dieses Kraft-Mißverhältnisses hatte ich den »Augstein in uns selbst« ("Christ und Welt") niedergerungen und beschlossen, das Hauptquartier der TV-Terroristen im Handstreich zu besichtigen.
Ich ließ das Taxi warten und betrat wagekühn das Lokstedter Studio.
Richtig, da wallte, Schwefeldämpfen ähnlich, ein Ruch von jenem geistigen Hochmut, der unlängst einen 73jährigen »Bild«-Leser so bitter gekränkt hatte. Da schlotterten Gestalten, hängeschultrig und schmalbrüstig, aus deren Brillengläsern der nackte Intellekt funkelte. Da lungerten heimatlos und hämisch der Günter Graß, der Uwe Johnson und der Martin Walser herum; hetzten, wühlten, schoben einander Abteilungsleiter-Pöstchen und staatsgefährdende Schriften zu.
Nur Gert von Paczensky, der »kinnbärtige Fernseh-Mephisto« ("Christ und Welt"), war bereits durch eine Hintertür nach Oberhausen entwischt, um sich - wie seine Vorzimmerdame, die einem lyrischen Mitglied der »Gruppe 47« namens Ilse Aichinger verdächtig ähnelte, mir weismachen wollte - »Kurzfilme« anzusehen.
»Demokratie heißt Volksherrschaft«, rekapitulierte ich »Bild« vom 12. Februar. »Und bei 'Bild' herrscht das Volk.« Gewiß. Aber beim Norddeutschen Rundfunk - im »Bild«-Leser-Mund schlicht »das Fernsehen« geheißen - herrscht, gemäß Staatsvertrag, der Intendant Gerhard Schröder.
Also fuhr ich zum NDR-Funkhaus in der Rothenbaumchaussee, vorbei an der gläsernen Pförtnerkabine, wo Hans Werner Richter, Boß der Verschwörergruppe, augenflink die Ein- und Ausgänge kontrollierte, und drang zum Herrn der Anstalt vor.
»Ich appelliere«, sagte ich mit Emphase, »nicht an den Intendanten, vielmehr an den 'Bild'-Leser Gerhard Schröder: Was halten Sie von Paczensky?«
Doch ehe Schröder den Mund auftun und »Bild« in Schutz nehmen konnte, erschien eine »Sekretärin« (in Wahrheit natürlich die »Siebenundvierziger«-Dichterin Ingeborg Bachmann!) und reichte ihm, sehr bestimmt, einen Zettel. »Nun?« drängte Ich.
Und der Intendant des NDR - bleich, verängstigt - las das Papier, zerknüllte es und formte resignierend die Worte: »Paczensky stellt Fragen zu einem Zeitpunkt, wo andere Leute sie noch für unanständig halten. Oft sind diese Fragen berechtigt.«
Auch er, Oberhaupt einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und eingeschriebenes Mitglied einer angesehenen Volkspartei (SPD), fest in Non-Konformisten-Hand!
So wissen wir denn endlich, »Bild«-Freunde in Stadt und Land, was allein uns vor lästigem Wahrheitsstreben zu schützen vermag: eine Original-Axel-Cäsar-Springer -Television!
Merke: »Willst du dem Feind zu Leibe geh'n, ins Feindeslager mußt du späh'n!« (Anastasius Grün.)