ZAHNÄRZTE Teures Geschenk
Zufrieden wie kaum ein anderer Berufsstand begingen Westdeutschlands Kassenzahnärzte den Jahreswechsel: Sie konnten, trotz des Krisen-Winters, hoffnungsfroh in die Zukunft blicken.
Denn rechtzeitig zum Christfest hatten die sozialen Krankenkassen den 27 000 frei praktizierenden Zahnheilkundlern für das kommende Jahr einen Zuschlag von 31 Prozent auf die Gesamthonorarsumme beschert -- das entspricht nach Experten-Berechnungen einer Mehrbelastung von 1,7 Miliarden Mark für die Krankenkassen.
Diesen Preis wollen die Orts-, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen auf Kosten ihrer Mitglieder freiwillig zahlen, damit sich die Zahnärzte endlich einem höchstrichterlichen Schiedsspruch beugen: Er befiehlt ihnen, mit den Krankenkassen umfassende Prothetik-Verträge abzuschließen -- so. wie es die Reichsversicherungsordnung (RVO) seit Jahrzehnten vorschreibt.
Schon im Januar 1974 hatte das Bundessozialgericht nach elfjährigem Rechtsstreit entschieden, daß auch der Einbau von Zahnprothesen, festsitzen -- den Brücken oder Kronen eine RVO"Regelleistung« sei, die mithin von den Kassenzahnärzten zu festen Kassenpreisen erbracht werden müsse. Damit war es den Zahnärzten untersagt, Gebißpreise nach eigenem Ermessen festzusetzen und Kassenpatienten bis zum Sechsfachen der amtlichen Gebührenordnung abzuverlangen.
Auch den rechten Weg zum Vertragsabschluß hatten die Sozialrichter klar gewiesen: Die Kostenregelung, so formulierten sie, müsse in erster Linie »Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage der Krankenkassen« nehmen -- -- und die ist nach jüngsten Berechnungen angespannt.
Dennoch fehlte den Spitzenverbänden der Krankenkassen zum harten Kampf mit der Dental-Zunft auch diesmal wieder die Kraft. Zwar wurde ihnen sogar aus den Reihen der Zahnärzte Zuspruch zuteil -- »angesichts des unglaublichen Wuchers, der mit der Einfügung von Zahnersatz getrieben« werde, so forderte etwa der Gießener Professor Albert Keil, müsse der »Ausbeutung der Versicherten« ein Ende bereitet werden.
Aber heim Preis-Poker mit den Zahnärztefunktionären unterlagen die Kassen: Sie gestanden den um ihre Pfründe zeternden Zahnmedizinern -- Durchschnitts-Bruttoeinkommen (nach Abzug der Praxisunkosten) 1974: 180 000 Mark -- nicht nur einen »Verlustausgleich« für die Dreingabe der ohnehin angemaßten Liquidationsfreiheit zu, sondern außerdem noch einen Zuschlag fürs Zähneziehen, Bohren und Löcherfüllen.
Direkte Preisverhandlungen mit den selbständigen Zahntechnikern, die im Auftrag der Zahnärzte 85 Prozent aller Gebißprothesen herstellen, mochten die Kassen gar nicht erst führen. Vergebens hatte das Bundesarbeitsministerium dazu geraten, nachdem die Zahntechniker in einer Eingabe nachgewiesen hatten, daß auf dem Abrechnungsweg über die Zahnarztpraxen »den Krankenkassen höhere Kosten entstehen, als dies ... notwendig wäre«.
Vielmehr ließen sieh die Kassen von den Zahn-Doktoren belehren, daß die nichtakademischen Zahntechniker lediglich niedere »Erfüllungsgehilfen« seien -- erst durch Zahnarzt-Hand erhalte das »Werkstück toten Materials« seine »gesundheitliche Funktion«, so erläuterte der Aachener Zahnärztefunktionär Dr. Gisbert Wernery.
Die Kassen waren nicht einmal bereit, die Zahnarzt-Gehilfen wenigstens an den Preisverhandlungen mit den Zahnärzten zu beteiligen, wie es eine von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigen-Kommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung dringend empfohlen hatte. Statt vor dem Vertragsabschluß wollen die Kassen nun im nachhinein auf die Prothesen-Preise achten.
Sie lesen aus dem Rahmenvertrag mit den Zahnärzten das Recht heraus. fortan die »Wirtschaftlichkeit beim Zahnersatz« durch Gutachter nachprüfen zu lassen -- doch die Lesart ihrer Vertragspartner lautet anders: Der »Ausschluß nachträglicher Wirtschaftlichkeitsprüfung«, urteilt das Standesblatt »Zahnärztliche Mitteilungen«, zähle ausdrücklich zu den Vertrags"Maximen«.
Die Kassenpatienten werden es zu spüren bekommen. Zwar werden sie ah 1. Januar 1975 nur noch 15 bis 20 Prozent der Kosten für ihre Zahnprothesen aus eigener Tasche zahlen müssen. Doch in den schon zum neuen Jahr kräftig erhöhten Kassenbeiträgen ist der Preis für das teure Weihnachtspräsent an die Zahnärzte noch nicht enthalten. Spätestens zum 1. April steht die nächste Beitragserhöhung an --- vor allem, so das »Deutsche Ärzteblatt« in seiner jüngsten Ausgabe, infolge »Mehraufwendungen aus der Übernahme der vollen Kosten für Zahnersatz«.
Widerstand gegen den Vertragsabschluß leistet noch die Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Krankenkassenverbände. Sie will es »den Versicherten nicht zumuten, den Zahnärzten horrende Honorare zu bezahlen, die Beitragserhöhungen ... zur Folge haben«. Ein Schiedsgericht soll jetzt in dem Streit vermitteln.
Gewinn von dem neuen Kassen-Vertragswerk erhoffen sich auf lange Sicht nur die Gebiß-Einbauer. Hermann Stiefel, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, erwartet steigende Umsätze in den Zahnarzt-Praxen: »Es gibt doch viele Leute. die mit Lücken im Gebiß herumlaufen, weil sie die Kosten für Zahnersatz nicht tragen können -- das wird sich hoffentlich bessern.«