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Klaus Traube über Robert Jungk: "Der Atom-Staat" Thesen gegen Supertechnik

Dr. Klaus Robert Traube, 49, wurde bekannt als Objekt des »Lauschangriff auf Bürger T« (SPIEGEL-Titel 10/1977). Mit rechtswidrigen Abhörpraktiken hatte der Verfassungsschutz -- ohne Erfolg -- versucht, dem Atom-Manager Verbindungen zur Terroristen-Szene nachzuweisen. Der Verdacht wurde inzwischen widerlegt; Traube, der bis 1976 als Geschäftsführer der Entwicklungsfirma Interatom vor allem für das deutsche Schnellbrüter-Projekt Kalkar verantwortlich war, wurde von Bundesinnenminister Maihofer rehabilitiert. Gegenwärtig arbeitet Traube an einem Buch über die politischen Grenzen der Politik.
aus DER SPIEGEL 53/1977

Mit der technischen Nutzbarmachung der Kernspaltung wurde der Sprung in eine ganz neue Dimension der Gewalt gewagt. Zuerst richtete sie sich nur gegen militärische Gegner. Heute gefährdet sie die eigenen Bürger. Denn »Atome für den Frieden« unterscheiden sieh prinzipiell nicht von »Atomen für den Krieg.«

So beginnt Robert Jungks neues Buch, das er in »Angst und Zorn geschrieben« hat: »In Angst um den drohenden Verlust von Freiheit und Menschlichkeit. In Zorn gegen jene, die bereit sind, diese höchsten Güter für Gewinn und Konsum aufzugeben.«

Carl Friedrich von Weizsäcker hat kürzlich seine Überlegungen zur Verhütung eines Atomkrieges in der These zusammengefaßt: »Der dritte Weltkrieg ist wahrscheinlich.« Ihn zu verhindern, sei ein umfassender Bewußtseinswandel nötig, zu dem ein tiefer Schreck gehöre. Und er schilderte sein Dilemma: »Man meint oft, man mußte die Menschen anbrüllen, damit sie aufwachen. Aber man weiß, daß sie den, der brüllt, für einen Narren halten.«

Robert Jungk hat sich eher für das Brüllen entschieden. Wenn er Atomkraftwerke für ähnlich gefährlich hält wie Atombomben, dann hat er recht, sich gegen den vorhersehbaren Einwand zu verwahren, »über diese Problematik müßte ohne Emotionen geschrieben werden«. Ohne Emotionen hätte Luther kaum seine Thesen angenagelt. Aber Robert Jungk muß sich fragen lassen, ob er seine im Zorn dargelegte Überzeugung dem Leser, der sich nicht ohnehin für oder gegen Kernenergie festgelegt hat, glaubhaft vermittelt.

Das Buch hebt sich von anderen gegen Kernenergie gerichteten Streitschriften ab durch die Betonung, so der Autor, »der gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlich-technischen Fortschritts, die von den Politikern bisher vernachlässigt wurden«. Kernpunkt der Warnung vor dem »Atom-Staat«, mit der Robert Jungk vor etwa einem Jahr hervortrat, war die Einschränkung der Bürgerrechte als notwendige Folge staatlicher Überwachungsmaßnahmen zur Verhinderung von »Atomterrorismus«.

Dieses Thema nimmt jetzt nur bescheidenen Raum ein. Es ist verbreitert hauptsächlich um die Schilderung von Konditionierungen und Repressionen, die Robert Jungk schon als Konsequenz der friedlichen Nutzung der Kernenergie sieht; Konditionierung der Menschen in der Atomindustrie, deren Unzulänglichkeiten die Sicherheit der Atom-Anlagen gefährden könnten, Repressionen gegen die Kritiker in und außerhalb der Atomindustrie.

Weiter geht der Autor den Atomängsten und deren psychologischen Wurzeln nach sowie der Vorstellungswelt und den Motiven der Atomwissenschaftler. Schließlich warnt er vor der Begünstigung der Proliferation von Atomwaffen durch die Ausbreitung der Plutonium erzeugenden Kernkraftwerke.

Das sind, bis auf die Proliferation. Themen, die in der hiesigen öffentlichen Auseinandersetzung um Kernenergie eine untergeordnete Rolle gespielt haben gegenüber den »handfesteren« Fragen der Strahlengefährdung. Ihre zusammenfassende -- wenn auch emotionsgeladene -- Behandlung sichert dem Buch seinen Rang.

In seinem vorletzten, 1973 erschienenen Buch »Der Jahrtausendmensch« hat Jungk sich einen »conference hopper« genannt, der »beunruhigt in der ganzen Welt herumfährt« und versucht, auf die Zukunft hindeutende »Signale und Tendenzen« ausfindig zu machen. Von dieser journalistischen Methode, von der Vertrautheit mit den Schauplätzen und Akteuren der Technik und Wissenschaft in aller Welt profitiert auch der »Atom-Staat": ein geschicktes Geflecht aus Konferenzberichten, Interviews mit Bekannten und Unbekannten. Dokumenten, Briefen, Hörensagen, auch Anekdotischem.

Das Buch erschließt sich erst so recht im Zusammenhang mit dem »Jahrtausendmensch«. Durch den hatte Robert Jungk als erster ein größeres bundesrepublikanisches Publikum bekannt gemacht mit der vorwiegend in den angelsächsischen und einigen Entwicklungsländern seit den sechziger Jahren verbreiteten, grundlegenden Kritik der modernen, hochkonzentrierten Technik.

Diese Kritik, die das Dogma von der Neutralität und Unaufhaltsamkeit technischen Fortschritts angreift und ihn für die spezifischen »sozialen Schäden« unserer Zeit verantwortlich macht, wird noch bis heute in unserer Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Ähnlich wie in der Atomdiskussion steht bei uns in der, ohnehin fast verdrängten, Diskussion um die Grenzen industriellen Wachstums die Erhaltung der Umwelt und der Ressourcen im Vordergrund, allenfalls begleitet von einem Seitenblick auf die schlechten Gewohnheiten der Konsumgesellschaft.

Im »Jahrtausendmensch« machte Jungk aufmerksam auf die grundlegenden Zusammenhänge der Überindustrialisierung und -technisierung mit sozialen Schäden wie kultureller Verfall, psychische Schäden, Arbeitslosigkeit, Degeneration der Demokratie als Folge von Ohnmacht der Politik gegenüber der Technokratie, übermäßige Verwundbarkeit durch ein nationales und internationales Geflecht von Abhängigkeiten, Konditionierung der Menschen, Einschränkung der Bürgerrechte. Und er stellte die aus solcher Analyse der »Krise des Industriesystems« entwickelten Gegenkonzepte vor: eine zwar auf Wissenschaft beruhende, aber im kleinen Maßstab bei mäßiger Arbeitsteilung anwendbare »Sanfte Technik«, überschaubar auch durch Dezentralisierung; Abbau der hochkonzentrierten Großindustrie.

Im »Atom-Staat« finden sieh fast alle Bestandteile dieser Kritik der Übertechnisierung wieder. Aber sie werden in einer Tour de Force dem verkürzten Sujet, der Atomtechnik, angepaßt. Zwar gibt es Passagen, in denen Robert Jungk größere Zusammenhänge aufzeigt. So stellt er im Ausblick fest, »daß die Atomfrage zum auslösenden Moment einer Auseinandersetzung geworden ist, die über ihren unmittelbaren Anlaß weit hinausweist ... Dahinter steht die noch umfassendere Frage, ob die bisherige ... Richtung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts für den Menschen noch länger taugen kann«.

An anderer Stelle reiht er »Atomterrorismus« ein in einen »ganzen Horrorkatalog von Sabotagemöglichkeiten«, die neue Technologien eröffnen. Im allgemeinen aber gehen solche Zwischentöne unter, werden alle Übel direkt oder unterschwellig der Atomtechnik angelastet.

So etwa, wenn vom Leidensweg einer jungen Schweizerin in einer psychiatrischen Klinik die Rede ist, in die sie von der Polizei, wegen »bizarren Verhaltens« im Anschluß an eine

* Bei einer Protestkundgebung auf dem Marktplatz in Kalkar.

Atomdemonstration festgenommen, eingeliefert wird.

Zwar ist das einer jener unzähligen Vorgänge in psychiatrischen Kliniken, denen man nicht genug Publizität verschaffen kann, deren Zusammenhang mit der kulturellen Perversion einer übertechnisierten Gesellschaft aufzuzeigen ist, aber ein relevantes Beispiel für gesellschaftliche Folgen speziell der Atomtechnik ist das nicht.

Hinzu kommt eine Fülle schlicht überzogener Wendungen. Etwa im Zusammenhang mit der deutschen Atompolitik: »Damals hieß die Parole Deutschland über alles. Heute lautet sie: Plutonium über alles.« Oder: Wer sich den Sachzwängen der Staats- und Wirtschaftsmaschine widersetzt, wird »zermalmt«. Zorn hin, Zorn her, der Unterschied zwischen Ausrotten und unduldsamer, auch bedrohlicher Schikane darf nicht verwischt werden.

Wer sein Sach' vertritt, nimmt sich Polemik heraus, und dem zornigen Autor Robert Jungk, der mit viel Einsicht in den Wissenschaftsbetrieb dem Mythos vom nur der Wahrheit verpflichteten Wissenschaftler zu Leibe nickt, ist gewiß auch zuzugestehen, daß er seine Argumente zurichtet, auch mal Störendes ausläßt. Aber wenn zentrale Gegenargumente ignoriert werden. schürt das den Verdacht auf Argumentationsschwierigkeiten; Beispiel:

Das grundlegende Argument Robert Jungks gegen Kernenergie. außerhalb ihrer Perversion zum Zweck Krieg oder Terrorismus, ist ihre »Irreversibilität, eine ganz neue historische Erscheinung«. Er beschwört es immer wieder: »Bisher wuchs über alle Schäden, die die Technik verursacht hatte, nach absehbarer Zeit Gras ... Das wird nach einer atomaren Katastrophe nicht der Fall sein.«

Dieses Argument können die Befürworter der Kernenergie auf vielfache Art entkräften. So machte Wolfgang Stoll kürzlich in der Hamburger »Zeit« darauf aufmerksam, daß nicht nur Nagasaki, sondern auch das Eniwetok-Atoll. wo mehr als zwanzig Atombomben abgeworfen wurden, wieder bewohnbar ist. Und es ist auch nicht Gras gewachsen über die früher durch menschliche Eingriffe geschaffenen Wüsten und Karste, die ehemals fruchtbares Land waren. Der Assuan-Staudamm setzt diese traurige Tradition fort. Und wer wird je unsere Landschaft entbetonisieren, und die täglich anwachsenden vielen Millionen Tonnen fein verteilter oder in Deponien verwahrter chemischer Gifte vernichten?

Robert Jungks frühere Schriften bezeugen seinen umfassenden Überblick über moderne Wissenschaft und Technik und über deren politische Implikationen. Wenn er im »Atom-Staat« so verkürzt, dann wohl in der Erwartung, ein Stopp der Kernkraftwerke sei in absehbarer Zeit erreichbar und würde den von ihm -- wie von mir -- als verhängnisvoll angesehenen Teufelskreis aus industriellem Wachstum und Übertechnisierung unterbrechen. Beruht diese Erwartung, der viele unter den Kernenergie-Gegnern anhängen, auf einer durchdachten Analyse?

Eines der sieben Kapitel des »Atom-Staates« das schwächste, wie ich meine -- beschäftigt sieh mit den Dissidenten unter den Kernenergie-Wissenschaftlern und -Ingenieuren und mit den Einschüchterungen, denen sie unterliegen.

Natürlich gibt es Dissidenten, selbstverständlich unterliegen sie Pressionen. offensichtlich werden Publikationen »zensiert«, will heißen, sie sind Vorgesetzten zur Durchsicht und Genehmigung vorzulegen. Nur, wo wäre das nicht so in der Industrie?

Das Kapitel könnte den Eindruck vermitteln, als würde ein Großteil der Kernenergie-Wissenschaftler und -Ingenieure nur durch Zensur und Pressionen daran gehindert, die Wahrheit zu sagen. Das wäre eine fundamentale Fehleinschätzung. Die überwältigende Mehrheit ist davon überzeugt, mit Akribie an einer Technik zu arbeiten, die wesentlich mehr Sorgfalt als jede andere Großtechnik auf die Verhinderung von Schäden an Umwelt und Menschen verwendet hat. Bisherige Statistik bescheinigt ihnen diesen relativen Erfolg. Würde man sie fragen, ob die Atomtechnik trotzdem Gefahren birgt, wäre die typische Antwort: Ja, aber weniger als vergleichbare Großtechnik.

Das scheint mir der Drehpunkt. Die Antwort ist nämlich sehr wahrscheinlich richtig, mindestens wenn man die Erhöhung der Proliferationsgefahr ausklammert. Sie wird auch nicht falsch dadurch, daß es in dümmlichen« Werbestil vorgetragene Propaganda für Kernenergie gibt, die das »Ja. sie birgt Gefahren« wegschwatzt oder verniedlicht.

Eine Bevölkerung aber, deren Mehrheit einerseits das fürchterliche Atomkriegsrisiko verdrängt, andererseits die heutige, hochkonzentrierte Industrie und deren Risiken als alternativlos akzeptiert. wird sieh nicht mehrheitlich gegen Kernenergie entscheiden, solange sie grundsätzlich vom Zwillingspaar Wachstum und Supertechnik überzeugt ist.

Robert Jungk erkennt selbst: »Die Entscheidung für die Kernenergie war die logische Folge einer Technologiepolitik, die das Wachstum der Produktion über alle anderen menschlichen Interessen stellte.« Richtig, innerhalb dieses heute in Ost und West vorherrschenden Bezugssystems ist die Kernenergie logisch.

Eine Zeitlang. in diesem Sommer. mochte es scheinen, als sei der Widerstand gegen Kernenergie stark genug zur Durchsetzung eines Moratoriums. Doch nur ein Teil der Atom-Gegner war sich bewußt, daß es dabei um mehr geht als um Kernenergie. War es nicht naiv, zu glauben, man könne mit so schwacher Basis das verfestigte, mächtigen Interessen dienliche, in allen Institutionen verwurzelte, durch den noch ungebrochenen Mythos von Wirtschaftswachstum und Supertechnik breit abgestützte Primat der Produktion gleichsam überlisten?

Im Widerstand gegen Kernenergie manifestiert und verengt sich das seit einem Jahrzehnt ständig wachsende Unbehagen an der fortschrittsgläubigen Industriegesellschaft. Erst wenn dieses Unbehagen sieh umsetzt in die verbreitete Erkenntnis einer irreversiblen Krise des sieh zunehmend aller Kontrolle entziehenden Industrialismus, wenn die Alternativen bekannt und akzeptierbar geworden sind, scheint mir eine grundlegende Umkehr möglich und dann auch ein Stopp der Kernenergie.

Die Antiatom-Bewegung hat viel zum Ingangsetzen dieses Bewußtseinsprozesses getan. Ungeachtet meiner Kritik am einzelnen glaube ich, daß auch »Der Atom-Staat« dazu beitragen wird. Eine Bresche zu schlagen, reicht das nicht.

Weitere Emotionalisierung des zu engen Ausschnittes Kernenergie kann zu verhängnisvoller Isolation führen. Es gilt hier, was Adolf Muschg neulich an dieser Stelle über andere, in der Aufbruchsstimmung Ende der sechziger Jahre entstandene Hoffnungen gesagt hat: »Nicht die Hoffnungen sind überholt, sondern die blinde Ungeduld bei ihrer Verfolgung.« Auch, und gerade. wenn die Zeiten nicht zum Hoffen einladen.

Sieht Robert Jungk das doch so? Sein Buch schließt mit den Worten: »Letztlich wird das Wasser stärker sein als der Stein.« Voilà!

Klaus Traube
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