SAMMLER Tick, Trick und Truck
Ein schwarzer Mercedes 600, Baujahr 1976, ging bei der Gebrauchtwagen-Versteigerung auf dem Stuttgarter Messegelände für mehr als das 14fache seines Neupreises weg.
Einen resedagrünen Ford Taunus 17 schlug Auktionator Alfred Krieg an einen Liebhaber für vierzigmal soviel Geld los, wie die Limousine 1965 neu gekostet hatte.
Ein Veteran aus dem Jahre 1959, ein Aral-Tanklaster vom Typ Büssing 4500, brachte sogar einen Versteigerungserlös,
der den Neupreis um das 229fache übertraf: 275 Mark gegenüber 1,20 Mark vor 27 Jahren.
Die immerhin rund 500 Gebrauchtwagen, die Krieg im Mai in Stuttgart anbot, hätten, dicht an dicht geparkt, gut Platz auf einer halben Tischtennisplatte gehabt: Die Miniaturen aus Kunststoff stehen zu den in Untertürkheim, Köln oder Rüsselsheim vom Band laufenden Vorbildern in einem Größenverhältnis von etwa 1 zu 87, im sogenannten »Halb-Null"(HO)-Maßstab.
Mit »Spezialauktionen« für diese Fahrzeuge hat Krieg nun »den Fuß drin« in einem neuerdings besonders üppig prosperierenden Zweig des deutschen Automobilmarktes: Bei weiter, stark steigender Tendenz« (Krieg) hat der Preis für viele inzwischen nicht mehr produzierte HO-Modellautos gewaltig angezogen.
»Raketenartig« nach oben gegangen ist, so Werner Hartung, Geschäftsführer der Firma Brekina, aber auch das HO-Neuwagengeschäft. Schätzungsweise 50 Millionen Mark setzten die deutschen Miniatur-Autobauer letztes Jahr um - 150 Prozent mehr als noch 1980.
Bei Wiking, der ältesten Firma am Markt, werden jährlich acht Millionen Mini-Pkw und -Nutzfahrzeuge aller Klassen (Ladenpreis: zwischen 2,60 und 15 Mark) aus verflüssigtem Kunststoff-Granulat gepreßt. Herpa, erst acht Jahre im Geschäft, hat inzwischen 15 Millionen Fahrzeuge gebaut.
Mittlerweile nämlich hat sich deutsche Sammelwut der HO-Autos bemächtigt, die vor bald 40 Jahren von dem Berliner Fabrikanten Friedrich Peltzer als Kinderspielzeug, Modelleisenbahn-Accessoires und Lehrmaterial für den Verkehrsunterricht erfunden worden sind.
Wie die Marken-Neuheiten der Post in den Alben der Philatelisten enden, landen die Erzeugnisse der HO-Autoindustrie mittlerweile größtenteils auf direktem Wege in den Vitrinen meist erwachsener Sammler.
Richtige Freaks wissen Modelle allein aufgrund ihrer Farbgebung dem Herstellungsjahr, in Einzelfällen sogar dem Baumonat zuzuordnen. Wie bei Briefmarken gibt es infolge von Fabrikationsfehlern auch Modellautos in Fehlfarben. Mancher Experte betreibt die Erforschung der Miniauto-Produktionsgeschichte inzwischen todernst wie eine wissenschaftliche Disziplin.
Selbstredend existiert längst der zum Miniauto-Maßstab passende Automobilclub: Unter seinem Vorsitzenden Hans-Jürgen Falldorf, einem ehemaligen Kraftfahrzeughandwerker, kümmert sich der CAM, der »Club der HO-Automodell-Freunde«, bundesweit um die Belange der Klein-Automobilisten.
Tips und Fachwissen verbreitet schließlich eine einschlägige Fachpresse. In »modell magazin« etwa wird im Leitartikel die weite Sammlerkreise bewegende Frage erörtert, weshalb die HO-Autobranche
vorzugsweise Lkw-Neuheiten auf den Markt bringt und darüber Pkw-Neuheiten vernachlässigt. Hauptursache ist ein ökonomisch begründeter Branchen-Trick: Mit einem Truck ist den Leuten mit dem Auto-Tick mehr Geld aus der Tasche zu ziehen.
Wie Philatelisten oder Käufer von Antiquitäten müssen die HO-Sammler mittlerweile schon vor Fälschungen auf der Hut sein. So offerierte unlängst ein Pfiffikus per Inserat einen »Horch ohne Glas, ohne Bodenplatte - DM 40,-». Kenner durften hinter dem Angebot eine äußerst günstige Okkasion vermuten: Beim unverglasten, bodenplattenlosen Horch handelt es sich um das seltene Wiking-HO-Modell T 3, das 1948/49 produziert wurde und heute in Liebhaberkreisen mit bis zu 1000 Mark notiert wird.
Allerdings: Seit 1974 baut Wiking den Horch wieder, nun jedoch mit Fensterscheibe und Bodenplatte. Aus einem solchen Modell (Ladenpreis: 3,60 Mark) hatte der Anbieter listig die Scheiben und den Boden entfernt.
Auf rund 100000 Bundesdeutsche schätzen Kenner das gegenwärtige HO-Autofreundepotential, auf 25000 bis 30000 den harten Kern, der das Sammeln systematisch betreibt. Dazu zählen Freaks, die - mit dem heute schon unerfüllbaren Wunsch, komplett zu werden - jede Modellvariante nehmen, derer sie habhaft werden.
Monatlich geben die HO-Automobilisten für ihre Macke durchschnittlich 150 Mark aus. Da kommt über die Jahre schon etwas zusammen. Der Fleißigste im Lande, der Berliner Reinhard Reinke, 42, Beamter bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, hat zu Hause auf 50 Quadratmeter Fläche schon 27500 Auto-Miniaturen in Kartons gestapelt, darunter Kostbarkeiten wie das 1948 in Serie gegangene Wiking-Modell T 7, einen Autobahn-Reisebus. Mit einem T 7 (Ladenpreis 1949: 1,75 Mark) wurde letztes Jahr bei einer Auktion der bislang höchste Versteigerungserlös für ein HO-Auto erzielt: 1600 Mark.
Unter den Mini-Freunden sind sicher verhinderte Ferrari-Fahrer, die sich nun ersatzweise im Verhältnis 1 zu 87 befriedigen, aber auch Leute, die ein gelungenes Modell »allein aus Freude an schönem Design kaufen«, wie Günter Lang, Inhaber von »danhausen modelcar« in Aachen, meint. Und bei der Frankfurter »Modellbox« des früheren BMW-Verkäufers Bernd Schultz kommt ein »Manager aus der Druckindustrie mit Chauffeur« ebenso vorgefahren wie ein Berufskraftfahrer »mit seinem Kieslaster«.
Dran ist natürlich auch was an der Vermutung, daß sich viele Miniaturen-Fans mit ihrem Sparren »was »rübergerettet haben aus einer Zeit, die eigentlich erledigt ist, also der Kindheit«, wie der Karlsruher Sonderschul-Pädagoge Uwe Ruck, 36, sagt. Bei Ruck, der wie die meisten seiner Generation in der Sandkiste schon mal mit HO-Autos gespielt hat, war der Beginn der Leidenschaft ein »Rückgriff auf die Jugendzeit«.
Das erklärt wohl auch, daß manche Modelle von Marken wie Herpa, Roskopf oder Roco inzwischen zwar an Präzision und Maßstabtreue kaum noch zu übertreffen sind, Fans aber erst richtig närrisch werden, wenn der Name Wiking fällt. Ein Sammler: »Wenn unter Scheißhaufen ein Wiking-Zeichen wäre würde ich auch die sammeln.«
Denn mit dem Gründer und langjährigen Inhaber der Berliner Firma Wiking-Modellbau, dem Gebrauchsgraphiker und Redakteur Friedrich Peltzer, Jahrgang 03, hat alles begonnen. Im Jahre 1948 hatte Peltzer mit einem noch ziemlich plumpen Jeep die Autoproduktion eröffnet. In Fan-Kreisen genießt der Miniaturen-Schöpfer, der 1980 starb, nun die Verehrung eines Guru.
Dabei war der Altvater wohl ein bißchen luschig: Wie seine Jünger überliefern, verabscheute er »unproduktive Archivarbeit«, Buchführung und Produktionsstatistiken. So gingen unter seiner Ägide auch Stücke mit Macken, etwa irrtümlich kunterbunt geratene Vw-Busse oder Modelle mit falsch angezeichneter Tür, ungezählt aus dem Werk. Ein und dasselbe Modell wurde immer wieder im Detail abgewandelt, und Spezialisten stoßen noch immer »ständig auf neue Varianten« - zum großen Vergnügen von Altwagenhändlern und Auktionatoren.
Denn jede Neuentdeckung reißt, so Versteigerer Krieg, »eine neue Lücke auf, die die Sammler natürlich schließen wollen«. Wer als Wiking-Intensivsammler erst noch beginnen will, hat nach bisherigem Stand rund 25000 Lücken zu schließen.