UMWELT Tod aus der Düse
Der braune Sirup mit dem chemischen Wirkstoff 1,1'-Dimethyl-4,4'-bipyridiniumdichlorid gilt als des Landwirts bester Freund. Seit es ihn gibt, sind Bauern der lebenslangen Plackerei enthoben, die Unkräuter aus Äckern und Weinbergen mit eigener Hand zu tilgen.
Mohn und Kornblume, Vogelmiere und Melde welken im Nu dahin, wenn sich das Pflanzenschutzmittel »Paraquat« aus Spritzdüsen übers Feld verteilt. Spätestens nach zwei Tagen ist das wilde Grün abgestorben.
Als das Präparat, entwickelt von der britischen Firma Imperial Chemical Industries (ICI), in den sechziger Jahren auf den Markt kam, wurde es als Durchbruch gefeiert: Der »oberflächliche Abbrenner«, hieß es, tötet alles Unkraut schneller, preiswerter und schonender für die Umwelt als andere Mittel. Paraquat zählte bald zu den meistverwendeten Herbiziden.
Doch nun, zwei Jahrzehnte nach Einführung der Chemikalie, ist Paraquat in Verruf geraten. Das Pflanzenschutzmittel, so zeigte sich, ist nicht nur ein wirksames Gift gegen Wildwuchs - auch Menschen fallen der Substanz zum Opfer.
In Industrie- und Entwicklungsländern häufen sich die Berichte über Selbstmorde, tödliche Unglücksfälle und schwere Erkrankungen durch Paraquat: *___Das Bundesgesundheitsamt schätzt, daß sich in ____Westdeutschland pro Jahr durchschnittlich 30 Fälle von ____tödlicher Vergiftung durch Paraquat ereignen; die ____meisten davon sind Selbstmorde. *___Von der Antillen-Insel Trinidad (Einwohnerzahl: 1,2 ____Millionen) werden monatlich zwei Paraquat-Todesfälle ____gemeldet, dazu (aus einem einzigen Krankenhaus) pro ____Monat drei Selbstmorde. *___Das »Medical Journal of Malaysia« berichtete, ebenfalls ____aus nur einem Krankenhaus, über 30 Vergiftungen mit ____Paraquat, nur drei Patienten überlebten. *___In der Fachzeitschrift »Thorax« analysierten ____südafrikanische Mediziner den Fall eines ____Weinbergarbeiters, der offenbar durch jahrelangen ____Umgang mit Paraquat zu Tode kam; sechs seiner Kollegen ____erlitten Lungenschäden. *___In den USA starben 1982 zwei junge amerikanische ____Landarbeiter an den Folgen einer Paraquat-Vergiftung, ____obwohl die Ärzte noch versucht hatten, die zerstörten ____Lungen durch gesunde Spenderlungen zu ersetzen.
Als verläßlicher Helfer gegen mickrige, von Unkraut erstickte Ernten wird Paraquat vom Hersteller angepriesen. Etwa zwei bis fünf Liter pro Hektar, je nach Höhe und Dichte des Unkrauts, »säubern« den Boden und bereiten ihn für die Saat vor. Zunehmend verzichten Landwirte aufs Pflügen und sparen so die Kosten für den Traktoren-Kraftstoff.
Auf diese Weise, so die Verfechter chemischen Landbaus, blieben empfindliche Böden vor Erosion bewahrt. Die abgestorbenen Unkräuter bildeten zudem eine schützende Schicht ("Mulch") gegen Sonne und Wind.
Millionen von Bauern konnten mit der chemischen Unkraut-Keule tatsächlich ihre Erträge steigern. Doch anders als die meisten gängigen Herbizide ist Paraquat für den Menschen extrem giftig: Schon ein Teelöffel voll genügt, um Nieren, Leber und vor allem die Lunge irreparabel zu schädigen.
Etwa 500 000 Menschen pro Jahr, so schätzt die Weltgesundheitsorganisation, vergiften sich weltweit im Umgang mit den Pflanzen- und Insektenkillern der modernen Agrarchemie. Paraquat ist nur eine dieser zahlreichen Substanzen - aber das Sterben ist, so Dr. Wolfgang Link, Pflanzenschutzmittel-Experte beim Bundesgesundheitsamt in West-Berlin, »ungeheuer qualvoll«.
Die im Blut zirkulierenden Paraquat-Moleküle lösen schwere Stoffwechsel-Störungen aus und sammeln sich in den Lungen. Nach tagelangem Erbrechen sind Mund und Hals mit Rissen und Schorf bedeckt, der Patient kann nichts mehr zu sich nehmen. Das Gewebe von Nieren, Leber und Lunge stirbt ab. Schließlich, nach Tagen oder Wochen, erstickt der Kranke.
Nicht nur, wenn es geschluckt wird, wirkt Paraquat derart fatal. Auch wer sich mit der unverdünnten Flüssigkeit nur benetzt, gerät in Lebensgefahr. Das zeigte der Fall des 25jährigen Gärtners Scott Wilson, der 1982 in den USA durch Paraquat umkam.
Wilson hatte bei Gartenarbeiten versehentlich Parquat über seine Kleidung und sein Gesicht verspritzt. Er wusch sich und arbeitete weiter. Fünf Tage später kam er, schon halb erstickt, ins Krankenhaus. Am Montefiore Medical Center in New York versuchten es die Ärzte mit einer Lungentransplantation, doch der Eingriff zögerte das Ende nur hinaus. Zweieinhalb Monate nach dem Arbeitsunfall starb der junge Mann.
Bei sachgemäßem Gebrauch, so meint Paraquat-Hersteller ICI, sei das Herbizid ungefährlich. Doch ein Großteil Paraquat wird in Regionen verbraucht, deren Bewohner kaum die Gebrauchsanweisung lesen können. In manchen Ländern der Dritten Welt lassen sich die Bauern Paraquat in mitgebrachte Flaschen und Plastikgefäße abfüllen, die später wieder für Trinkwasser benutzt werden. Auf dem Feld rühren die Bauern das Gift mit der bloßen Hand um, aus den undichten Spritzgeräten tropft Paraquat auf die Haut. »Wenn du dich nach dem Spritzen von Paraquat nicht krank fühlst«, sagte ein Bauer auf Trinidad dem Reporter von »Newsweek«, »dann hast du wahrscheinlich nicht genug gespritzt.«
Hersteller wie ICI und die US-Firma Chevron setzen ihren Paraquat-Produkten seit einigen Jahren ein Brechmittel zu und vergällen die Flüssigkeit, um den Geschmack zu verderben. Doch diese Vorkehrungen gelten noch nicht für alle Entwicklungsländer. Ohnehin nützt das Brechmittel wenig. Von 30 Vergifteten, so berichtete das »Medical Journal of Malaysia«, erbrachen sich 24 innerhalb einer Viertelstunde, aber nur drei Patienten überlebten.
Erst die erschreckende Popularität des Herbizids bei Lebensmüden brachte die Behörden in Westdeutschland auf den Plan. Rund 380 Tonnen Paraquat werden jährlich auf bundesdeutschen Äckern und Weinbergen verspritzt. Bei den Landwirten sei »das elegante Verfahren außerordentlich beliebt«, berichtet Dr. Helmut Lyre von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig, die neu auf den Markt kommende Herbizide zulassen muß. Sich häufende Berichte über Selbstmorde mit Paraquat haben die Braunschweiger Anstalt und das Bundesgesundheitsamt (BGA) alarmiert.
Von 1978 bis März 1983, das ergab eine Umfrage des BGA bei den Giftinformationszentralen der Bundesländer, sind 60 Unglücksfälle im Zusammenhang mit Paraquat bekanntgeworden. 33 Menschen starben an dem Gift, 30 davon hatten den Tod absichtlich herbeigeführt. Die tatsächliche Zahl von Suiziden wird vom BGA weit höher eingeschätzt: auf mindestens 30 pro Jahr.
»Fälle vorsätzlicher oraler Aufnahme von Paraquat können durch keine weiteren, wie auch immer gearteten Sicherheitsmaßnahmen vermieden werden«, erklärte die Firma ICI im vergangenen Monat bei einer vom BGA veranstalteten Anhörung. Da sich die Zulassung auch bei diesem Mittel auf »sachgerechte Anwendung« und »bestimmungsgemäßen Gebrauch« bezieht, ist sie allein wegen der Selbstmordgefahr wohl kaum zu widerrufen.
Denkbar wäre ein Verbot von Paraquat, falls sich ein Verdacht erhärtet, dem die Braunschweiger Wissenschaftler jetzt nachgehen: An lehmige Böden wird die Substanz offenbar so fest und dauerhaft gebunden, daß darauf nach jahrzehntelanger Paraquat-Behandlung möglicherweise gar kein Kraut mehr wächst - auch keine Nutzpflanzen.