Tod eines Pianisten
Der Klavierabend des 26jährigen Romantikers Karlrobert Kreiten, zu dem die Stadt Heidelberg am 3. Mai 1943 in die Neue Aula ihrer Universität einlud, war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Die Programmzettel kündigten Beethovens »Appassionata«, sechs Etüden von Frederic Chopin und die »Spanische Rhapsodie« von Franz Liszt an - und virtuose Auftritte in anderen Konzertsälen des Reiches hatten den jugendlichen Interpreten zu einem Liebling des deutschen Musikfeuilletons gemacht.
Doch zum Heidelberger Klavierabend kam es nicht mehr. Eine eilige Notiz am Portal der Aula teilte dem irritierten Publikum im letzten Augenblick mit: »Kreiten-Konzert fällt aus«. Um acht Uhr morgens war der Pianist in seinem Hotelzimmer von der Gestapo verhaftet worden.
Nach den Reminiszenzen der Zeitzeugen verschwand an jenem Tage ein Musiker von der Bühne unverdächtig deutscher Kunst, den eine seltene pianistische Begabung auszeichnete. Dieses Talent des Karlrobert Kreiten, der 1916 in Bonn geboren wurde und in Düsseldorf gemeinsam mit Alexander Spoerl zur Schule ging, war eine Mitgift der Eltern. Vater Theo unterrichtete Tonsatz an der Düsseldorfer Musikhochschule, Mutter Emmy trat als Kammersängerin auf.
Zu den privaten Musikabenden der romanophilen Familie fanden sich illustre Gäste ein. Gaspar Cassado, der spanische Cellist, und Walter Gieseking, der deutsche Horowitz, kamen nach ihren Konzerten ins Haus. Und dem prominentesten Besucher, dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler, spielte Kreiten bereits als Dreikäsehoch auf seinem Schiedmayer-Flügel vor.
Die Karriere des Kinderstars begann 1927. Im kurzen Matrosenanzug auf dem Schemel sitzend, spielte der Sextaner in der Düsseldorfer Tonhalle Mozarts D-Dur-Sonate und Impromptus von Schubert. Das öffentliche Debüt des Zehnjährigen wurde auch im Radio gesendet; schon ein Jahr später absolvierte er sein erstes Klavierkonzert mit Orchester. Mit 15 trug er die diffizilen Paganini-Variationen
von Johannes Brahms erstaunlich sicher vor. Und als 1931 Kurt Weills Schuloper »Der Ja-Sager« (nach Bert Brecht) in Düsseldorf aufgeführt wurde, war an einem der beiden Klaviere Karlrobert Kreiten zu sehen.
Es mutet wie eine schwarze Ironie seines späteren Schicksals an, daß Kreitens Stern am Pianistenhimmel ausgerechnet im Jahr der Dämmerung 1933 aufging. Mit Beethovens »Waldstein-Sonate« erspielte er sich in Berlin den Großen Mendelssohn-Preis. Wenige Monate zuvor war er, unter 252 meist weitaus älteren Konkurrenten, aus dem Internationalen Klavierwettbewerb in Wien als Sieger hervorgegangen. Mit der »Dante-Phantasie« von Liszt hatte er nicht nur das strenge Jurymitglied Wilhelm Backhaus günstig gestimmt, sondern nebenher über den genialischen Rumänen Dinu Lipatti triumphiert, der sich unter Protest seines Mentors mit Silber begnügen mußte.
Seit dem Wiener Wettbewerb ging der junge Kreiten auch dem alten Juror Moritz Rosenthal nicht mehr aus dem Sinn - der einst noch mit Liszt auf Reisen war und den die verzückte Gemeinde einen »Cagliostro der Klavierkunst« nannte. Rosenthal sorgte dafür, daß Kreiten 1935 nach Wien übersiedelte, um von seiner Frau, der Klavierpädagogin Hedwig Rosenthal-Kanner, unterwiesen zu werden. Nachdem das jüdische Pianistenpaar vor den Nazis emigriert war, schickte die Lehrerin ihrem Eleven am 8. Juni 1938 aus Chicago einen (auszugsweise zitierten) Brief: _____« Möchtest Du nicht im September auf einem billigen, » _____« guten deutschen Dampfer nach Atlantic City kommen? Du » _____« spielst die Liszt-Sonate so phänomenal, daß Du damit » _____« Aufsehen machen und den Grundstein zu einer » _____« amerikanischen Karriere legen könntest. Ich bitte Dich um » _____« einiges Reklamematerial, Kritiken, Prospekte, Bilder. » _____« Natürlich müßten Dich hier einige Impresarios hören auch » _____« einige Klavierfabrikanten. Überlege mit Deinen lieben » _____« Eltern die Sache und schreibe mir an die Hauptadresse New » _____« York, Hotel Ansonia. »
Die Karriere in den USA wäre vermutlich Karlrobert Kreitens Glück gewesen. Aber ein anderer Patron übte eine nachhaltigere Autorität über die Pläne des jungen Künstlers aus: Wilhelm Furtwängler, der Kreiten für das Musikleben in Deutschland retten wollte, hatte ihm geraten, sich in Berlin zu etablieren. Seit 1937 gehörte er dort zur Meisterklasse des brillanten chilenischen Schumann-Interpreten Claudio Arrau. Unter dessen Handführung perfektionierte Kreiten sein Spiel und eroberte große Häuser: Zweimal trat er mit den Berliner Philharmonikern auf, und als einer der ersten Solisten füllte er den Großen Gürzenichsaal in Köln.
Der Publikumsgünstling Kreiten war jedoch nicht nur mit den Klassikern vertraut. Zu einer Zeit, als in der Düsseldorfer Ausstellung »Schaffendes Volk« die Partituren der »Entarteten« in Quarantäne-Vitrinen zu besichtigen waren und zum Abschreckungspreis von zehn Pfennigen aus dem Grammophon »heulten«, hatte Kreiten die Modernen im Repertoire: die Petruschka-Suite von Strawinski und die Toccata in d-Moll von Prokofjew. Nur den privat vorgestellten Rachmaninow konnte er öffentlich nicht mehr spielen.
Im Berliner Beethovensaal am 23. März 1943 nämlich Verneigte sich Karlrobert Kreiten vor seinem Auditorium zum letzten Male. Als der scheue lange Mann um 18 Uhr die Bühne betrat, wirkte er wie immer sehr britisch: Mit der dunklen Hornbrille im schmalen Gesicht und dem artig gewellten Haar hätte man ihn für einen Eton-Zögling halten können. Scarlatti und Chopin trug er unter anderem vor, und obwohl er, nach mehreren Zugaben, auch an diesem Abend gefeiert wurde, berichtete allein die Berliner »Illustrierte Nachtausgabe« ihren Lesern. Die dem Pianisten bis zu jener Stunde gewogenen übrigen deutschen Musikfeuilletons schwiegen.
Das Schweigen war ein erstes von drei Zeichen an der Wand: Für ein Liszt-Konzert in Florenz wurde dem Musiker überraschend die Ausreiseerlaubnis verweigert, so daß die Litfaßsäulen mit dem Namenszug Carlo Roberto Kreiten überklebt werden mußten. Und am Vorabend der Verhaftung seines Sohnes nahm der Vater in Düsseldorf einen ominösen Telephonanruf entgegen: Rembert Suter, ein Pianistenkollege und Freund Karlroberts, erkundigte sich »mit erkälteter Stimme« nach dessen Heidelberger Hotel. Nur war Rembert Suter zu dieser Zeit bereits an der Front. Der getäuschte Vater hat vermutlich der Gestapo Auskunft gegeben.
Der Pianist Karlrobert Kreiten war ein unpolitischer Mensch. Zum Verhängnis wurden ihm eine moralische Regung - und der ideologische Verfolgungswahn dreier Frauen: Während eines eiligen Berliner Wohnungswechsels (der in die Zeit der Vorbereitung auf das letzte Konzert im Beethovensaal fiel) stellte
ihm eine Jugendfreundin der Mutter namens Ellen Ott-Monecke für die täglichen Proben vorübergehend ihr Klavierzimmer zur Verfügung. Bei einem gemeinsamen Frühstück vertraute da der arglose Musiker seiner Gastgeberin an, daß er unter den Lügen des Regimes sehr leide und überzeugt sei, »der praktisch verlorene Krieg« werde »zum vollständigen Untergang Deutschlands und seiner Kultur« führen.
Verwirrt informierte die Ohrenzeugin ihre Nachbarin Annemarie Windmöller, die als Schulungsleiterin der NS-Frauenschaft tätig war. Damit hatte Ellen Ott-Monecke eine notorische Denunziantin zur Mitwisserin gemacht. Sofort weihte Annemarie Windmöller ihre Bekannte Tiny von Passavent, geb. Debüser, ein. Diese von der Kritik als »Himbeerbonbon« verspottete Sängerin war der Musikerfamilie Kreiten schon in Düsseldorf mißgünstig gesinnt und sah nun eine Gelegenheit, ihre mediokre künstlerische Reputation durch eine wohlgefällige politische Tat zu vergolden. Als eine Anzeige bei der Reichsmusikkammer die erhoffte Trophäe auch nach Wochen des Wartens nicht brachte, meldeten die beiden Nazi-Frauen der Gestapo den »Fall«.
Nach der Verhaftung in Heidelberg und ersten Verhören wurde der Musiker zur Gegenüberstellung mit den beiden Frauen in die berüchtigte Prinz-Albrecht-Straße nach Berlin gebracht. Dort verteidigte sich der verzweifelte Kreiten damit, er habe bei dem unglückseligen Frühstück nicht etwa eigene Ansichten vertreten, sondern nur von den »Gerüchten« gesprochen, »die man so auf der Bahnstation« vernehme. Die Denunziantinnen aber gaben zu Protokoll, bei einem von ihnen arrangierten zweiten Zwiegespräch mit Ellen Ott-Monecke hätten sie hinter einem Vorhang mitanhören müssen, wie der Pianist seine »kriminellen Äußerungen« wiederholt und nun sogar Adolf Hitler als »Wahnsinnigen« tituliert habe.
Nachdem Kreiten ins Untersuchungsgefängnis Moabit verlegt worden war, wo die Häftlinge auch während der Bombenangriffe gefesselt in den Zellen der oberen Stockwerke verblieben, begann das Roulette der Fürsprachen. Aber obwohl sogar Fritz von Borries, der Musikreferent des Propagandaministeriums, um Milde bat (man verbot ihm daraufhin höheren Ortes den Mund) und sich in einer persönlichen Demarche an Goebbels auch Furtwängler für den Pianisten verwendete, sprach der Volksgerichtshof unter Vorsitz Roland Freislers, ohne Kreitens Anwälte in den Verhandlungstermin einzuweihen, am 3. September das Todesurteil.
Dieses Urteil, welches das Leben Karlrobert Kreitens mit dem Gewicht einer knappen Schreibmaschinenseite für nichtig erklärte, stempelte ihn merkwürdigerweise zu einem gefallenen Nazi: Derselbe Angeklagte, der »vor einigen Jahren um seine Aufnahme in die NSDAP gebeten« habe und immer noch »Parteianwärter« sei, habe nun die »unglaublichste« Meinung verlauten lassen, »in zwei bis drei Monaten werde Revolution sein, und dann würden ''der Führer, Göring, Goebbels und Frick einen Kopf kürzer gemacht''«.
Ob der Musiker, der nach des Vaters Herkunft niederländischer Staatsbürger war, um seiner künstlerischen Karriere willen wirklich einmal irgendwann die Parteimitgliedschaft erwogen hat, ist mindestens so gründliche Zweifel wert wie der militante Jargon, den ihm der Urteilstext nachsagt.
Denn Karlrobert Kreitens Temperament war nach dem Zeugnis aller, die ihn kannten, zu keiner Zeit das eines (Maul-)Helden, und gegen seinen angeblichen Flirt mit der braunen Partei spricht, daß er sich in den dreißiger Jahren geweigert hat, in die NS-Studentenschaft einzutreten.
Nur war die Wahrheit vor dem Nazi-Gericht natürlich eine Schimäre. Im Falle Kreiten wurde sie überdies wohl in der Absicht gebeugt, aus einem sensiblen Jungen eine zwielichtige Gestalt zu machen. Wie weit die schrille Rabulistik Freislers (der dem Musiker als besonders verwerflich ankreidete, er habe einen Polizisten während des Verhörs mit »ein paar Litern Sonnenblumenöl« zu bestechen versucht) bei der Vorverurteilung ging, dokumentiert seine ausdrückliche Feststellung: Ob der »ehrlose« Kreiten die mitgehörten Ansichten als eigene kundgetan oder »gerüchteweise« nur behauptet habe, sie existierten in den Köpfen der Leute »auf der Bahn«, sei dasselbe schwere Verbrechen.
Vier Tage nach der Urteilsverkündung wurde Karlrobert Kreiten am 7. September 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Wie der Gefängnispfarrer Peter Buchholz berichtet hat, holten die Henker in einer einzigen Nacht 186 Menschen aus ihren Zellen und schleppten sie zu je acht unter die Galgen, an denen ein Jahr später auch einige der Männer des 20. Juli starben. Ein vor jener Nacht noch eingereichtes Gnadengesuch zugunsten Kreitens blieb »versehentlich« unbeachtet: im Fernschreiberbüro des Propaganda-Amtes Düsseldorf.
Den Eltern des toten Pianisten schickte die Gerichtskasse für die Hinrichtung eine Kostenrechnung von 639,20 Reichsmark ins Haus, zahlbar binnen einer Woche. Die Angst der Mutter Emmy vor neuen Schlägen gegen die Familie war so groß, daß sie ihren Brief an die Gefängnisleitung, in dem sie die Habseligkeiten ihres Sohnes zurückerbat, mit »Heil Hitler!« unterzeichnete. Der Vater Theo erblindete vor Schmerz. Nach dem Krieg hat er ein kleines Erinnerungsbuch über Karlrobert geschrieben. Es trägt den Titel: »Wen die Götter lieben«.
Nehmen wir einen Moment lang an, der Zufall hätte uns ein Photo in die Hände gespielt, welches die in die Affäre Kreiten auf verschiedene Weise verstrickten Personen als Gruppenbild präsentierte. Wer wäre auf diesem Photo zu sehen? Im Kreis der Opfer sähen wir den Vater des Toten, der 1960, und seine Mutter, die hochbetagt 1985 starb. Im Kreis der Täter hätten wir die Denunziantinnen genau vor Augen, von denen eine Selbstmord beging. Nur ein Mann wäre nicht ganz so markant auszumachen, denn er hat erstaunlich erfolgreich versucht, seine Mitwirkung auf dem für ihn ungünstigen alten Photo zu retuschieren.
Dieser Mann ist der Journalist Werner Höfer. Nachdem die Nachrichtenagentur »dnb« am 14. September 1943 die Vollstreckung des Todesurteils mit den Worten verbreitet hatte, der wegen »Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung« verurteilte »üble Hetzer« habe eine »Gesinnung an den Tag gelegt, die ihn
aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließt«, lobte der 30jährige Werner Höfer das Werk des Henkers. Am 20. September 1943 ist Höfers Hinrichtungshymne die er mit vollem Namen zeichnete und für die er ein Honorar von 75 Reichsmark kassierte, unter dem Titel »Künstler - Beispiel und Vorbild« in der Ausgabe 225 des Berliner »12 Uhr Blattes« erschienen: _____« Kürzlich ist einem Kreis Berliner Künstler in » _____« kameradschaftlichem Tone ins Gewissen geredet worden, » _____« sich durch einwandfreie Haltung und vorbildliche » _____« Handlungen der Förderung würdig zu erweisen, die das neue » _____« Deutschland - auch in den Stunden seiner härtesten » _____« Prüfung - den künstlerisch Schaffenden hat angedeihen » _____« lassen. Wie unnachsichtig jedoch mit einem Künstler » _____« verfahren wird, der statt Glauben Zweifel, statt » _____« Zuversicht Verleumdung und statt Haltung Verzweiflung » _____« stiftet, ging aus einer Meldung der letzten Tage hervor, » _____« die von der strengen Bestrafung eines ehrvergessenen » _____« Künstlers berichtete. Es dürfte heute niemand Verständnis » _____« dafür haben, wenn einem Künstler, der fehlte, eher » _____« verziehen würde als dem letzten gestrauchelten » _____« Volksgenossen... Denn gerade Prominenz verpflichtet! » _____« Diese Verpflichtung haben unsere Künstler eingelöst. Der » _____« berühmte Mann und der namenlose Arbeiter, die in der » _____« abendlichen U-Bahn nebeneinander sitzen - sie können sich » _____« ohne Vorbehalt kameradschaftlich grüßen. »
Der Karriere des Werner Höfer, der als Leiter der »Aktuellen Abteilung« bereits 1946 in den NWDR eintrat, von 1972 bis 1977 Fernsehdirektor des I. und III. WDR-Programms war und seit dem 6. Januar 1952 den »Internationalen Frühschoppen« moderiert, hat die Nazi-Tirade zu keiner Zeit den Lack verdorben. Den weißen Kragen verdankt Höfer paradoxerweise seinem aggressivsten Gegner: dem (verstorbenen) SED-Propagandachef Albert Norden, der die Autorschaft des westdeutschen TV-Stars am Nachruf auf den Musiker Kreiten während einer Pressekonferenz in Ost-Berlin am 16. März 1962 enthüllte.
Die giftigen Pfeile des polternden Stalinisten Albert Norden nämlich machten auf ihrer Reise über die deutsch-deutsche Grenze üblicherweise eine wundersame Metamorphose durch: Sie verwandelten sich auf den Revers der attackierten Bundesbürger in Orden - und in demokratische Anstecknadeln sogar für behelligte Nazis. Von dieser beruhigenden Dialektik des Kalten Krieges hat auch der einstige NSDAP-Kamerad Werner Höfer (Mitgliedsnummer 2.129.383) profitiert. Von der Ost-Berliner »Schmutzkampagne« geadelt, verstand es Höfer 25 Jahre hindurch, sich auch seriös formulierte Kritik an seiner Vergangenheit mit dem eleganten Argument vom Halse zu schaffen, sie spiele lediglich das durchsichtige Spiel des Albert Norden gegen ihn weiter.
Als Werner Höfer, der im März 1933 ebenso pünktlich in die reaktionäre Partei eingetreten war, wie er nach deren Konkurs sofort auf die progressive Pauke schlug, wegen seines Kreiten-Artikels auch in der westdeutschen Presse ins Gerede kam, hatte er abermals schillerndes Glück.
Nun nämlich hielten ihm, seit 1978, »Bild am Sonntag«, »Die Welt«, die »Bunte Illustrierte« und ausgerechnet die »Nationalzeitung« die braune Sünde vor - und der gewiefte Medienfuchs konnte mit einem gewissen Recht darauf verweisen, daß die rechte Journaille zwar den Werner Höfer des »12 Uhr Blattes« angriff, aber in Wirklichkeit den ihr mißliebigen Sonntagsredner der neudeutschen TV-Liberalität demontieren wollte.
Im Schutze des Kreuzfeuers seiner verschiedenen Kritiker, deren Motive er gebetsmühlengleich als rein ideologische zu entwerten versuchte, überstand Höfer auch mehrere Buchpublikationen bei bester Reputation - in denen sein Epitaph auf den ermordeten Pianisten belichtet wird: literarisch in Michael Mansfelds Roman »Bonn - Koblenzer Straße« (1967) und in Wolfgang Eberts »Das Porzellan war so nervös« (1975); dokumentarisch in Fred K. Priebergs »Musik im NS-Staat« (1982) und in einer Recherche von Hartmut Lück, die in »Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland« (1984) erschienen ist.
Zum 40. Jahrestag der Hinrichtung Karlrobert Kreitens ist dem Musickritiker Hartmut Lück überdies das trojanische Kunststück gelungen, Werner Höfer in einem Radiofeature als Autor der zitierten »12 Uhr Blatt«-Kolumne beim Namen zu nennen - die Sendung wurde am 7. September 1983 vom WDR ausgestrahlt. Und auch auf dem Cover einer von Lück 1984 präsentierten Schallplatten-Rarität, die spät entdeckte Tonaufnahmen (Chopin Brahms, Strauss, Othmar Schoeck) des Pianisten Kreiten zugänglich macht, ist Werner Höfers Hinrichtungshymne verewigt.
Seine NSDAP-Mitgliedschaft hat der »Frühschoppen«-Moderator nie bestritten. Trotzdem verlieh ihm Gustav Heinemann 1973 das »Große Bundesverdienstkreuz«. Zwei Bürger immerhin mochten dieses Politikum nicht auf sich beruhen lassen. Anläßlich der ersten westdeutschen Zeitungsartikel zum Fall Kreiten wandte sich 1978 der Münchner Rechtsanwalt Fritz J. Berthold, der Sprecher des »Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen«, an das Bundespräsidialamt: Falls der geehrte Werner Höfer mit dem Journalisten identisch sei, der den »üblen, supernazistischen Artikel« zum Tode des Pianisten verfaßt habe, sei ihm die Auszeichnung schleunigst wieder abzuerkennen. Schließlich müßten die noch lebenden Nazi-Opfer sie als eine abermalige amtliche Ohrfeige empfinden.
Nachdem 1984 die Kreiten-Schallplatte mit Höfers »Nachruf« erschienen war, legte, in einem Brief an Richard von
Weizsäcker, auch Holger Hagen, der ehemalige Generalsekretär der »Bundesfachgruppe Bühne, Film, Fernsehen« in der DAG, Protest ein. Holger Hagen, der 1945 als Theater- und Musikoffizier der U. S. Army nach Deutschland zurückgekehrt war und mit der Schauspielerin Bruni Löbel verheiratet ist aber ging moralisch noch einen Schritt weiter: Der Gewerkschafter (und hochdekorierte Oberleutnant der amerikanischen Infanterie) schickte dem Präsidenten das »Bundesverdienstkreuz am Bande zurück, mit dem 1978 seine »Verdienste um die sozialen Belange der deutschen Schauspieler« gewürdigt worden waren. Denn er wolle nicht länger einen Orden tragen, der »auch einem Werner Höfer verliehen wurde«.
Die Initiativen der um Aufklärung bemühten Bürger verliefen im Sande. Dem Rechtsanwalt Berthold signalisierte Bonn, die »Voraussetzungen für ein Ordensentziehungsverfahren« fehlten, und eine juristische Handhabe, dem angeschuldigten Werner Höfer eine »eidesstattliche Versicherung abzufordern«, daß er nicht der Autor des inkriminierten Zeitungsartikels sei, gebe es nicht. Für Hagens Begehren wiederum, dem dieser die Kreiten-Schallplatte beigefügt hatte, interessierte sich das Bundespräsidialamt so wenig, daß der in der Sache zuständige Ministerialrat Johannes Ottinger die Schallplatte »zu meiner Entlastung« wieder zurücksandte.
Sie traf in der ungeöffneten Originalverpackung im Hause Hagen ein - und der Empfänger zog in einer Antwortpost an Ottinger aus dieser Brüskierung den naheliegenden Schluß, daß Bundespräsident von Weizsäcker »von dieser gesamten Korrespondenz keine Ahnung hat«. Zuvor schon hatte Hagen dem Staatssekretär Klaus Blech, von dem die »Vorwürfe
gegen Herrn Höfer als »nicht beweisbar« zurückgewiesen worden waren, in einem zornigen Brief geschrieben, »daß in meinem Garten zur Erntezeit die Pflaumen weniger weich sind als Ihre Argumente«.
Diese Scharmützel jedoch blieben der Öffentlichkeit verborgen. Nicht ganz verbergen hingegen ließ sich die für den hauseigenen Moderator peinliche Affäre, daß sich 1984 auch der WDR-Verwaltungsrat mit dessen journalistischer Vergangenheit befaßte. Zum »Tagesordnungspunkt Höfer« hatte sich das Gremium herablassen müssen, weil ihm gleich mehrere Anfragen zahlender Rundfunk-Kunden auf den Tisch gekommen waren.
Eine dieser Anfragen stammte vom Musikwissenschaftler Fred K. Prieberg. Zu dem Brief, den Prieberg daraufhin am 6. Dezember 1984 vom Verwaltungsratsmitglied Reinhard Grätz, dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag Nordrhein-Westfalens, bekam, fallen dem geneigten Leser wiederum die Pflaumen im Garten des Holger Hagen ein: _____« Sehr geehrter Herr Prieberg: Sie haben mich in der » _____« Sache Höfer angeschrieben. Inzwischen ist diese » _____« Angelegenheit, die ich wohl in manchem ähnlich wie Sie » _____« sehe, im Verwaltungsrat abschließend behandelt worden. » _____« Zum Verhalten von Herrn Höfer liegen keine wirklich neuen » _____« Erkenntnisse vor. Es bleibt das bestehen, was er in den » _____« 60er Jahren der Leitung des WDR gesagt hat ... Der » _____« jetzige Verwaltungsrat steht in dieser Hinsicht in einer » _____« gewissen Kontinuität ... Trotz Ihrer bedenkenswerten » _____« Hinweise ... muß ich in die Gesamtbeurteilung des Falles » _____« auch die Tatsache einbeziehen, daß die neuerlichen » _____« Erörterungen um Herrn Höfer, seine Glaubwürdigkeit und » _____« sein Erinnerungsvermögen ausschließlich von der » _____« rechtsgerichteten Presse gepflegt werden. Stil und » _____« Diktion macht dabei stutzig, insbesondere, da Herr Höfer » _____« in den letzten Jahrzehnten als Vertreter eines liberalen » _____« Journalismus aufgetreten ist. Dabei hat er für mich, » _____« unabhängig von seiner merkwürdigen Rolle in der NS-Zeit » _____« und bei dem diskutierten Artikel, eine glaubwürdige » _____« journalistische Figur abgegeben. »
Tatsächlich machen Stil und Diktion in der Antwortnote des Reinhard Grätz stutzig. Denn der wohlfundierten Vermutung, daß Höfer nach »seiner merkwürdigen Rolle in der NS-Zeit« lediglich das journalistische Kostüm gewechselt habe (liberal »aufgetreten« ist und eine »Figur abgegeben« hat), leistet unbewußt sogar der Anwalt seiner Ehre Vorschub.
Und dann tippt der Sozialdemokrat »mit freundlichen Grüßen« an Prieberg einen Vorschlag in die Maschine, der den Kritikern des braunen Skribenten a. D. die Schelle umhängt: »Unabhängig davon, daß ich mich in hinreichender Distanz zu Herrn Höfer befinde, glaube ich, daß es u.U. angebracht wäre, nach der Vergangenheit derer zu fragen, die den Fall Höfer alle paar Jahre wieder zu einem öffentlichen ''Fall'' machen.«
Man wird auch anders fragen dürfen: Ist Werner Höfer das seltene Beispiel eines gewesenen Nazis, den liberale Kreise decken? Immerhin hat Höfer in der Publizistik des Dritten Reiches verschiedene »merkwürdige Rollen« gespielt, in »Der neue Tag« und in der Propaganda-Gazette »Signal« zum Beispiel. Und der Frühschoppen-Gastgeber hat, da ihm die Zeitungsarchive keine andere Wahl ließen, auch eingeräumt, daß er jener Werner Höfer ist, der, unter seinem Namen, für das Feuilleton des »12 Uhr Blattes« zur Feder griff.
Mit welchem Zauber also hat sich ein Mann dieses deutschen Kalibers das Wohlwollen zweier honoriger Bundespräsidenten und den sozialdemokratischen Persilschein verschafft? Mit dem nach den Ost-Berliner Angriffen 1962 gegebenen Ehrenwort, die Laudatio auf die Hinrichtung des Pianisten Karlrobert Kreiten sei ihm, von fremder Hand, in den berüchtigten »12 Uhr Blatt«-Artikel vom 20. September 1943 »hineinredigiert« worden. Im vierseitigen Original klang die Verteidigungsrede so: _____« Ich habe... eine Zeit lang jeweils am Samstag einen » _____« kultur-politischen Aufsatz für das »12 Uhr Blatt« » _____« geschrieben... Da die Redaktion mit den politischen » _____« Akzenten meiner Arbeiten häufig unzufrieden war, wurden » _____« ohne mein Wissen oder gar meine Zustimmung oft in meinen » _____« Manuskripten Änderungen vorgenommen, bei denen jeweils » _____« die neuesten Anweisungen des Propagandaministeriums » _____« verarbeitet wurden... Es ist möglich, daß die von den » _____« SED-Propagandisten zitierte Stelle, falls sie überhaupt » _____« so gedruckt worden ist, wofür das vorgelegte Faksimile » _____« noch kein ausreichender Beweis ist, auf diese Weise » _____« entstanden ist. »
Dieses Ehrenwort zieht Höfer bis heute aus dem alten Hut. Nur ist er inzwischen einsilbiger geworden: »Sehr geehrter Herr, die Behauptungen, auf die Sie sich beziehen, sind vielfach widerlegt. Ich habe mir längst abgewöhnt, darauf einzugehen.« Und obwohl das Ehrenwort von einem Mann stammt, der nicht einmal ein Faksimile als Beweis gelten ließ, der dabei eine bellende Ost-Berliner »Frühschoppen«-Fanpost zustimmend zitiert ("Hitler war ein Waisenknabe gegenüber diesen roten Faschisten in Pankow") und der die Unwahrheit verbreitet, sein Wort sei auch »von Angehörigen des Ermordeten akzeptiert worden« (Kreitens Mutter sagte in einem Zeitungsinterview vielmehr, sie würde Höfer »die Tür weisen"), hat man es ihm nicht nur amtlicherseits ungeprüft immer »geglaubt«.
Sogar Peter Wapnewski, ein Höfer nicht eben geneigter Publizist, hat jüngst noch kapituliert. In einem empfindsamen Kreiten-Essay, der am 28. November in der »FAZ« zu lesen war, streift Wapnewski in zwei kurzen, bitteren Passagen auch den Moderator der »Frühschoppen«-Runde ("ihm zur Seite die Journalisten aus Ländern, die Hitler gern ausradiert hätte") und schreibt über den »12 Uhr Blatt«-Artikel: »Man sträubt sich, das ekelhafte,
das mörderische Getön weiter zu zitieren, weil man das Gefühl hat, es krieche auf einen über.« Aber dann geht auch er, da er sein Räsonnement nicht durch Recherchen stützen kann, vor Höfers Ehrenwort ("hineinredigiert") in die Knie: »Das muß man ihm glauben.«
Man muß, man darf ihm gar nichts glauben. Denn Werner Höfers am 20. September 1943 erschienener »12 Uhr Blatt«-Artikel »Künstler - Beispiel und Vorbild« (wohlgemerkt: Beispiel und Vorbild im Nazi-Reich) wäre ohne die zynische Hinrichtungspointe ein Torso. Diese schlichte Wahrheit hat in »Musik im NS-Staat« schon Fred K. Prieberg formuliert: »Nur machte Anlage und Tendenz gerade dieses Artikels Änderungen überflüssig, so exakt und dramaturgisch korrekt ist er auf den Schlußeffekt - eben die Sache Kreiten - hingearbeitet, und ohne ihre Erwähnung wäre er völlig sinnlos gewesen.«
Die Tendenz des Artikels nämlich ist ein Durchhaltefeuilleton, das die deutsche »Zuversicht«- im Krieg als Heldentum feiert und die aus Angst oder Einsicht geborenen »Zweifel« zum Verbrechen stempelt. So lautet die Passage, die der angeblich hineinredigierten Kreiten-Stelle unmittelbar vorausgeht: »Von keinem Künstler werden Volksreden erwartet, wohl aber, daß er dort, wo er sich durch Worte oder Taten bemerkbar macht und aufgrund seines Ansehens doppelt auffällig bemerkbar machen muß, es mit positivem Erfolg tut: durch Worte, die bei seinen Zuhörern einen Zuwachs an aufrechter Gesinnung bewirken, durch Taten, die bei seinen ''Zuschauern'' - und seien es nur die Nachbarn seines bombardierten Hauses - einen Gewinn an unverdrossener Haltung wecken.«
Das war der Höfer-Ton in der Nazi-Publizistik. Noch angesichts des privaten Jammers »aufrechte Gesinnung« und »unverdrossene Haltung« zu bewahren - das verlangte Höfer von seinen »Volksgenossen« nicht nur in diesem, sondern in nahezu allen seinen Artikeln. Und eben diese unverdrossene Haltung hat der Pianist Kreiten in der gnadenlosen Optik des Journalisten Höfer vermissen lassen. Der Zweifler Kreiten war für den Ideologen Höfer eine Verkörperung jener »Charakterschwächen« (Verantwortungslosigkeit, Feigheit, mangelnde Kriegsbegeisterung), vor denen Höfer in seinen »12 Uhr Blatt«-Feuilletons immer wieder gewarnt hat. Und darum hatte Kreiten aus Höfers Sicht völlig zu Recht sein Leben verwirkt.
Nach Höfers Geschmack mußte Karlrobert Kreiten der »strengen Bestrafung« vor allem auch deswegen zugeführt werden, weil der Pianist zur deutschen Prominenz gehörte. An die klaglose Loyalität der »Privilegierten« hat Höfer in seinen Artikeln ungezählte Male appelliert. Daß der »berühmte Mann« dem »namenlosen Arbeiter« gegenüber keinerlei »Vorrechte« genießen dürfe, sondern seine »weithin wirkende Autorität« dem »gemeinsamen Kampf« zur Verfügung stellen müsse, war das Thema des Autors Höfer.
Auch im strittigen Artikel klingt es bereits lange vor der »von fremder Hand hinzugefügten« Stelle an und gipfelt dann in dem für Höfer damals typischen Satz: »Gerade Prominenz verpflichtet!« Und ausgerechnet dieses Motiv, das die oft variierte Erkennungsmelodie des Feuilletonisten Höfer war, soll man ihm am 20. September 1943 plötzlich »hineinredigiert« haben müssen?
Als seine vermeintlich beste Karte hat Werner Höfer stets den lakonischen Hinweis präsentiert, Karlrobert Kreiten werde in seinem »12 Uhr Blatt«-Artikel namentlich ja gar nicht erwähnt. Von diesem fabelhaften Ruhekissen aus antwortete er am 26. September dieses Jahres noch auf die Interviewfrage der »taz": »War Ihnen denn Karlrobert Kreiten ein Begriff damals?« mit einem siegessicheren »Nein«. Das Ruhekissen könnte sich nun als Nagelbett erweisen. Nicht nur, weil es 1943 nur diesen einen publizierten Fall eines hingerichteten Musikers gab und Höfer folglich nur Kreiten gemeint haben konnte.
Sondern weil (was auch Prieberg noch nicht wußte) die Hinrichtungsmeldung der Nachrichtenagentur »dnb« vom 14. September 1943 einen Tag später auf Seite 2 auch im »12 Uhr Blatt« gedruckt zu lesen war. Höfers Nachruf auf Kreiten (nota bene: »kein Begriff") war sein Kommentar zu dieser Meldung im eigenen Blatt. Warum aber hat er dann Kreitens Namen verschwiegen? Weil Höfer den »ehrvergessenen Künstler« einer namentlichen Erwähnung wohl einfach nicht für würdig hielt. Für diese Deutung spricht, daß er auch die Namen anderer »Prominenter«, deren mangelnde Begeisterung für den Nazi-Staat ihn empörte, in seinen Artikeln bezeichnenderweise nie genannt hat.
Fatalerweise hat sich die Werner-Höfer-Kritik immer nur auf die Kreiten-Passage fixiert. Nur, was hat er sonst geschrieben und in welcher Journaille? Das »12 Uhr Blatt« war nicht irgendeine gleichgeschaltete Zeitung in Berlin. Das »12 Uhr Blatt« war eine Nazi-Gazette, deren vornehmste Aufgabe darin bestand, den Eroberungskrieg ("die schneidigen Angriffe der Kameraden") zu verherrlichen. Nehmen wir die Titelseite einer beliebigen Ausgabe, in der (am 15. Mai 1944) auch Höfer noch zeichnete. »Ausführlicher Bericht über den Abschluß des heroischen Kampfes auf der Krim«; »Stadt Löwen geschändet. Kulturbarbarei ohnegleichen«; »604 Sowjetflugzeuge vernichtet«.
In diesem Nazi-Blatt, dessen Schlagzeilen das bombardierte London als »Paradies der Geisteskranken« verhöhnten und auf dessen Seiten 2 und 3 »Drahtberichte von unserem SS-Korrespondenten« die Leser informierten, war wenige Seiten später Werner Höfer der Star des Feuilletons. Zwar war Höfer kein Redakteur des »12 Uhr Blattes«. Aber während die meisten anderen Feuilletonisten ihre Beiträge entweder gar nicht, nur mit ihrem Kürzel oder namentlich nur unterzeichnen durften, standen die Artikel _(Bei der Verleihung 1973 mit Heinz Kühn, ) _(Ministerpräsident von ) _(Nordrhein-Westfalen, WDR-Intendant Klaus ) _(von Bismarck und Hörfunk-Direktor Fritz ) _(Brühl. )
des »freien Mitarbeiters« Werner Höfer regelmäßig mit der fettgedrucken Namenszeile im Blatt.
Solche Privilegien jedoch genossen nur 100prozentige Gewährsleute - auf deren Elaborate man sich ideologisch blind verlassen konnte. Der Dortmunder Sozialwissenschaftler und Zeitungshistoriker Professor Rolf Taubert hält Höfers Ehrenwort in der Kreiten-Affäre aber nicht nur aus diesem Grunde für eine »Märchenerzählung«. Taubert gibt auch zu bedenken: Die Schriftleitung eines Nazi-Blattes, die ihrem freien Mitarbeiter ideologisch »hineinredigieren« muß, »hätte sich das zweimal angesehen und den Mann dann gefeuert«. Und warum hat umgekehrt Höfer, obwohl die Redaktion ihn immerhin mit einer Hinrichtungshymne belastete, nicht die geringsten Probleme dabei empfunden, bereits in der nächsten Woche und in den Wochen danach erneut für sie zu schreiben?
Diesen Artikeln (siehe Kasten Seite 162) hat Werner Höfer in einem »Playboy«-Interview selbstgerecht zugute gehalten, daß in ihnen »in einem negativen Sinn« nirgendwo »das Wort Jude« geschrieben stünde. Tatsächlich war Höfer ein Nazi-Skribent, der mit dem Weichzeichner zu Werke ging. Ein völkischer Beobachter des Feuilletons mit Kreide im Munde - der noch in seinem Galgenlied einen blümeranten Ton anschlug. Und ein Durchhalte-Barde von der feinsinnigen Sorte, der noch das Elend der Menschen im Kriege als Sommerfrische verkaufte.
Werner Höfer hat im Sommer dieses Jahres für seine Verdienste um das deutsche Fernsehen und den Rundfunk den »Eduard-Rhein-Ring« verliehen bekommen. Karlrobert Kreiten ist in den einschlägigen Musiklexika noch immer nicht zu finden; anders als seine Denunziantin Tiny von Passavent, geb. Debüser, deren das »Tonkünstler-Lexikon« gedenkt. Dafür wurde Kreiten inzwischen mit zwei Theaterstücken (von Heinrich Riemenschneider in Düsseldorf und Hartmut Lange in Berlin) - und mit einer in Bonn nach ihm benannten Straße geehrt. Nur 25 Kilometer entfernt ist, mit nach wie vor gußeisernem Gewissen, Werner Höfer zu Hause.
Nur, manchmal gerät sogar dieses Gewissen in Panik. Als Werner Höfer im Frühjahr der Berliner Schauspieler Carl Raddatz anrief, um ihm mitzuteilen, er wolle ihn anläßlich von dessen 75. Geburtstag zu einem Fernsehinterview einladen, entspann sich ein vielsagender Dialog. Raddatz: »Ich muß Ihnen zunächst erklären, daß ich im vergangenen Jahr auf einer Karlrobert-Kreiten-Gedenkfeier ein ''Requiem'' gesprochen habe.« Höfer: »Ich verstehe, dann können wir die Sache wohl vergessen.« Sprach so und legte grußlos auf.
Bei der Verleihung 1973 mit Heinz Kühn, Ministerpräsident vonNordrhein-Westfalen, WDR-Intendant Klaus von Bismarck undHörfunk-Direktor Fritz Brühl.