STRITTMATTER Tod im Offenstall
Die Bürgermeisterin des ostelbischen Fleckens Blumenau in der DDR, Frieda Simson, verlangt Ruhe im Raum: »Ich bitte um Ernstaufbringung.«
In bestem Parteideutsch macht die SED-Genossin sodann »prinzipielle Ausführungen": Das einzelbäuerliche Element müsse sich mittels zu leistender Dorfharmonie bei der gründlich zu durchdenkenden Erntefestgestaltung an die LPG herangezogen fühlen.
Zum Zeitpunkt dieses Erntefestes aber ist der Held der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) »Blühendes Feld«, Ole Hansen, genannt »Ole Bienkopp«, schon ein gebrochener Mann. Wenig später wird sich der überzeugte Kommunist, von der Partei nacheinander verdammt, gelobt und abermals verdammt, auf der Suche nach gutem Ackerboden für die Blumenauer LPG das eigene Grab schaufeln: Ole, der den Quertreibereien der Partei und den »papiernen Seelen« der SED-Funktionäre nicht gewachsen war, stirbt an Enttäuschung und Überanstrengung in einer von ihm selbst ausgehobenen Mergel-Mulde.
Seit Erwin Strittmatter, stellvertretender Vorsitzender des DDR-Schriftstellerverbandes, die Geschichte von Größe und Elend des Kolchospioniers Ole Bienkopp geschrieben hat, schwillt in DDR-Zeitungen eine Kritiker- und Leser-Debatte über Strittmatters unorthodoxen LPG-Roman ohne Happy -End*.
Dabei hatte Strittmatter bisher keineswegs - wie etwa der Dramatiker Peter Hacks und der Lyriker Günter Kunert - zu den in der DDR umstrittenen Autoren gehört. Die Karriere des heute 51jährigen Strittmatter begann erst nach dem Krieg. Vorher hatte sich der Kleinbauernsohn aus der Niederlausitz als Bäckerlehrling, Chauffeur, Kellner und Arbeiter in einer Zellstofffabrik versucht. »Mit Schopenhauer und Rilke« war er in den Krieg gezogen. 1947 trat er der SED bei, und unter Ulbricht fand er zur Literatur und zurück zur Landwirtschaft: Er wurde einer der linientreuesten DDR-Schriftsteller und ein nicht minder strammer Neubauer - 1958 überführte er seine eigene Pony-Zucht in die Kolchose des Dorfes Dollgow.
Von Ackerbau und Viehzucht, von Land und Landleuten, Partei und Boden handelt denn auch fast alles, was der mehrfach mit dem DDR-Nationalpreis ausgezeichnete Strittmatter bisher geschrieben hat, so der autobiographische Roman »Ochsenkutscher«, so die Romane »Tinko« und »Der Wundertäter«, so das Schauspiel »Die Holländerbraut«. 1952 entstand unter Bertolt Brechts Patronage Strittmatters Bauernkomödie »Katzgraben«, laut Brecht »das erste Stück, das den modernen Klassenkampf auf dem Dorf auf die deutsche Bühne bringt«.
So linientreu und stilarm Strittmatter auch schrieb, er ödete seine Leser wenigstens nicht - wie manche andere DDR-Autoren - mit dürren ideologischen Traktaten an. Die Helden seiner oft skurril-einfallsreichen Dorfgeschichten sind Kinder und Käuze, sind Sonderlinge und Einzelgänger, die von der SED zu Heldentaten im Dienst am Sozialismus erweckt werden. Der westdeutsche Kritiker Marcel Reich-Ranicki charakterisiert den »volkstümlich-urwüchsigen« Heimatdichter Strittmatter: »Handfest ist sein Humor, simpel und hausbacken. Er verschmäht weder geschmacklose noch vulgäre Scherze ... aber zuweilen - am häufigsten im 'Wundertäter' - wartet er auch mit treffenden satirischen Akzenten auf.«
Diese Qualitäten verhalfen Strittmatter in der DDR zu einer Popularität, die auch in der Bundesrepublik vermerkt wurde. 1961 wollte der Frankfurter S. Fischer Verlag den DDR-Autor auch westdeutschen Lesern nahebringen. Aber nach Ulbrichts Mauerbau hielt der Verlag die schon versandfertige Auflage von Strittmatters »Wundertäter« -Roman zurück. In der »Welt« hatte, eingesandt vom DDR-Flüchtling und Schriftsteller Peter Jokostra, ein Strittmatter-Wort zum 17. Juni 1953 gestanden: »Ohne Zweifel sind zahlreiche Provokateure, Verbrecher und Faschisten aus Westberlin und Westdeutschland eingeschleust worden. Die Verbrechen bei den Unruhen kommen auf ihr Konto. Man muß sie mit Hilfe der Bevölkerung entlarven und hart bestrafen.«
Daß nun gerade dieser Mustermann unter den DDR-Schriftstellern mit seinem neuesten Werk, mit »Ole Bienkopp«, die Weisheit der Partei auf dem Lande in Frage stellt, mußte die ostdeutschen Genossen besonders verwirren. Die Ostberliner Kulturzeitschrift »Sonntag« eröffnete den Strittmatter-Streit mit drei Fragen an ihre Leser: »Ist der Roman parteilich und lebenswahr? Ist 'Ole Bienkopp' ein optimistisches Buch? Möchten Sie Ole Bienkopp sein?«
Wer die letzte Frage positiv beantwortet, versetzt sich in einen Frühheimkehrer, der schon 1945 die Kollektivierung der Landwirtschaft fordert und allein dafür kämpfen muß. Als Mitstreiter gewinnt Bienkopp zunächst nur einige mittellose Kleinbauern und den Dorftrottel Hermann, der Bienkopp für »Gottes zweiten Direktor« hält.
Die Klassenfeinde versuchen Oles visionäres Projekt zu sabotieren: Großbauer Serno hetzt gegen den Kolchospionier; Sägewerksbesitzer Ramsch, der seidene Unterwäsche trägt und mit amerikanischen Vokabeln protzt, verführt Bienkopps Frau, verprügelt den betrogenen Ehemann und ermordet den örtlichen SED-Sekretär. Doch die Partei hilft Ole Bienkopp nicht. Für sie ist Oles idealistisch-eigenmächtiger Aufbruch in die sozialistische Zukunft parteischädigendes Verhalten. Erst im Juli 1952 wird Bienkopp rehabilitiert, die Kollektivierung gutgeheißen.
Nun aber beginnt erst wirklich die Passion des Strittmatter-Helden. Gegen die Klassenfeinde konnte er sich wehren, gegen die Pfuscher im eigenen Lager, die nur nach hektographierten Direktiven vom Schreibtisch aus handeln, ist er machtlos. SED-Kreissekretär Wunschgetreu beispielsweise vergrößert den Viehbestand der Kolchose, vergißt aber, zusätzliches Futter zu bestellen. Bürgermeisterin Frieda Simson ist für die Idee des »Offenstalls« entflammt, durch den Baumaterial eingespart werden soll - aber im Offenstall fallen teure Devisen-Kühe aus Schweden einem Nachtfrost zum Opfer.
Die Partei macht für diese Panne jedoch nicht Frieda, sondern Ole Bienkopp verantwortlich. Ole wird als LPG -Vorsitzender abgelöst und zur Rechenschaft gezogen. Strittmatter: »Ole Bienkopp kam 1905 Jahre nach dem von Gott gezeugten Schreinersohn Christus auf die Welt. Er nahm sein Kreuz auf sich und stolperte davon.«
Der verkannte Idealist und Einzelgänger, der zwar durchaus die Agrarpolitik der SED vertritt, der aber auch das Recht zum Handeln ohne oder gegen die Partei beansprucht, stolpert enttäuscht in den Tod.
An diesem unglücklichen Ausgang des Konflikts zwischen Oles »Eigensinn ohne Eigennutz« und der Partei entzündete sich die Diskussion. »Die Partei«, so lautete das Ergebnis von zwei Seminar-Debatten, die am Berliner Institut für Germanistik über Strittmatters »Ole Bienkopp« geführt wurden, »wird in dem Roman zu einem Apparat des Dogmatismus und der Bürokratie, der eine neue Klassenposition zu den Menschen einnimmt.« Und: »An entscheidenden Stellen versagt die Partei.«
Unakademisch schrieben dasselbe einige »Bienkopp«-Leser dem »Sonntag« auf seine Fragen. So eine Edith Zeise aus Dresden: »Ole war der Wegbereiter für unsere sozialistischen Produktionsgenossenschaften auf dem Lande. Trotz aller Widersprüche ist unser Ole unsterblich! Wir wollen in Deinem Sinne weiterkämpfen, lieber Ole, gemeinsam für unsere gute Sache.«
Dem Leser Wolfgang Karalus aus Schwedt fiel auf, »daß Bienkopp einen verzweifelten Zwei-Fronten-Krieg führt ... rechts von ihm stehen die alten Feinde ... die Vertreter des Dorfkapitals, links von ihm stehen 'neue Feinde': Bürokraten, Dogmatiker, Schwätzer und Ignoranten«.
Um die Bienkopp-Kontroverse in die richtige Bahn zu lenken und alle Leser zum rechten Verständnis von Oles Tragödie anzuleiten, sah sich der »Sonntag« zu einer »Zwischenbemerkung« genötigt: »Strittmatter hat mit seinem Buch einen sehr deutlich operativen Zweck verfolgt: seiner Partei zu helfen, mit Erscheinungen fertig zu werden, die das Wirksamwerden ihrer Bestrebungen auch in der Leitung beeinträchtigen.«
Auch der Autor des irregulären positiven Helden Ole Bienkopp, Erwin Strittmatter, trug ein Bekenntnis der Loyalität bei: »Ich habe dieses Buch als Funktionär geschrieben und habe mich mit vielen Funktionären darüber unterhalten. Es gibt bei uns viele, die wie Funktionäre denken, ohne es zu sein.
* Erwin Strittmatter: »Ole Bienkopp«. Aufbau-Verlag, (Ost-)Berlin, 428 Seiten; 8,10 Mark.
DDR-Autor Strittmatter
Ein Grob im Acker der LPG