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JAHNN-PREMIERE Tod unterm Regenbogen

aus DER SPIEGEL 14/1961

»Sie tun das Falsche! Sie hoffen!« schreit der Laufbursche Robert die Frau des Physikers Chervat an, als sie zögert, drei wartenden Jünglingen die bereitgelegten Giftampullen zu verabreichen. Ein vierter Jüngling, der Indio Tiripa, liegt bereits tot am Boden. Er hat Exzellenz Sarkis, den »Obmann einer hohen Regierungskommission«, erdolcht und ist daraufhin von dessen Leibwächter mit zwei Schüssen niedergestreckt worden.

Der Hausherr, der Physiker Jakob Chervat, »Präsident einer Forschungsgemeinschaft« und »Ratgeber einer hohen Regierungskommission«, liegt ebenfalls tot in der Halle des Hauses, »Schaum und Speichel im Gesicht«. Er hat Blausäure genommen. Und ein Hausgast, der schöne 19jährige Arran, ist vom verräterischen Hausdiener so übel zugerichtet worden, daß er allen Grund hat, sein Testament zu machen.

Mit diesem komplizierten Massensterben endet das nachgelassene, von Erwin Piscator und Karlheinz Braun für die Bühne eingerichtete Schauspiel des Schriftstellers Hans Henny Jahnn »Der staubige Regenbogen«, dessen Uraufführung im provisorischen »Kleinen Haus« der Städtischen Bühnen Frankfurt zelebriert wurde. Das letzte Schauspiel des 1959 verstorbenen Jahnn, der vor Jahren mit seinem spätexpressionistischen Stück »Armut, Reichtum, Mensch und Tier« Aufsehen gemacht hatte, das Drama »Thomas Chatterton«, war noch zu Lebzeiten des Dramatikers von Gustaf Gründgens in Hamburg uraufgeführt worden.

Indes: Das in Frankfurter Vorankündigungen versprochene »wichtige Bühnenereignis« blieb aus. Zwar genügte der Ruf des Autors Jahnn, der sich selbst als »übelbeleumdeten Schriftsteller« bezeichnet hatte, um der Aufführung im Konzert der Premieren exzeptionelles Gewicht zu geben. »Die Premierenabonnenten müssen zusammenrücken«, berichtete Friedrich Luft in der »Welt«. »Ganze Parkettreihen sind okkupiert von bebrillten Uraufführungsauguren«. Und in der »Frankfurter Allgemeinen« schrieb Karl Korn: »Da ... unter Fachleuten bekannt war, daß der staubige Regenbogen ein engagiertes Stück gegen alles, was mit der Atomrüstung zusammenhängt, sei, war man auf Sensation gefaßt.«

Aber die Reihen lichteten sich, ehe noch die sieben Bilder - das letzte trägt den beziehungsvollen Titel »Remis« - dieses dramatischen Vermächtnisses vorüber waren. Die verlassenen Sitze zeugten für jene, die gekommen waren, ein Atomstück zu sehen, sich jedoch bald allerlei erotischen Eigenarten konfrontiert sahen.

Der Jahnn-Bearbeiter Karlheinz Braun, der die ungekürzt, auf sieben Stunden Spieldauer geschätzten Textmassen auf drei Stunden komprimierte,

gibt allerdings an, das Schauspiel »Der staubige Regenbogen« solle gar kein Atomstück sein, »obgleich es vom Atom handelt«. Es stelle vielmehr »eine neue Art von Tragik im Gefolge unserer neuen Übungen« dar. Unter »unseren neuen Übungen« versteht Braun, nach Jahnn, »alle im Namen eines wissenschaftlichen Fortschritts unternommenen Versuche des modernen Menschen, die Leben bedrohen und vernichten«.

Für den 1894 in Stellingen geborenen Dichter, Pferdezüchter, Hormonforscher, Bauern und Orgelbauer Hans Henny Jahnn war aber doch eine dieser »neuen Übungen« die Kernforschung. Sie macht, daß die Menschen unter »einem staubigen Regenbogen« leben. »Er sei verflucht«, kommentiert eine Witwe namens Ebba, die in Jahnns Stück mitspielt.

Die Personen des »Regenbogen«-Dranlas leben in einer sogenannten Atomstadt zwar luxuriös, aber von der Außenwelt abgeriegelt. Herrscher über die

Stadt der Laboratorien, Bunker und Meiler ist Botschafter Sarkis, der mit forciertem Bau der Atom- und Kobaltbombe »die Erdzerstörung betreibt«.

Die Kernwaffen-Formeln, deren Schönheit und Unbestechlichkeit man rühmt, liefert der Physiker Jakob Chervat. Mit seiner Frau Jeanne und seinem strahlenkranken Sohn Elia - eine schon vor der Geburt strahlungsgeschädigte Tochter erwürgen die Eheleute in der Wiege - ist der Physiker in eine prunkvolle Luxusvilla gesperrt, die das »Goldene Haus« genannt wird.

Weil man ihm die gewaltige Zahl der Todesopfer einer Atom-Meiler-Explosion verschwieg - erst sein Freund Ducasse, Redakteur einer Arbeiterzeitung, klärt ihn über den wahren Sachverhalt auf -, wird Chervat endlich zum rebellischen Atomgegner. Er durchschaut die Kriegspläne des Sarkis und weiht seinen Schulfreund Ducasse sowie drei Jünglinge, die sich in seinem Haus regelmäßig zu geheimnisschwangeren Diskussionen treffen, in sein Wissen ein: Chervat plant, den Botschafter Sarkis zu töten.

Dabei setzt der Atomphysiker Chervat gewisse Hoffnungen auf die Jünglinge, die ihn allerdings enttäuschen. Exakt nennen sie das, wozu sie sich zusammenschließen, den »Bund der Schwachen«. Das Bild vom Knaben, das Jahnn in seinen früheren Werken liebevoll entworfen hatte - etwa in seinem Drama »Pastor Ephraim Magnus« oder in seinem Roman »Perrudja« -, hat sich unter dem staubigen Regenbogen in sein verseuchtes Gegenteil verkehrt.

Überhaupt machen die Konflikte, in die Jahnn seinen Atomphysiker bringt - Chervat fühlt sich persönlich schuldig für das Kollektiv der Atomwissenschaftler -, nur einen Teil dieses Diskussionsstücks aus. In den Vordergrund drängen sich vielmehr Themen, die weniger für eine Anklage gegen die mißbrauchte Kernforschung als für den Autor charakteristisch sind. Ort der Handlung ist nicht nur die Atomstadt, sondern erst recht jener Bereich, den Jahnn die »verwilderte Innenlandschaft des Fleisches« genannt hat.

Bereits im zweiten Bild treten Personen auf, die zwar noch mit den Gegenspielern Sarkis und Chervat, aber nichts mehr mit deren Problemen zu tun haben. Witwe Ebba liebt den Sekretär von Sarkis, ihr Sohn Arran liebt die Sekretärs-Tochter Lucie, aber beide, Mutter wie Sohn, lieben auch noch anderweitig. Weil nämlich Arran das Ebenbild seines verstorbenen Vaters ist; gerät die Mutterliebe Ebbas in Gefahr, das gemeinhin übliche Maß zu übersteigen.

Arran wiederum treibt, weil er einer »unvorteilhaften Blutgruppe« angehört, seine Freundin Lucie in die Arme eines nichtssagenden, doch gesunden jungen Mannes. Gleichzeitig aber will er mit einer sonderbaren Hormonkur - besonders während seiner Emigrationsjahre auf der dänischen Insel Bornholm hatte sich Jahnn der Hormonforschung gewidmet - seinem kahlköpfigen, von radioaktiver Strahlung verseuchten Freund, dem Chervat-Sohn Elia ("Er ist kein Mann wie es im Buche steht") helfen: »Ich liefere gesunden, sterilen Harn. Gut filtrierte und genau gewogene und gemischte Hormone.«

Der dritte im Bunde, der junge Indio Tiripa - er ist der Letzte seines Stammes, der von Ölsuchern völlig ausgerottet wurde -, ist auch mit Arrans eigenwilliger Hormonkur, mit den »gesunden Säften und Hormonen« seines Gespielen, nicht mehr zu retten. Ein im Stück nicht auftretender Professor hatte ihn zum Versuchsobjekt einer seltsamen Chromosomen-Forschung gemacht - »und sah zu, wie Tiripas unverdorbene Lenden versiegten«.

Unter dem Motto: »Wir lieben einander. Keiner soll uns weismachen, daß es in der Liebe noch Regeln gäbe. Wir sind die Letzten. Wir haben nur uns. Uns im Rücken stehen keine Nachkommen«, treffen sich die also Gezeichneten zu geheimnisvollen Sitzungen, bei denen sie versuchen, alle herkömmlichen Lebensregeln über Bord zu werfen und einen neuen, der Zeit der Atombombe entsprechenden Stil des Verhaltens zu finden.

Was an Knabenspielen nicht im

Text steht, versucht die Regie unmißverständlich zu verdeutlichen. »Pan keucht über einer Welt, die unter der Angst vor der Bombe ohnehin stöhnt« ("Die Welt"). »Zwischen Wedekind und Kinsey« ("Frankfurter Allgemeine").

Ein vierter Jüngling, den die drei vertrauensselig in ihren Bund aufgenommen haben, verrät schließlich das Komplott gegen Sarkis. Er kann aber nicht verhindern, daß Sarkis von dem Indio erstochen wird. Unterm Sirenengeheul der heranrasenden Polizeiwagen verlangt jedermann nach der Giftampulle.

Im Frankfurter Programmheft ist ein Brief Jahnns abgedruckt, in dem er sich einen »Vorsprung im literarischen Betrieb« zumißt, den er darauf zurückführt, »daß ich wirklich Anstoß errege«. Und: »Anstoß mit Anstand zu erregen, ist ja eine künstlerische Leistung.«

Frankfurter Szenenbild »Der staubige Regenbogen"*: Pan keucht

Dramatiker Jahnn

Zwischen Wedekind und Kinsey

* Milia Fögen und Hannsgeorg Laubenthal als Ehepaar Chervat.

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