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TIERDRESSUR Töne von Backquack

In Science-fiction-Filmen und Werbespots, aber auch als Helfer der Militärs vollbringen Tiere verblüffende Kunststücke -- ihre Dompteure nutzen Ergebnisse der Verhaltensforscher.
aus DER SPIEGEL 15/1979

Die geflügelten Symbole des Friedens trogen: Die Taubensehwärme, die über einer kleinen Farm bei Hot Springs, Arkansas, scheinbar harmlose Flugilbungen absolvierten, wurden für den Kriegseinsatz gedrillt. Im Dienste der amerikanischen Armee sollten sie angreifenden Verbänden voranflattern und rechtzeitig von feindlichen Vorposten Kunde geben. Ein jeder Vogel trug dazu einen Sender, der während des Fluges ein kontinuierliches Signal abstrahlt. Sobald die Taube einen Menschen entdeckte -- und sie spürt auch gut getarnte Gegner auf -,ließ sie sich nieder. Durch die Landung wurde das Funksignal unterbrochen, die plötzliche Funkstille war das Alarmzeichen für die eigene Truppe.

Die Spähtauben, für den Vietnamkrieg geschult, sind nur ein Beispiel für die kommerzielle Nutzung von Erkenntnissen der Instinkt- und Verhaltensforschung, wie sie die Firma »Animal Behavior Enterprises« in Hot Springs im großen Stil betreibt, In der Bundesrepublik hat der 42jährige Münchner Volker Liebhart vor einigen Jahren die tierische Marktlücke entdeckt und sich mit einer Agentur für Film-, Fernseh- und Werbetiere gleichfalls eine Monopolstellung erobert.

Kaum eine gängige Tierart gibt es mehr, die von den Amerikanern oder auch dem Bayern nicht schon zu oft verblüffend anmutenden Dressurleistungen gebracht worden wäre.

Sie könne jedes Tier dazu bringen, »alles zu tun«, was im Bereich seiner »physischen Möglichkeiten« liege, versichert Marian Breland Bailey, Mitbegründerin der US-Dressurfirma.

Der Bereich ist viel weiter als gemeinhin angenommen: Eine Ente etwa bringt bei Animal Behavior Enterprises eine Reihe stabiler Arpeggios auf dem Klavier, Papageien drehen Runden auf Rollschuhen, eingespielte Hasen setzen ein Roulette in Schwung, Hühner picken scheinbar mühelos die beste Hand aus einer Poker-Runde, Waschbären liefern sich gar ein Basketball-Match.

Insgesamt 8000 Tieren aus annähernd 200 verschiedenen Arten -- darunter Kühe, Delphine, Rentiere und Truthähne, aber auch Wale, Schlangen und sogar Kakerlaken -- hat die Tierpsychologin Bailey seit Gründung des Unternehmens im Jahre 1947 so Außergewöhnliches angelernt.

Tierschützer fanden dabei bislang keinen Grund zu Protesten. Denn die Trainingsprogramme beschränken sich ausschließlich darauf, natürliche Verhaltensweisen (etwa das Picken des Huhns) zu nutzen. Wichtigstes Hilfsmittel der Dressuren ist, wie es die Verhaltensforscher nennen, »unmittelbare positive Verstärkung« -- schlicht gesagt: Belohnung. Jedes Tier wird sich immer wieder und schließlich sogar auf Befehl in der gewünschten Weise verhalten, wenn es nur konsequent und lange genug dafür belohnt worden ist.

Belohnung, das bedeutet bei den meisten Tieren, vor allem den Kleintie-

*Mit schwarzem Panther

ren: Futter. Hunger ist der Trieb, mit dem sich am leichtesten arbeiten läßt. Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die ein Tier auf diese Weise einmal buchstäblich »gefressen« hat, wird es kaum je wieder ablegen oder vergessen.

»Wenn wir beispielsweise Burt Backquack, unsere Klavier spielende Ente, zwei Jahrelang von seinem Piano trennen würden«, so Marian Bailey, »wüßte das Tier immer noch genau, was es zu tun hat, wenn es das Instrument wieder sieht.« Höherstehende Tiere, Pferde oder Hunde etwa, reagieren darüber hinaus auch auf sogenannte »soziale Verstärkung« -- Streicheln, Tätscheln, Kraulen oder sogar schon ein paar freundliche Worte.

Mit jenem Wissenschaftler, der solche Erkenntnisse als erster auf Formeln gebracht hat, dem Verhaltensforscher B. F. Skinner, hatte die Psychologin Marian Bailey zu Beginn des letzten Weltkriegs zusammengearbeitet. Schon damals war sie auch an einem Forschungsprogramm Skinners für die US-Armee beteiligt, bei dem abgerichtete Tauben Raketen sicher ins Ziel steuern sollten. Das System kam freilich nie zum Einsatz.

Nach dem Krieg gründete Frau Bailey dann die Animal Behavior Enterprises. Sie dressierten Tiere für Werbezwecke und erfüllten Forschungsaufträge der US-Regierung. »Sie setzten«. kommentierte der alte Skinner, »meine Theorie in die Praxis um und fanden so ihr Auskommen.«

1977 machten die Animal Behavior Enterprises, die ihre Versuchstiere für Showzwecke vermieten, im Vergnügungspark »Animal Wonderland« ausstellen und in Hot Springs außerdem einen eigenen »IQ-Zoo« als Touristen-Attraktion unterhalten, immerhin einen Jahresumsatz von 500 000 Dollar.

Fast ebenso lukrativ läßt sich offenbar das Geschäft des Münchner Allround-Dresseurs Volker Liebhart an. Der weiß freilich auch, wo ein einjähriger Tiger aufzutreiben ist, der sich für Aufnahmen zu einem Plattencover am Schwanz ziehen läßt, kann bei Bedarf selbst im Dezember 200 bunte Schmetterlinge fliegen lassen, und falls die Karl-May-Festspiele einen Braunbären bei ihm bestellen, der zum Schein einen Mann anfällt, so kriegen sie den -- vorausgesetzt, sie können die Tagesgage von 600 Mark bezahlen.

Auf die Idee mit der Tieragentur ist der ehemalige Seemann Liebhart gekommen, als ihn vor gut zehn Jahren auf der Straße ein Photograph ansprach und seinen Zwergspaniel für Modeaufnahmen mieten wollte. Honorar: 20 Mark. Der nächste, ein Kinderphotograph, bot bereits 300. Liebhart: »Da merkte ich, daß ich in eine Marktlücke getreten war.«

Mittlerweile kassieren seine Tiere Spitzengagen zwischen 50 und 30 000 Mark. Liebhart hat in seiner Kartei die Namen von rund 30 Tierhaltern in aller Welt gespeichert, darunter Züchter, Privatzoos, kleine Wanderzirkusse, Bauern. Nur so vermag er von dem Kakerlaken bis zur Boa constrictor binnen kürzester Zeit alles, was da kreucht und fleucht, herbeizuschaffen.

Für die Science-fiction-Serie »Das blaue Palais« von Rainer Erler züchtete er in seinem Keller auf Bestellung 50 Millionen Exemplare der Taufliege, alias Drosophila, mit roten Augen. Dazu hatte er in einem Schweizer Institut einen Schnellkursus in Fliegengenetik absolviert. Als den Fliegen nach Drehschluß dann mit einem Insektenspray der Garaus gemacht wurde, lief es Liebhart nach eigenem Bekunden »eiskalt den Buckel runter, weil ich ja von ihrer Geburt an eng mit ihnen verbunden war«.

Höherstehenden Tieren, Vögeln, Hunden, Elefanten, bringt Liebhart überdies hei, wie sie sich vor der Kamera verhalten müssen. Er erbietet sieh, in 24 Stunden eine wilde Taube zu zähmen und als Liebesbotin abzurichten. Er hält einen Westhighland-Terrier und einen ungarischen Hirtenhund dazu an, den angeborenen Futterneid zu überwinden. So nur können sie dann für einen Hundefutter-Spot über Stuhl und Tisch und schließlich auf den Schrank springen, auf dem die Schachtel mit dem Hundekuchen steht. Getreu der Skinner-Zauberformel von Futter und lob wurden die dazu erforderlichen vielen kleinen Lernschritte allerdings nicht durch die beworbenen Hundekuchen markiert, sondern durch saftige Fleischstücke.

Wie Liebhart erprobte, kann der übermächtige Futtertrieb auch dazu genutzt werden, andere angeborene Eigenschaften zu »löschen«. In vierwöchiger Tag- und Nachtarbeit hat er, mit Unterstützung des Verhaltensforschers Eberhard Trumler, 60 weiße Ratten -- extrem licht- und lärmscheue Tiere -- so abgerichtet, daß sie auf ein Klingelzeichen hin zu einem Futternapf im grellen Kameralicht springen. Die Szene gehörte zur selben Erler-Serie, für die Liebhart schon die rotäugigen Fliegen ins Leben gerufen hatte.

Neuerdings hoffen die amerikanischen Tierpsychologen sogar, natürliches Verhalten, das ihren meist in Gefangenschaft geborenen oder zumindest dort großgezogenen Schützlingen abhanden gekommen ist, mit Hilfe von Skinner-Tricks wieder freilegen zu können.

Bei Animal Behavior Enterprises sollen Zoo-Tiere dazu gebracht werden, sich gegen Belohnung wieder wie ihre Artgenossen auf freier Wildbahn zu verhalten. Zoobesucher, so hoffen die Leute um Marian Breland Bailey, könnten dann die Tiere, die jetzt meist apathisch in ihren Käfigen liegen, etwa nach dem Einwurf einer Münze »in Aktion erleben«.

Doch die angesprochenen Zoo-Direktoren verhalten sich bisher abwartend. Sie sehen in solcher »Zurück-zur-Natur-Dressur« nichts anderes als einen Zirkus-Akt.

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