EISENSTEDT Tojo im Auge
Als der atlantische Sturm Mannschaften und Passagiere unter Deck gefegt hatte, war nur ein Mann noch oben: Alfred Eisenstaedt, festgebunden an der Brücke der »Queen Mary«, photographierte wütiges Wasser und empörtes Element - wie keiner vor ihm.
Und als der »Graf Zeppelin« nach einem Sturm über Rio de Janeiro hoch in der Luft repariert wurde, stand Eisenstaedt dabei und photographierte die Löcher in der Luftschiffhaut.
Lebensgefahr gehörte zum Beruf des Alfred Eisenstaedt, als er jünger und mindestens sechs Monate pro Jahr auf Report-Reisen war. Jetzt ist Eisenstaedt, 67, Vorbild für ungezählte jüngere Lichtbildner, die seine Werke gesammelt in wandernden Ausstellungen und nun in einem Bildband ("Zeuge unserer Zeit« **) betrachten können.
Darin ist fast alles versammelt, was in den letzten drei Jahrzehnten prominent war in Politik, Kultur und Gesellschaft, von Hitler und Göring bis Chruschtschow und Kennedy; die Loren und Jacqueline Kennedy und Marlene Dietrich vor der großen Karriere; »das Auge« (Beiname für Eisenstaedt) sah sie alle schärfer als die Linsen anderer Photographen.
Sir Anthony Eden nannte Eisenstaedt den »sanften Scharfrichter«, und Dichter T. S. Eliot sprach vom »akrobatischen Photographen«, weil Eisenstaedt sich den richtigen Blickwinkel, wenn es sein mußte, auf Leitern, Bäumen oder Türmen erkletterte.
Seinen Blick für das Bild hatte Eisenstaedt an Licht- und Schattenspielen auf Rembrandt- und Rubens-Bildern geschult. 1928 verkaufte er sein erstes Bild ans »Berliner Tageblatt«, drei Jahre später engagierte ihn die Agentur Associated Press, und Eisenstaedt setzte die Welt ins Bild über den abessinischen Krieg, den Mussolini vorbereitete.
Die Emigration aus NS-Deutschland bedeutete für den jüdischen Westpreußen aus Dirschau zugleich Fortkommen: In Amerika arbeitete er mit dem »Time« - und »Life«-Gründer Henry Luce und half, aus »Life« eine illustre Illustrierte (Auflage: über sieben Millionen Exemplare) zu machen. Seit 1936 hat er für die Zeitschrift die meisten Titelbilder und Reportagen photographiert.
Er bildete alles ab, Flora und Fauna, Zeitgenossen und die Zeit. Er suchte den Augen-Blick, der typisch ist für einen Menschen, den entscheidenden Moment einer Szene. Er war zur rechten Zeit am rechten Ort, und bisweilen stellte er den Kontakt zum Objekt ungewöhnlich her: Den Blick des besiegten Japan-Generals lenkte er mit dem Ruf »He, Tojo, schau her« auf sich.
Vom Photographieren will der Kamera-Künstler so bald nicht lassen. »Wenn ich einmal neunzig bin«, sagt er, »dann stelle ich die Kamera auf ein Stativ und warte, bis ein Vöglein geflogen kommt.
** Alfred Eisenstaedt: »Witness to Our Time«. Verlag The Viking Press, New York; 344 Seiten; 16,50 Dollar.
Photograph Eisenstaedt, Sophia Loren*
Klick vom Baum
Eisenstaedt-Photo General Tojo
Blick vom Besiegten
* Vor einem Eisenstaedt-Photo der Sophia
Loren.