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THEATER / AUDIBERTI Tonnen voll Samens

aus DER SPIEGEL 18/1967

Zwei Jahrzehnte lang verblüffte, verstörte, düpierte und überforderte er Kritiker und Publikum.

Der Franzose Jacques Seraphin Audiberti von der Côte d'Azur wollte die Wörter zum Leben erwecken, selbst außerhalb des Sinns, den man ihnen gewöhnlich gibt«, und das ist ihm vortrefflich gelungen.

Die Wörter seiner Gedichte, Essays, Romane und vor allem seiner Dramen wucherten immer wieder zu einem phantastischen Märchen-Urwald, in dem barocke Metaphern und mysteriöse Symbole, saftig Reales und gruslig Groteskes wunderliche Stilblüten trieben -- der poetischen Sprache Sinn, wenn überhaupt vorhanden, blieb oft verborgen.

»Tonnen voll Samens«, so hatte der Maurermeistersohn aus Antibes, der sich als Nachfahr des Nationaldichters Victor Hugo (1802 bis 1885) empfand, einst einen Gedichtband betitelt. Er schätzte nun einmal die Fruchtbarkeit -Resultat: sieben Gedichtbände, über 20 Romane und an die 20 Theaterstücke.

Und da er in jeden Wind säte, erntete er bisweilen auch einen Sturm von Protesten: Seine Landsleute, die ihn lange übersehen hatten -- die Absurdität des Iren Samuel Beckett und des Rumänen Eugène Ionesco war ihnen verständlicher-, pfiffen seine »Ameyß im Fleische« aus. Auch die Deutschen, die ihn früh auf die Bühne brachten, buhten mitunter, wenn sein ausschweifendes Spiel zwischen Schein und Sein sich im Schwall der Suaden verlor.

Den ehemaligen Gerichtsschreiber in Antibes und späteren Lokal- und Polizeireporter in Paris, der erst nach dem Zweiten Weltkrieg seine Dramatikerkarriere begann, kümmerten die Pfiff e wenig. Unbekümmert ließ er weiter seine effektreichen Feuerwerke im Theater explodieren; zwei Jahre nach seinem Magenkrebs-Tod in Paris folgt nun ein Nachbrenner. In dieser Woche wird sein hinterlassenes Stück »Das Schilderhaus« uraufgeführt -- auf deutsch in Frankfurt am Main.

Audibertis Schilderhaus steht »in den herrlichen Gärten des fürstlichen Palastes Massacan«, wo die Prinzessin Babiotta -- 17 Jahr, blondes Haar -- auf ihre Krönung wartet.

Aber der Regent, Herzog Ferdinand, läßt dem Volk kundtun, daß die Kleine Soldaten frißt; er erhofft sich von dieser Falschmeldung einen Aufstand der Massen zu seinen Gunsten gegen die friedfertige, verschwärmt-philanthropische Prinzessin.

Die Revolution bricht los -- und ab. Der Schildwächter, ein guter Tölpel namens Médard, springt in die Bresche: Er offenbart den anstürmenden Bürgern, daß die Prinzessin Makkaroni ißt und sonst gar nichts.

Auch im zweiten Teil, im Paris der Französischen Revolution, holt Médard, mittlerweile republikanischer Gendarm, für seine Herrschaft die Kohlen aus dem Feuer: Er schießt, gleich seinem historischen Fast-Namensvetter Méda, dem Revolutionstyrannen Robespierre die Kinnlade kaputt und errettet so seine Adligen vor der Guillotine -- die Schreckenstage Robespierres sind vorbei.

Als neuer Volkstribun freilich kommt der arme Médard nicht in Frage -- dazu ist er zu dämlich. Der Herzog, der sich als eine Art Geschichtslenker entpuppt, weiß einen Besseren: »General Napoleon Buonaparte ... zur Zeit wohnt er, warten Sie, bei seiner Schwester in Antibes. Bitten Sie ihn en passant, mich dringlichst aufzusuchen.

Die putzige Historie von der Vergeblichkeit aller Revolutionen hat einen Touch von Testament. Es eröffnet freilich auch, daß die letzten Werke nicht immer die besten sind.

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