KINO Tränen des Stolzes
Schnauzbärtige Kosaken reiten in einer weiten Hügellandschaft dem Feind entgegen, tollkühn schwingen sie ihre Säbel. Dazu erklingt aus dem Off eine Frage, die ihre Antwort im Grunde schon enthält: »Gibt es eine Kraft, die es mit der russischen aufnehmen könnte?« Nein, gibt es natürlich nicht. Beifall brandet auf im gutbesuchten Filmtheater »Oktober« an der Moskauer Flanierstraße Arbat.
Bei den Zuschauern, meist jungen Russen zwischen 18 und Mitte 30, kommt die Botschaft des neuen Monumentalfilms »Taras Bulba« laut und deutlich an: Die Russen dürfen wieder stolz sein auf ihre Vergangenheit, ihre Wurzeln, ihre Kultur. Darauf, dass sie etwas Besonderes sind.
Das hört ein Volk gern, das nach dem Ende der Sowjetunion - gerüttelt von Systemwechsel und Wirtschaftskrisen - noch immer nach seiner Identität sucht.
Mit einer Welle patriotischer Filme feiert das russische Kino zurzeit seine Wiederauferstehung. Und das ist ganz im Sinne von Premierminister Wladimir Putin, der jetzt einem Rat zur »Entwicklung des vaterländischen Kinos« vorsteht. Bei einem Treffen mit Regisseuren, darunter dem stets staatstreu-nationalistischen Oscar-Gewinner Nikita Michalkow, 63, lobte der Regierungschef den »bedeutenden Aufschwung« der vaterländischen Kino-Industrie. Im Film sieht er ein »äußerst wichtiges Mittel der Erziehung und Bildung«.
In die Kinos zwischen Kaliningrad und Wladiwostok strömten im vergangenen Jahr 124 Millionen Menschen, was in Europa immerhin Platz vier hinter Frankreich, Großbritannien und Deutschland bedeutet. Den Aufschwung bringen vor allem vaterlandsverherrlichende Blockbuster, die gern Kämpfer und Krieger der vorsowjetischen Vergangenheit feiern, Träger des gesunden Volksgeistes und der russischen Orthodoxie.
Vor der gegenwärtigen Finanzkrise schüttete Kulturvizeminister Alexander Golutwa jährlich rund 60 Millionen Euro Fördergelder an Filmproduzenten aus. 120 Projekte sind in den großen Moskauer Mosfilm-Studios in Arbeit. Zum Vergleich: Nach einem beispiellosen Niedergang der nationalen Filmkunst wurden in den Neunzigern jährlich kaum mehr als ein Dutzend Filme im Land gedreht.
Jetzt spielte das Kosaken-Epos »Taras Bulba« nach der gleichnamigen Erzählung von Nikolai Gogol in zwei Wochen umgerechnet elf Millionen Euro ein. Inzwischen sahen den Film schon mehr als vier Millionen Zuschauer.
Die Geschichte des Kosaken-Führers weckt massenhafte Begeisterung und rührt manche »zu Tränen des Stolzes auf unsere Heimat«, so eine junge Frau im Filmtheater »Oktober«. Immer wieder beschwört »Taras Bulba« die »russische Seele und Erde«.
Gedreht wurde das Werk von Wladimir Bortko. Kerzengerade sitzt der Regisseur an seinem Schreibtisch in den aus der Sowjetzeit stammenden Lenfilm-Studios in St. Petersburg.
Der Erfolg seines Films spiegele »den Aufschwung des nationalen Selbstbewusstseins«, sagt der Zwei-Meter-Mann mit durchdringender Stimme. Dass ihm die amerikanische Tageszeitung »Wall Street Journal« »aggressiven Nationalismus« vorwirft, empfindet er als Ritterschlag: »Ich bin nun mal nicht politisch korrekt«, sagt der Regisseur, Mitglied der nationalrussischen KP.
Das ist auch in anderer Hinsicht wahr: Bortko schickte sein Blut-und-Boden-Drama mit reichlich Sprengmeistern in die Kassenschlacht - darunter eine veritable Sexbombe. Die polnische Schönheit, die dem Kosaken und Bulba-Sohn Andrej hüllenlos den Kopf verdreht, wird vom jungen Star Magdalena Mielcarz gespielt.
Im Aufschwung des vaterländischen russischen Kinos verschmelzen Kunst, Kommerz und imperiale Nostalgie. So auch in dem Volkserziehungsfilm »1612«, in dem ein polnischer Heerführer versucht, den Herrscherthron zu erobern. Die Familie des Zaren Boris Godunow hat er ermordet, bis auf die Zarentochter Xenia, die er entführt und vergewaltigt.
Im Volk regt sich daraufhin Widerstand, es spritzt reichlich Polenblut vom Säbel. Ein orthodoxer Mönch entlarvt die Polen als Werkzeug finsterer römischer Kardinäle. Das Ganze wirkt wie eine künstlerische Überhöhung der Moskauer Proteste gegen den Nato-Beitritt der katholischen Polen.
Mit den historischen Tatsachen allerdings hat »1612« nicht viel gemein, weshalb der Film in Polen Empörung auslöste. In Wahrheit waren es nämlich nicht Polen, sondern russische Hochadlige, die Go-
dunow töteten, Zarentochter Xenia war nie in polnischer Hand. Doch das filmische Unternehmen dient einem höheren Zweck: Die russische Regierung hat den Jahrestag der Vertreibung der Polen aus dem Kreml am 4. November 1612 zum neuen »Tag der nationalen Einheit« erklärt.
In Geschichtsklitterung schwelgt auch Andrej Krawtschuks Film »Admiral« über den Flottenchef und Monarchisten Alexander Koltschak, der 1920 von den Bolschewisten erschossen wurde. Ob betend mit Ikone im Seegefecht mit der deutschen Marine oder in einer Feldschlacht gegen die Roten: Koltschak erscheint stets als Ritter ohne Fehl und Tadel.
Hinter der filmischen Biografie, deren Regisseur das »Gefühl von Pflicht« vermitteln will, lugt das politische Programm des obersten Cineasten Wladimir Putin hervor. Der hat einige weißgardistische Heerführer öffentlich rehabilitiert. Dass Koltschaks Truppen in sibirischen Dörfern wegen ihrer Grausamkeit gegen Zivilisten kaum weniger gefürchtet waren als die rote Konkurrenz, wird in »Admiral« elegant überspielt. »Das ist Sowjetkino, nur andersrum«, urteilt der Moskauer Filmkritiker Jurij Gladiltschikow.
Doch es gibt auch eine Gegenbewegung: Die russische Filmwelt wird zwar autoritär gegängelt, ist aber nicht gleichgeschaltet. So haben Alexej Balabanow mit seinem antisowjetischen Drama »Grus 200« über einen sadistischen Polizeichef (SPIEGEL 27/2007) und Oleg Fomin mit der Polit-Parodie »Der Wahltag« bewiesen, dass mutige Regisseure mit sozialkritischen Filmen durchaus Erfolg haben können.
Zu den Künstlern, die russische Geschichte kritisch darstellen, gehört auch Pawel Lungin mit seinem Kinofilm »Zar« über Iwan den Schrecklichen, der Russland im 16. Jahrhundert regierte.
In Deutschland ist Regisseur Lungin seit den frühen neunziger Jahren bekannt durch seine Filme »Taxi Blues« und »Luna Park«. Das neue Werk, das beim Moskauer Filmfestival lief, zeigt den Zaren als tiefgespaltene Persönlichkeit: Iwan der Schreckliche ist gebildet und musisch, zugleich paranoid und sadistisch.
Iwan habe, sagt Lungin in seinem Büro in den Mosfilm-Studios, »ein fortwirkendes Stereotyp der Macht in Russland geschaffen, das fehlende Liebe gegenüber dem Staat als Verbrechen wertet«. Für sein Projekt bekam der Regisseur keinerlei staatliche Unterstützung - eine Moskauer Bank stieg als Investor ein.
Im Fokus der Produzenten bleibt die russische Geschichte. Je mehr die Russen über ihre imperiale Vergangenheit - und womöglich Zukunft - brüten, desto stärker drängt sich ihnen ein großes, heikles Thema auf: Stalin als Reichsgründer, Feldherr und Diktator.
Bortko, den Regisseur von »Taras Bulba«, reizt jedenfalls die »große Herausforderung«, einen Film über den Diktator zu machen. So ein Werk müsse »alles zeigen: den Sieg in Berlin 1945, den Bau des Wolga-Don-Kanals, die Repression und die Lager«. Und, so ergänzt Bortko, als müsse er sich selbst überzeugen, Stalin dürfe darin »nicht als Engel« erscheinen.
Dass er keiner war, weiß der Regisseur aus Familienerfahrung: Seine beiden Großväter saßen unter Stalin im Gulag. UWE KLUSSMANN
* Im Mai während Dreharbeiten zu einem neuen Film von NikitaMichalkow bei St. Petersburg.