»Träume der Mühseligen und Beladenen«
Erbschleicher sind am Werke«, warnte der Leipziger Philosophie-Professor Günther K. Lehmann. Die Feinde des realen Sozialismus versuchten, den Marxisten-Leninisten ein »reiches Erbe« zu entreißen, eine »Schatzkammer voller Dokumentationen eines historischen Optimismus«, ein »Zeugnis schöpferischer deutscher Sprachkultur«.
Die Mahnung kam überraschend, mehr noch der Erbanspruch - abgedruckt im April-Heft der »Weimarer Beiträge«, dem offiziellen Organ »der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar«. Zwar sind DDR-Funktionäre in letzter Zeit sehr flexibel, wenn es um das sogenannte kulturelle Erbe geht, da finden sie in jedem Nachlaß Brauchbares, sogar in dem von Martin Luther und Friedrich dem Großen, aber die jetzt begehrte Erbschaft bringt Streit ins Haus.
Die Hinterlassenschaft, um die es geht, ist das Werk von Ernst Bloch (1885 bis 1977), dem Verkünder einer marxistisch-messianischen Philosophie der Hoffnung, den die Leipziger Universität 1957 zwangsemeritierte, weil seine »negative Haltung gegen die Partei und ihre Führung, besonders den Genossen Walter Ulbricht, sein größenwahnsinniger Anspruch, den Marxismus zu erneuern und zu einer marxistischen Anthropologie, zum ''menschlichen Sozialismus'' weiterzuentwickeln, auf zahlreiche seiner Schüler einen verhängnisvollen Einfluß ausübte«.
So könnte die Schatzkammer, die Lehmann für den Arbeiter-und-Bauern-Staat öffnen möchte, für Marxisten-Leninisten, wie schon einmal, zur Büchse der Pandora werden.
Als Bloch im Frühjahr 1948 aus dem amerikanischen Exil einen Ruf an die Universität Leipzig annahm, galt er zwar als Marxist und als Verteidiger des sowjetischen Modells, aber über seine Philosophie wußte man kaum etwas.
»Schwer vorstellbar, wie unbekannt, unbeachtet Bloch anfangs in Leipzig lebte«, erzählt einer seiner Schüler, Gerhard Zwerenz, und Peter Zudeick schreibt in seiner kürzlich erschienenen, bemerkenswerten Bloch-Biographie: _(Peter Zudeick: »Der Hintern des ) _(Teufels«. Elster Verlag, Moos & ) _(Baden-Baden; 376 Seiten; 48 Mark. )
»Daß hier der Autor von ''Geist der Utopie'', den ''Spuren'' und ''Erbschaft dieser Zeit'' liest, weiß kaum jemand, die langen Jahre der Emigration, vor allem die Zeit in den USA, haben Ernst Bloch zu einem nahezu Unbekannten gemacht.«
Das galt auch für die Partei, aber die war aus Prestigegründen ohnehin nur am »heimgekehrten« Philosophen interessiert, nicht an dessen Philosophie. Zudem hatte sie allen Grund, mit Bloch zufrieden zu sein. Er habe eine »verrottete Welt verlassen«, erklärte er in einem Interview mit der Parteizeitung »Neues Deutschland« im August 1949: »Ich komme gleichsam aus dem Lande Metternichs und der Heiligen Allianz.«
Bloch pries die »Redefreiheit« in Leipzig, und er verdammte die »Sklavensprache«, zu der er »in Amerika verurteilt war«. In seiner Antrittsvorlesung rühmte er »die kühnbesonnene, offen-konkrete Weisheit Lenins und Stalins«, die »auf der Strecke zur klassenlosen Gesellschaft wacht«.
Das waren beileibe keine bloßen Lippenbekenntnisse, aber was an ihnen so verwirrt, ist die Tatsache, daß sie in krassem Gegensatz zu Blochs unorthodoxem Marxismus standen.
Bloch sei »eine one-man-show, ein Marxismus mit keinem Vorgänger und keinem Nachfolger; ein Marxismus auf eigene Faust«, schrieb Ludwig Marcuse 1960. In der Tat, Blochs Marxismus war von Anfang an geprägt von Blochs Überzeugung, »weit älter als Marx« zu sein. Für Bloch gab es »immer Träume der Menschen, der Mühseligen und Beladenen, der Erniedrigten und der Beleidigten nach einem besseren Leben«. Aber dieser Traum, diese Sehnsucht, diese Hoffnung, zu der auch die Marxsche Vorstellung von der Humanisierung der Natur und der Naturalisierung des Menschen gehört, »ist nicht Zuversicht«.
Zwar sei die »marxistische Verheißung ... die erste und einzige Utopie, die den Anspruch auf Realisierbarkeit erheben kann«, aber diese Verwirklichung werde niemals total sein. Auch in einer kommunistischen Gesellschaft bleibe der »Horizont der Zukunft« erhalten, »der dem Fluß der Gegenwart den spezifischen Raum gibt, den Raum neuer, betreibbarer besserer Gegenwart«.
Blochs Versuch einer Weiterentwicklung des Marxismus zu einem »menschlichen Sozialismus« war nicht eine Frucht konkreter Erfahrungen mit dem real existierenden Marxismus. Im Gegenteil: Wann immer es ihm notwendig erschien, propagierte er den »kategorischen Imperativ, mit dem Revolver in der Hand« dem Teuflischen gegenüberzutreten, solange es sich gegen die neue Ordnung sperrte: »Es steht doch in der Regel so, daß die Seele schuldig werden muß, um das schlecht Bestehende zu vernichten.«
Hielt sich Bloch einerseits »für verpflichtet, eine Art Parteidisziplin zu beachten« (Zwerenz), so sah er sich andererseits in die Verantwortung genommen, den Marxismus, seinen Marxismus,
gegen »die Dummköpfe, Schmalspurphilosophen und ideologischen Raubritter« (Zudeick) zu verteidigen.
Zwar nannte Bloch dabei nie Roß und Reiter, aber mit seinen Vorlesungen und Seminaren, in denen er »schon lange Jahre vor dem Tauwetter gegen das herrschende Banausentum unermüdlich stritt und dabei die Waffen der Ironie und der humorig verdeckten Kritik meisterhaft handhabte« - so der ehemalige Bloch-Schüler Günter Zehm -, erzeugte er eine geistige Atmosphäre, die der Partei bald nicht mehr geheuer war.
Aber das bekümmerte Bloch damals nicht. Er genoß die Privilegien eines geachteten und der Partei nützlichen Intellektuellen: Er bezog ein Gehalt von 6000 Mark, bewohnte eine Villa, »vollgestopft mit erlesenen Antiquitäten« (Zudeick), eine Hausangestellte war auf den Klang einer Messingglocke zu Diensten, Bügelfrau, Waschfrau und ein Gärtner kamen regelmäßig.
Im Jahre 1955 erreichte Blochs Ansehen in der DDR einen Höhepunkt: Er wurde zum Ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften ernannt, erhielt zum 70. Geburtstag den Vaterländischen Verdienstorden und wurde schließlich für seine »tiefdringende Analyse und Interpretationen der Welt«, die er »mit einer progressiven Einstellung« verbinde, mit dem Nationalpreis 2. Klasse ausgezeichnet.
Vielleicht hat Bloch diese Ehrungen als einen Schutzschild verstanden, hinter dem er seine Kritik an der »Gouvernantenenge« der »Murxisten« unverblümter vorbringen konnte. Mit einer von ihm im März 1956 einberufenen Philosophen-Konferenz zum Thema »Das Problem der Freiheit im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus« eröffnete Bloch seinen Feldzug gegen jene Parteiideologen, die wie eine Gouvernante ängstlich darum besorgt sind, »daß sich das Kindchen Marxismus nicht ein Schleifchen schmutzig macht«.
Obwohl er keinen Zweifel aufkommen ließ, daß sich echter Freiheitswille, »bei noch so kritischem Verhalten gegenüber gegebenenfalls irrigen Maßnahmen, nie gegen die Sowjet-Union und ihr Anliegen richten« kann, sehen Freunde und Gegner in dieser Konferenz Blochs »Kriegserklärung an den Diamat«.
Als Bloch damals sein Treuebekenntnis zur Sowjet-Union ablegte, war Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU noch nicht bekannt geworden. Doch als nach und nach Einzelheiten über die stalinistische Schreckensherrschaft enthüllt wurden, rechtfertigte sich Bloch unter Niveau: Man habe »von den Schrecklichkeiten Stalins nicht viel gewußt, und ... was man wußte, wurde nicht geglaubt«.
Freilich wollte Bloch nicht, wie sein Biograph Zudeick feststellt, nun die ganze Schuld in der Person Stalins sehen, »sondern ebenso in dogmatischen Tendenzen in der Partei«. Daher seine Parole: »Die Bewährung heißt im ganzen sozialistischen Lager innerparteiliche Demokratie mit endlich wieder forschender, belehrt-lehrender Theorie und im Westen neue Volksfront dazu.«
Aber die »roten Oberlehrer« (Bloch) dachten anders: »Was wir wollen und was wir nicht wollen«, beschrieb Walter Ulbricht in einem Leitartikel für das Partei-Organ »Neues Deutschland«. Nicht wollte er einen Philosophen, der die These vertrete, »man könne das Morgen nur vom Übermorgen aus verstehen. Das zeigt doch, wie weit sich manche Philosophen vom Kampf um die neue sozialistische Gesellschaftsordnung und vom Volke entfremdet haben.«
Unmittelbarer Anlaß für Ulbrichts Angriff auf Bloch war die Verhaftung Wolfgang Harichs, des Chefredakteurs der »Deutschen Zeitschrift für Philosophie«, deren Mitherausgeber Bloch war. Harich hatte gemeinsam mit einigen Freunden ein Stichwort Blochs aus dem Jahre 1953, »was not tut, ist eine Erneuerung der Partei an Haupt und Gliedern«, aufgenommen und Pläne für einen Sturz Ulbrichts ausgearbeitet.
Obwohl Bloch, nach Angaben von Zudeick, diese Pläne »scharf ablehnte«, galt er für die Partei zumindest als ihr geistiger Urheber. Ein gegen ihn von Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer bereits unterschriebener Haftbefehl wurde jedoch nicht vollzogen. Man hielt es für »taktisch klüger, Bloch ... mundtot zu machen und seine Philosophie öffentlich zu kritisieren« (Zudeick).
Anfang des Jahres 1957 wurde Bloch zwangsemeritiert, und im April bereits erfolgte die geforderte öffentliche Kritik seiner Philosophie. Auf einer von der SED veranstalteten »Konferenz über Fragen der Blochschen Philosophie« wurde sein Denken als »idealistische Untergrabung der marxistisch-leninistischen Philosophie« verurteilt.
Blochs Philosophie habe »nicht nur zu einer ideologischen Unterhöhlung des Marxismus geführt, sondern auch die ideologische Grundlage für eine zersetzende ''Kritik'' an unserer Gesellschafts- und Staatsordnung, für eine feindliche Haltung zu ihr abgegeben«.
Erst ein Jahr später hat Bloch öffentlich zu den Vorwürfen Stellung bezogen: »Keine philosophische Diskussion«, schrieb er im »Neuen Deutschland«, »berührt mein Bekenntnis zum Sozialismus ...«, und entschieden wandte er sich dagegen, »daß Kriegshetzer in Westdeutschland, und nicht nur dort, mit meinem Namen versuchen, politische Geschäfte zu betreiben«. Kritik am Marxismus könne »nur reinlich sein, wenn sie hier auf dem Boden der Republik geschieht«.
Bloch beharrte also auf seinem Recht, den herrschenden Marxismus zu kritisieren, aber er ließ auch keinen Zweifel aufkommen, daß sein »Platz in der DDR« sei. Erst nach dem Bau der Mauer - Bloch war im Sommer 1961 in der Bundesrepublik - nahm er einen Ruf an die Universität Tübingen an. »Diejenigen, die jetzt über die Mauer springen«, erklärte er seinem Schüler Jürgen Rühle, »vollziehen tatsächlich einen Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.«
Kein leichtes Erbe, das die DDR jetzt antreten will. Aber sie will nun mal: Zu Blochs 100. Geburtstag, am 8. Juli, erscheint in der DDR nach rund 25 Jahren wieder eine Bloch-Schrift - »Freiheit und Ordnung«.
Peter Zudeick: »Der Hintern des Teufels«. Elster Verlag, Moos &Baden-Baden; 376 Seiten; 48 Mark.