RADFAHREN Trend zum Teueren
Auf New Yorks Broadway fahren Radler einen heißen Reifen. Kopfhörer auf den Ohren, den Recorder im Rucksack -- so kurven sie, bisweilen gar gegen den Strom, zwischen Straßenkreuzern einher. Weil klingeln nichts nützt, blasen sie sich mit der Trillerpfeife den Weg frei -- in Nordamerikas Millionenstädten gilt Radeln längst als »trendy«.
Nicht ganz so bizarr, aber ebenso in Mode ist das Radfahren nun auch wieder bei den Deutschen. 28 Millionen, so haben Marktforschungsinstitute errechnet, besitzen mittlerweile ein Fahrrad, jeder vierte fährt regelmäßig aus -- die Nation tritt in die Pedale wie einst zu Zeiten der Währungsreform.
Damals, in kargen Nachkriegsjahren, gehorchte der Pedaleur meist nur der Not, heutzutage folgt er immer öfter seinem eigenen Triebe: Vor die freie Wahl zwischen Auto und Veb gestellt, satteln viele Angestellte um -- und sitzen dann, so der Freiburger Herzspezialist und Sportarzt Professor Josef Keul, »entspannter und ausgeglichener als ihre autofahrenden Kollegen am Schreibtisch«.
Aufs Fahrrad helfen der Nation nicht nur die Ärzte, die Radfahren als »eine der gesündesten Sportarten« (Keul), vor allem für Herz und Kreislauf, loben. Dem Zweirad sind auch die Umweltschützer und die Systemveränderer gewogen, in manchen Orten sogar schon die Kommunalpolitiker, die noch vor wenigen Jahren nur die »autogerechte« (stinkende) Stadt im Sinn hatten.
Als Schrittmacher der Bewegung gelten zu gleichen Teilen Trimmy, der daumenreckende Fitnesskobold des Deutschen Sportbundes, hohe Benzinpreise und Didi Thurau. Seit der große Blonde aus Frankfurt bei der vorletzten Tour de France 15 Tage lang das gelbe Trikot des Spitzenreiters trug, ist das Rennen ums Rad endgültig gelaufen.
Sogar in Warenhäusern, etwa bei Wertheim und Hertie, werden die Deutschen seither zum Kauf von »Thurau-Rennmaschinen« animiert -- der geschäftstüchtige Sportler adelt mit seinem Namen für gutes Geld preiswertes Gerät (249 Mark), auf dem er selbst natürlich nicht fährt: Die Rennräder der Profis kosten pro Stück 4000 bis 5000 Mark.
Soviel Geld blättern neuerdings häufiger auch Laien hin -- mal Prominente wie Udo Lindenberg, meist jedoch Durchschnitts-Männer jenseits der 40. denen das Zweirad ein ideales Heilmittel scheint: gut für die Muskeln, bewährt als nebenwirkungsfreies Psychotonikum und nützlich, um sich Muttis Zugriff schnell zu entziehen. »Relativ gesehen, haben wir in diesem Bereich die höchsten Zuwachsraten«, konstatiert Herbert Allenberg vom Verband der Fahrrad- und Motorradindustrie. Ganz allgemein gehe der Trend zum teueren und sportlichen Rad. »Herr Thurau hat zweifellos sehr wertvoll für das höherwertige Fahrrad gewirkt«, resümiert ein Sprecher der deutschen Steyr-Daimler Puch GmbH.
Das Klapprad jedenfalls wurde vom Markt gefegt: Nur noch zehn Prozent aller westdeutschen Radler entscheiden sich für die billigen Faltmobile -- vor drei Jahren waren es noch knapp die Hälfte.
»Rennsport und Sporträder« sind mittlerweile die begehrtesten Radtypen: 53 Prozent der im letzten Jahr verkauften Modelle zählen zu dieser Kategorie, nur noch zwei Prozent waren sogenannte Tourenräder, wie sie Herbert Wehner liebt -- und deren Eigenschaften Verbandssprecher Allenberg mit Melancholie als »schwarz, schwer und solide' umschreibt. Den Rest des prosperierenden Marktes -- Jahresumsatz 1978: 396 Millionen Mark; verkaufte Stückzahl: 3,77 Millionen -- teilen sich die »Jugend-» (24 Prozent), »Holland-» (12 Prozent) und »Klappräder«.
Vom Boom hat die deutsche Fahrradindustrie freilich immer weniger -- sie hat den Trend verschlafen. »Im gesamten Qualitätsmarkt«, so urteilt ein Sachkenner, »ist von deutschen Marken nicht die Rede.« Das profitable Geschäft mit teuren und ganz teuren Fahrrädern machen Italiener, Franzosen und neuerdings Japaner.
In Fernost, so verspricht etwa die Fabrik »Shimano«, habe man die »Fahrradtechnik der achtziger Jahre« gerade in den Griff bekommen. Entgegen »konventioneller Ansicht« -- gemeint ist die deutsche -- sei man beim Zweirad nämlich noch »weit vom Gipfelpunkt der Perfektion« entfernt. Das bunte Potpourri der »Shimano-Ideen für alte Probleme« verblüfft deshalb auch erfahrene Händler: Die Japaner praktizieren nicht nur neue Leichtbauweisen, sie konstruierten etwa auch eine »Zahnkranz-Kassette«, die der Sportfreund je nach Lust und Gelände mit wenigen Handgriffen individuell auffüllen kann.
Ganze 5,3 Kilogramm wiegt das leichteste Straßenrad der Welt, das eine andere japanische Firma namens »Koga Miyata« für knapp sechstausend Mark im Oktober auf den Markt bringen will. Der stolze Preis gilt nicht einmal als überhöht. »Das letzte Kilo Gewichtsersparnis"' so rechnet der Hamburger Fahrradhändler Jens P. Richter seinen besser betuchten Kunden vor, koste selbst bei einem »Neun-Kilo-Rad leicht 1000 Mark«.
Solche Renner ordern vor allem sportlich ambitionierte Perfektionisten, etwa ein Hamburger Pressemanager, der »das Radfahren leistungsgemäß betreibt« und »nur das Beste unterm Hintern« haben will. Für ihn beginnt ernsthaftes Radeln bei »80 Kilometern am Stück, vielleicht mit einer Pinkelpause
Andere wohlsituierte Herren, denen Strampeln nicht ernsthaft am Herzen liegt, suchen nach Ansicht des Händlers Detlef Nielandt im Kauf eines teuren Rades ein taugliches Mittel zur Bewältigung der Midlife-crisis. Motto: »Du hast in deinem Leben schon so viele Kompromisse schließen müssen, jetzt willst du wenigstens beim Fahrrad mal keine machen.«