Theater Trümmer des Lebens
Normalerweise glänzt der Broadway mit Flittergirls und Lichteffekten. Doch dann und wann genügt ihm auch nur eine Figur, die von innen leuchtet.
In einer eher ereignisarmen Saison präsentiert das Golden Theatre derzeit eine Göttin: die Callas. Terrence McNallys umjubeltes Stück »Meisterklasse«, schon jetzt ein Favorit für die kommende Tony-Verleihung, entrollt das Drama der gealterten Maria Callas, einer räsonierenden Diva, die Operneleven der New Yorker Juilliard School beibringt, was sie über die Kunst und das Leben gelernt hat.
Für eine knappe Dekade hatte die Callas die Opernwelt überstrahlt, eine Bühnenpassionata, die Kunst als Griff nach Unsterblichkeit verstand. In diesen kurzen sieben Spielzeiten an der Mailänder Scala war sie der Stern, die Göttin der fünfziger Jahre. Der Rest ihres Lebens: ein Nachglühen, über 20 Jahre lang.
Statt der tosenden Ovationen nun die Schlagzeilen um ihre turbulente Liaison mit Aristoteles Onassis, die späten Comeback-Versuche, der Bruch ihrer Stimme, die Einsamkeit in Paris, Tabletten, der Tod, vielleicht durch Selbstmord.
Die Bühne ähnelt dem großen Probensaal der New Yorker Sängerschmiede. Parkett, ein Konzertflügel, ein Tischchen mit einer Wasserkaraffe, ein Pult mit Partituren. Arbeitsatmosphäre.
Die Flügeltüren im Bühnenhintergrund schwingen auf. Erst nach effektvoller Verzögerung erscheint eine schmale schwarze Gestalt, die dem Applaus entgegenmarschiert, beschwörend die Hand hebt und sagt: »Kein Beifall bitte, wir sind hier, um zu arbeiten.« Die Kunst des großen Auftritts - und die noch größere Kunst effektvoll inszenierter Bescheidenheit.
Zoe Caldwell spielt die Callas. Sie ist die einzige Nicht-Sängerin des Ensembles, durchaus rollengerecht, denn diese Diva singt nicht mehr, sondern spricht, mäandert, träumt, wandert in den Trümmern ihres Lebens, ruhelos, ohne Trost. Caldwell hat sich diese späte Callas bis in die fliegenden Fingerspitzen hinein erobert - eine theatralische Frau, die sich heillos im Libretto ihres eigenen Lebens verirrte.
Nun ist sie eine alte Bühnentigerin, die es, Anfang der siebziger Jahre, mit einer neuen Generation zu tun hat, respektlos, verwöhnt, ambitioniert, hungrig auf den schnellen Ruhm. Keiner von ihnen hat sich, wie einst sie, barfuß zur Schule begeben, keiner hat für die Kunst gehungert.
Drei Schüler singen vor, naive verletzbare Anfänger. »Sind Sie nervös?« fragt sie die erste. »Ein bißchen«, kichert das Mädchen. »Nur ein bißchen? Sie sollten sehr nervös sein.« Worauf sie sich ihr Opfer herrichtet: Sie kritisiert zunächst nicht die Stimme, sondern die pinkfarbene Robe der Schülerin.
Die versucht sich einzuschmeicheln mit einer kritischen Bemerkung über die Callas-Konkurrentin Joan Sutherland. »Nichts gegen Kolleginnen«, ruft die Callas mit dramatischer Koketterie. Um die einstige Rivalin dann genießerisch zu schlachten mit dem Satz: »Sie tat ihr Bestes.«
Während die erste Schülerin sich an der Arie »Ah! non credea mirarti . . .« versucht, verschwindet die Bühne unter einer Diaprojektion, die die Logen der Scala zeigt, und dann ist es die Callas aus dem Off, die übernimmt, eine Einspielung ihres Mailänder Triumphes von 1957, selig und zielgenau wie ein Laserstrahl.
Da öffnet sich der Himmel, doch die alternde Diva wühlt an der Rampe in vergangenem Alltagsdreck: Sie spielt Aristoteles Onassis nach, sie grummelt: »Laß mich in Ruhe mit deinen Scheißarien«, oder »ich gebe dir mein Geld, und du gibst mir Glanz und Klasse«.
In solchen Momenten strickt auch Terrence McNally, der die Callas als Gesangslehrerin selber erlebte, an einem liebgewordenen Mythos mit: daß es Onassis war, der ihr nicht nur den Verstand, sondern auch das hohe H raubte.
Jüngst aufgetauchte Aufnahmen beweisen jedoch, daß Verschleißerscheinungen schon früher bemerkbar waren - die Callas opferte sich nicht dem Reeder, sondern der Musik. Schon 1956, urteilte Will Crutchfield jüngst in einer Analyse im New Yorker, »waren fast alle ihre lauten Hs und Cs ziemlich schlecht«. Die Callas beutete ihre Stimme aus wie eine Goldader, die bald nichts mehr hergab.
Sie wußte es früh. Als sie sich 1959 auf Onassis' Yacht - vorübergehend - in den Vorruhestand begab, ahnte keiner, daß die Diva vor der künstlerischen Kapitulation stand. Als sie fünf Jahre später zum Comeback antrat, war ihre Stimme, so Crutchfield, »in einer verzweifelten Verfassung«. Die folgende lange Kette von Konzertabsagen war nicht unberechenbare Diven-Allüre, sondern pure Not: Sie konnte nicht mehr so, wie sie wollte.
Was blieb, war ihr theatralisches Temperament, das Pasolini für seinen »Medea«-Film von 1970 nutzte, war ihre Fähigkeit, in den kommenden Jahren den Mythos zu leben, den sie kreiert hatte: eine Bühnen-Göttin auch im Alltag.
Dieser unbedingte Anspruch, sich für die Kunst zu verbrennen, verstört die Eleven in der Juilliard-School. Als sie mit ihrer zweiten Schülerin an diesem Theaterabend eine Arie aus »Macbeth« probiert, bricht es aus dieser schließlich heraus: »Ich mag Sie nicht.«
Sie stammelt, weil die Callas sie demütigte, sie sucht nach den richtigen Worten, und dann stößt sie hervor: »Leute wie Sie sind gefährlich für diese Welt.« Y