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LITERATUR Tscham, tscham, tscham

Nach elfjähriger Schreibarbeit hat Norman Mailer einen Monumentalroman veröffentlicht: »Frühe Nächte« schildert die alten Ägypter als »durch und durch schweinisch«.
aus DER SPIEGEL 18/1983

Der Gott Seth »masturbiert über einem Salatfeld«, hinfort ist er unersättlich im »Verschlingen von Salat«.

Nach der Schlacht von Kadesch vergewaltigen die siegreichen Ägypter die unterlegenen Hethiter - »ein überwältigender Anblick: mehr Hintern als Gesichter«. S.183

Ramses II. läßt sich von vier Haremsdamen gleichzeitig verwöhnen, bevor er seinen General Menenhetet bumst. Der wiederum hält sich an des Pharaos Frau, und das klingt dann so, Nefertiti zu Menenhetet: »Oh, komm, komm, gib mir deinen Obelisken ... gib mir tscham, tscham, tscham, qef, qef, qef.«

Nicht immer ist so klar, wer es wo und wie mit wem treibt in Norman Mailers neuem Roman »Ancient Evenings« - Isis mit Osiris, Götter mit Pharaonen, Pharaonen mit Generälen, Mütter mit Söhnen, Urgroßväter mit Urenkeln, Lebende mit Toten, im Bett oder im Sarg, von oben oder von unten, anal oder oral? Völlig klar aber ist: Toll trieben es die alten Ägypter, toller geht''s nicht.

Elf Jahre hat der nun 60jährige US-Autor an diesem »ehrgeizigsten meiner Romane« geschrieben. Mehrmals hatte Mailer, in mittlerweile sechster Ehe und mit acht Kindern von allerhand Verpflichtungen bedrückt, die literarische Schwerarbeit unterbrochen, um mit journalistischen Werken auf amerikanische Aktualitäten zu reagieren und schnelleres Geld zu machen (so mit dem Buch über den Mörder Gilmore, »Das Lied vom Henker«, Pulitzerpreis 1979).

Jetzt endlich ist der als zweites Hauptwerk Mailers (nach seinem Erstling »Die Nackten und die Toten«, 1948) angekündigte Ägypten-Roman in den USA erschienen

( Norman Mailer: »Ancient Evenings«. ) ( Verlag Little, Brown, Boston; 712 ) ( Seiten; 19,95 Dollar. )

- ein Wälzer voller Monstrositäten, Schwulst und unfreiwilliger Komik. »The New York Times Book Review": »Ein Desaster.«

Amerikas wenn auch nicht bester, so doch bekanntester, weil skandal- und publicityfreudigster Schriftsteller wollte den zeitgenössischen Themen entkommen, die ihn über zwei Jahrzehnte - mit oft brillantem Erfolg - beschäftigt hatten. An den alten Ägyptern faszinierten ihn vor allem deren Totenkult und die Vorstellungen über ein Weiterleben nach dem Tode.

Er las sich durch »50 bis 100« einschlägige Fachbücher und reiste (einmal, 1974) ins Land seiner Pharaonenträume. Doch außer mit Lesefrüchten und hat er den um 1200 v. Chr. spielenden »großen S.186 Roman« hauptsächlich mit traditionellen Mailer-Obsessionen gefüttert.

»Ancient Evenings« handelt, Ramses hin, Ramses her, erstens von Sex, zweitens von Sex und Macht, drittens von Sex und Gewalt. Die Kopulationen und Gemetzel nehmen kein Ende. Im Zentrum steht Mailers guter alter Freund, der Phallus. Zelebriert werden eine vitalistische Philosophie und Praxis, die auch den belebenden »Geist des menschlichen Exkrements« und die Freuden des Kannibalismus zu schätzen wissen.

Aber so saftig das klingen mag, dieses Stück Blut-und-Hoden-Literatur ist, soweit es nicht ungewollt zum Lachen reizt, von einschläfernder Drögheit.

Ohne Spannung schleppt sich die Geschichte vom dreimal wiedergeborenen Wagenlenker-General-Haremsaufseher-Priester Menenhetet, der sich per Liebestod fortzeugen kann, durch Mailers monumentale Wörter-Wüste. Unter all dem okkulten Brimborium, das Mailer mit Mythologie und Telepathie, Göttern und Geistern, sprechenden Pferden und heiligem Kot anstellt, bricht jede Leselust bald zusammen. »Überraschend ist hier nichts«, fand »Time«, »außer vielleicht, wie polymorph-pervers und durch und durch schweinisch die Alten waren, laut ihrem neuesten Historiker.«

So ungnädig bisher die amerikanische Kritik den neuen Mailer beurteilt hat - bezahlt macht sich der »gigantische Furz« ("Village Voice") vielleicht doch. Ein paar Millionen Dollar an Vorschüssen und anderen Honoraren hat das Buch dem Autor schon eingetragen. Die deutsche Ausgabe unter dem Titel »Frühe Nächte« bringt im September der Münchner Herbig-Verlag heraus.

Möglicherweise haben sich die Kritiker ja auch geirrt, wieder mal. Immerzu werde er verkannt, so hat Norman Mailer kürzlich in einem Interview geklagt: »Meine grundsätzliche Ironie dringt nie durch. Die Leute verstehen einfach nicht, daß ich mir oft nur einen Jux mache, verdammt noch mal.«

S.183Norman Mailer: »Ancient Evenings«. Verlag Little, Brown, Boston; 712Seiten; 19,95 Dollar.*Auf dem Balkon seiner New Yorker Wohnung.*

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