
"Polizeiruf"-Jubiläum: Honeckers TV-Vermächtnis
40 Jahre "Polizeiruf 110" Martinshorn im Trabitakt
Was von Erich Honecker kulturell geblieben ist? Udo Lindenbergs "Sonderzug nach Pankow" und - Ironie der Geschichte - der "Polizeiruf 110". Zumindest das Logo der TV-Reihe, das von ebenso genialer Leere zeugt wie die Bezeichnung "Tatort" beim West-Pendant. In diesen Behältern, die Kontinuität vorspiegeln, lässt sich unterbringen, was unterschiedlicher nicht sein könnte.
Im Fall des "Polizeirufs" sind das Epochenbrüche und Staatsuntergänge, dienstbeflissene Volkspolizisten ebenso wie borderlinige Einarmige aus Bayern (Edgar Selge), listig weises Mecklenburger Landestheater (Böwe, Steimle) ebenso wie brutal-unkorrekte Computersexspiele ("Der scharlachrote Engel" von Dominik Graf). Unter 110 ist inzwischen fast alles zu erreichen, was unser Fernsehen zu bieten hat.
Kein Platz für Ostalgie
Die 40-jährige Geschichte der Reihe zwingt den idealistischen Oberlehrer in uns zum Umdenken. Da fand, als die ARD den DDR-Fernsehfunk beerbte, keine automatische Selbstbefreiung des DDR-Krimigenres zur nicht bevormundeten moralischen Anstalt statt. Ostkunst und Westkunst mussten sich vielmehr den Herausforderungen explodierender ästhetischer Moden und Möglichkeiten im Fernsehen stellen, dem Hang zu exotischeren Storys und schnelleren Schnitten, der Begeisterung für immer selbstbewussteres schauspielerisches Virtuosentum und der allseits akzeptiertenTyrannis eines selbstherrlichen Individualismus.
Für Nostalgie und Ostalgie ist da kein Platz. Unter dem Geflacker der auftrumpfenden TV-Bilder und der Raserei des Plots bleibt alles Suchen nach Langsamem, nach Ahnung von echter Verzweiflung und innerer Anfechtung ein anstrengendes Unterfangen. Cornelia Ackers - sie hat den berühmten Bayerischen Polizeiruf geschaffen - schätzt das DDR-Erbe, das man sich inzwischen gesamtdeutsch erworben hat: "Das Bedienen der klassischen Krimimuster empfinde ich als ein viel zu enges Korsett. Die Eigenständigkeit der Polizeirufreihe bietet mir gewissermaßen einen Schutzraum für das soziale Erzählen, das Ausloten neuer Möglichkeiten, die ich nicht permanent legitimieren muss."
"Zu Befehl, Genosse Leutnant!"
Es war tatsächlich Erich Honecker, der 1971 darauf bestanden haben soll, dass die DDR-Untertanen nicht jeden Sonntagabend republikflüchtig werden und mit dem westdeutschen "Tatort" und seinem Brummelkommissar Trimmel massenhaft auf Verbrechertour gingen. Da Grenzanlagen gegen den Unterhaltungsdrang nicht möglich waren, ließ die Führung den "Polizeiruf 110" als Konkurrenzprodukt entstehen - unter amtlicher Vormundschaft, versteht sich. Das hieß: viel uniformiertes Vopo-Ballett, markige Funkdurchsagen, Hierarchie-Habt-Acht-Rituale ("Zu Befehl, Genosse Leutnant").
Der immer irgendwie melancholische, hinter Nüchternheit versteckte Defa-Grundton ist in den ersten "Polizeirufen" ebenso spürbar wie die Vorliebe der Regisseure für statuarische Kameragruppierungen, für ein preußisches Marmor ohne königlichen Glanz. Vielleicht sollten das Brecht und dessen episches Theater sein. Aber eine Brechtsche Abwehr gegen überwältigende Affizierung war gar nicht nötig. Dazu waren in den frühen "Polizeiruf"-Jahren weder Darsteller noch Handlung verführerisch genug.
Der MDR zeigt an diesem Donnerstag den einst von der DDR-Obrigkeit verbotenen Polizeiruf "Im Alter von...", der 1974 unter dem beinahe nach Dürrenmatt klingenden Arbeitstitel "Am hellerlichten Tag" gedreht worden war und einen Mord mit pädophilem Hintergrund behandelt. Regisseur und Mitautor Heinz Seibert zeigt die Geschichte eines 13-jährigen Knabens, der beim Baden von einem Mann ermordet wird, der so verhindern will, dass seine perverse Neigung publik wird.
Über das ministerielle Ausstrahlungsverbot wurde zunächst gerätselt. Sollte die sozialistische Menschengemeinschaft vor solchen Abartigkeiten geschützt werden Die im Anschluss (21.25 Uhr) folgende, recht sehenswerte Dokumentation "40 Jahre Polizeiruf - eine Erfolgsstory" enthüllt die historischen Gründe: Es war nichts als Angst und politischer Opportunismus der Politbüro-Funktionäre, diesen "Polizeiruf" vom Bildschirm fernzuhalten. Dabei hatten die späteren Zensoren den Film ursprünglich in Auftrag gegeben: Vor Pädophilen sollte gewarnt werden. Das Ministerium des Inneren hatte den Redakteuren des Fernsehens einen Lehrfilm vorgeführt, in dem der Mitropa-Lehrling Erwin Hagedorn seine grausamen Sexualmorde nachspielt. In stark verfremdeter und entbrutalisierter Form entstand daraufhin das "Polizeiruf"-Drehbuch.
Dann aber enthüllte der westdeutsche Journalist und "Tatort"-Autor Friedhelm Werremeier, dass der Missetäter Hagedorn hingerichtet worden war, obwohl seine Taten teilweise unter das Jugendstrafrecht fielen. Auf einmal wollte der Auftraggeber nichts mehr von seinem Auftrag wissen. Zum Geist der 1975 unterzeichneten "Schlussakte von Helsinki" hätten Berichte über die unbarmherzige Todesstrafe nicht gepasst. Das Sendeverbot sollte Empörung in der westlichen Öffentlichkeit verhindern.
Es knarzen die Vorurteile
Da eine stumme Kopie des Päderastendramas in den Archiven erhalten geblieben war und eine Drehbuchfassung entdeckt wurde, entschloss sich der MDR zum "Polizeiruf"-Jubiläum, den Film nachzusynchronisieren. Da zeigt sich leider, dass hier kein mutiges Glanzstück vor den Thronen der Staatsgewalt gescheitert ist, sondern ein trostlos betuliches Relikt von der Abraumhalde.
Peter Borgelt als Oberleutnant Fuchs, Jürgen Frohriep als Oberleutnant und die weibliche Kollegin Arndt (Sigrid Reusse) spielen brav und uninspiriert, die Handlung tuckert im Trabitakt, von Verständnis für Personen, besonders solche mit Abweichungen vom Normalverhalten keine Spur. Es knarzen die Vorurteile: Wer Tennis spielt, neigt zu sexuellen Gefährdungen, Männer, die in Schuppen schlafen und nicht neben Mutti, sind verdächtig. Schönfärberisch auch der Besuch im Gartenlokal: Im Film gibt es dort, anders als in der damaligen DDR-Wirklichkeit, genug Platz, außerdem alles, was man bestellt und einen ungestressten Ober, der fragt, ob man zufrieden sei.
Als die alten DDR-"Polizeiruf"-Helden zur Wendezeit in ihren Filmen Schwierigkeiten mit Schimanski & Co. bekamen, war das kein Westkololonialismus, wie die Dokumentation andeutet, sondern überfällige Modernisierung.
Und alles wurde gut. 320 Folgen sind seit dem Start im Juni 1971 gelaufen, davon seit der Wende 168 in der ARD. 7,34 Millionen Zuschauer gibt es im Schnitt und einen Marktanteil von 20,5 Prozent. Prominente Regisseure und gute Schauspieler stören sich nicht an Honis Erfindung. Die Macher können stolz sein auf dieses Format, das unter ostdeutschem Titel zur gesamtdeutschen Fernsehkultur gehört. Unter 110 soll sich weiterhin nicht 08/15 melden.
"Polizeiruf 110: Im Alter von...": Donnerstag, 20.15 Uhr, MDR
"40 Jahre Polizeiruf - Eine Erfolgsstory", Donnerstag, 21.25 Uhr, MDR