
Abschied beim Frankfurter "Tatort" Porzellanblass im Rotlichtsumpf
Ist das etwa die Seine in Paris? Nein, es ist doch nur der Main in Frankfurt, der da so anheimelnd unter der Morgensonne und den sanft geschwungenen Brücken der Stadt dahinfließt. Die Bankentürme im Hintergrund ragen passenderweise pittoresk in den blauen Himmel wie der Eiffelturm. Und dann perlt zu diesen einladenden Touristik-Impressionen auch noch ein Akkordeon aus dem Off.
Ach, bei diesem Einstieg in den Abschieds-"Tatort" der Ermittlerdarsteller Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf werden endlich auch mal die Stadtväter selig lächeln; so schmeichelhaft hatte die Reihe Frankfurt sonst nie zuvor ins Bild gesetzt.
Was hatte der Hessische Rundfunk den Repräsentanten Frankfurts denn auch über nunmehr zehn Jahre und 18 Folgen mit Sawatzki und Schüttauf zugemutet: Wie in keinem anderen "Tatort" wurde die Topografie des Reviers mit dessen psychoökonomischen Eigenheiten als Finanzmetropole verhandelt. Zu diesem Zweck hat man Frankfurt stets in der Vertikalen vermessen: Von den obersten Etagen der Finanztower ging es hinunter zu den Bordsteinen des Bahnhofsviertels; von den vollverglasten, sonnengefluteten Büros der Stararchitekten hinab in die Sado-Maso-Keller, die sich der Mittelstand in seinen Vorstadt-Reihenhäusern eingerichtet hat.
Rätselhaft und porzellanblass im Rotlichtsumpf
Gier und Armut, glamouröse Fassade und dunkle Sehnsüchte, Verschwendungssucht und vorgetäuschte Solidität - das alles spielte in den einzelnen Folgen zusammen. Kurz: Wer regelmäßig den Frankfurter "Tatort" geguckt hat, den konnte der Zusammenbruch des Finanzwesens nicht wirklich verwundern: Das System stand hier schon immer am Abgrund.
Und zum Abschied ist jetzt auf einmal alles in Ordnung? Keineswegs. Die Anfangsakkorde des Akkordeons hallen noch milde nach, da muss der Chef der beiden Ermittlerhauptfiguren mitansehen, wie vor seinen Augen seine Geliebte erschossen wird. Danach wütet er im Unterhemd durch die Bordelle des Bahnhofsviertels, um den Mörder aufzuspüren.
Es passt in die Reihe, dass in der finalen Folge "Am Ende des Tages" (Buch und Regie: Titus Selge) der Vorgesetzte Rudi Fromm (Peter Lerchbaumer) seinen großen Auftritt hat. Denn es war immer Konzept des 2000 von Niki Stein neu konzipierten HR-"Tatorts", dass die Kommissare über persönliche Involviertheit neue Türen zu den Themen öffnen.
Besonders bei Ermittlerin Charlotte Sänger (Sawatzki), deren Eltern in der dritten Folge von einem Psychopathen ermordet worden waren, war das immer der Fall. Rätselhaft, porzellanblass und ohne soziale Anbindung stand die passionierte Tänzerin im Frankfurter Finanz- und Rotlichtsumpf herum; wie eine Ballerina, die in einer Strip-Bar tanzen muss. Gleichzeitig wirkte es stets so, als ob die dünnhäutige Polizistin die Stadt und ihre Dramen um Geld und Geltungssucht gleichsam über die Membran ihrer transparenten Haut aufnehmen würde.
Mit Hardrock und Dosenbier durch Frankfurt
Kollege Fritz Dellwo (Schüttauf) stellte da eine gute Ergänzung dar: Während Sänger zu Tango und Tee durch Frankfurt schwebte, wütete er zu Hardrock und Dosenbier durch die nächtliche Metropole. Die beiden bildeten das perfekte Ermittlerpaar.
Warum jetzt doch Schluss ist? Zum einen wurde es immer schwieriger, für die vielbeschäftigten Hauptdarsteller gemeinsame Drehzeiten zu finden; in jeweils einer Episode waren sie deshalb auch solo aufgetreten. Zum anderen hielt man die Figuren für auserzählt. "Zehn Jahre ist einfach eine gute Schnittstelle", resümiert HR-Redakteurin Inge Fleckenstein. "Sonst lullt man sich ein, wird schwerfällig - wie in einer Beziehung; da wird es ja auch mit jedem Jahr schwieriger, sich zu trennen."
Erträglich macht den Trennungsschmerz für den Hessischen Rundfunk möglicherweise auch die Tatsache, dass die Quoten des unbequemen und mit gewagter Ästhetik operierenden Frankfurt-"Tatorts" meist unter dem Durchschnitt der Reihe lagen.
Und täglich grüßt die Currywurst
Gleichzeitig ist es nicht von der Hand zu weisen, dass noch der beste Regional-Krimi gelegentlich eine personelle Erneuerung braucht, um spannend zu bleiben. Man muss sich ja nur mal den einst so großartigen WDR-"Tatort" anschauen, wo die immer gleichen etablierten Regisseure die fast immer gleiche Sozio-Folklore auffahren - um damit, zugegeben, sensationelle Quoten einzufahren. Und täglich grüßt die Currywurst.
Abseits dieser rheinischen Unbeweglichkeit tut sich allerdings gerade viel in Krimi-Deutschland: Beim Kieler "Tatort" wird demnächst Sibel Kekilli ("Die Fremde") eine feste Rolle an der Seite Axel Milbergs übernehmen, und nach acht Jahren übergibt Imogen Kogge beim Brandenburger "Polizeiruf" ihren Schreibtisch an die furchteinflößend gute, in den letzten Jahren aber etwas ins Abseits geratene Maria Simon ("Fürchte dich nicht"). Vielversprechende Neuzugänge sind diese als unbequem geltenden Aktricen, bei deren Einsätzen Reibung freigesetzt werden dürfte.
Bei der großen Krimi-Rochade, die zurzeit im deutschen Fernsehen stattfindet, ist auch Joachim Król dabei. Der gab bislang den Ruhrpott-Ermittler Lutter in der gleichnamigen ZDF-Serie. Geerdet im alten, proletarischen Essen, kam er als Bulle zwischen Fußball und Fassbier oft nicht so recht in die Gänge. Parallel zum Frankfurter Abschieds-"Tatort" läuft an diesem Wochenende auch das "Lutter"-Finale. "Rote Erde" (Buch: Benjamin Hessler, Florian Öller, Regie: Torsten Wacker) heißt die die melancholische Episode, wo der melancholische Kulleraugen-Kumpel-Cop zu Johnny-Cash-Songs von seinem Fußballclub Abschied nimmt.
Ab November dreht Król dann an der Seite Nina Kunzendorfs den neuen Frankfurt-"Tatort", der zweimal im Jahr zu sehen sein wird. HR-Redakteur Jörg Himstedt, der zurzeit mit dem Autor Alexander Adolph ("Tatort: Der oide Depp") am neuen Gesamtkonzept feilt, verspricht: "Wir wollen Król vom Puscheligen wegholen, das wird jetzt ein nicht ganz so sympathischer Mann."
Ulrich Tukur als BKA-Einzelgänger
Ebenfalls ein nicht ganz so sympathischer Mann dürfte ein weiterer neuer Ermittler des HR werden: Einmal im Jahr wird nämlich zusätzlich zu Król und Kunzendorf von Wiesbaden aus Ulrich Tukur als BKA-Einzelgänger Felix Murot in einem eigenen "Tatort" unterwegs sein. Die Ausstrahlung der ersten Folge ist für den 28. November zum 40-jährigen "Tatort"-Jubiläum angesetzt. Im Gegensatz zu anderen Jahrestagen der Reihe, wo sich meist viel zu viele Instanzen viel zu viele Gedanken machen, dürfte dieser erste neue "Tatort" wirklich ein Fest werden.
Schließlich haben der Hamburger Tukur und die hessischen Fernsehmacher schon eine kreative Höchstleistung vorzuzeigen: In der "Tatort"-Episode "Das Böse" aus dem Jahr 2003, eine der drei besten der Reihe überhaupt, verkörperte Tukur einen philosophisch auftrumpfenden Kreditmanager. Mit Verweisen auf den russischen Romancier Fjodor Dostojewski, den italienischen Kinoerneuerer Michelangelo Antonioni sowie den wohl grausamsten Mord der deutschen Fernsehgeschichte überforderte man damals auf wunderbarste Weise die Couch-Knobler daheim. Erst bimmelten die Zuschauertelefone, dann gab es den Grimme-Preis.
Glaubt man den Versprechungen der zuständigen Redakteure, werden der menschliche Abgrund und die ästhetische Innovation auch weiterhin ihren festen Platz beim HR haben. Ja bitte, gebt uns auch weiterhin das Böse in Endlosschleife!
Damit auch in Zukunft bei unserem Lieblingsfernsehrevier die Zuschauertelefone nie Ruhe geben mögen.
Lutter: Rote Erde, Sonnabend 20.15 Uhr, ZDF
Tatort: Am Ende des Tages, Sonntag 20.15 Uhr,ARD