
"This Is Football": Messi und mehr
Amazon-Doku "This Is Football" Die schönste Banalität der Welt
Es kommt nicht selten vor, dass Pep Guardiola von seinen Spielern schwärmt. Aber über einen spricht er anders, fast väterlich. Er kennt ihn wie keinen anderen Fußballer, weiß, was er tut, wie er denkt. "Er geht umher", sagt Guardiola, "das mag ich an ihm am liebsten". Lächeln und Staunen wechseln sich im Gesicht des Trainers ab, wenn er auf einem kleinen Laptop Spielszenen seines ehemaligen Schützlings sieht.
Vier Jahre lang hat Guardiola Lionel Messi mitgeprägt. Genauer: Er hat den FC Barcelona geformt, in dem der Argentinier zum wohl größten Spieler der Geschichte werden konnte. Messi hat sich von allein dahin entwickelt, darin sind sich seine Wegbegleiter einig, die in Amazons neuer Dokuserie "This Is Football" zu Wort kommen. John Carlin ("Invictus"), Autor der Serie, macht darin geschickt greifbar, was schwer zu erklären ist: Er kreist Messis Genie ein.
Pere Gratacós und Paco Seirul.lo kommen zu Wort, die beim FC Barcelona seit Jahren die Betreuung und Ausbildung von Spielern und Trainern verantworten. Wie Guardiola sprechen sie über den Spieler Messi. Sein argentinischer Jugendtrainer Quique Domínguez berichtet vom Nachwuchskicker Leo. Mathematiker David Sumpter und Neurowissenschaftler Facundo Manes versuchen, den fünfmaligen Weltfußballer wissenschaftlich zu ergründen. Und der argentinische Präsident Mauricio Macri würdigt ihn als "Geschenk Gottes".
Nur phasenweise pathetisch
Dabei ist der Fokus auf einen einzelnen Spieler in "This Is Football" die Ausnahme. Die Doku würdigt den Fußball selbst und seine Bedeutung auf der gesamten Welt, in großen und kleinen Geschichten. Die sechs Episoden sind thematisch unterteilt und tragen Namen wie "Wunder", "Hoffnung" oder "Glaube". In "Wiedergutmachung" steht Ruanda im Mittelpunkt. Die Doku nimmt sich viel Zeit, die Geschichte des afrikanischen Landes zu erzählen, das noch immer vom Völkermord im Jahr 1994 geprägt ist. Fußball erscheint da erst mal wie eine Banalität. Und man begreift doch schnell, wie er den Menschen hilft, mit dem Leid zurechtzukommen.

"This Is Football": Messi und mehr
Der Zuschauer lernt einen ruandischen Fanklub des FC Liverpool kennen. Er ist dabei, wenn sich die Mitglieder treffen, um gemeinsam Spiele zu schauen. Sie berichten von ihren Lieblingsspielern wie Ian Rush, ihren Lieblingsspielen (klar, das Champions-League-Finale 2005 gegen AC Mailand) und Beziehungen, die gescheitert sind, weil der Partner Fan von Manchester United war. Ganz normale Liverpool-Folklore eben, nur nicht in einem britischen Pub, sondern unter dem Sternenhimmel Kigalis.
Fußball verbindet. Die Doku erzählt, wie der Sport den Menschen geholfen hat, wieder zusammenzufinden. Wie er es geschafft hat, die verfeindeten Bevölkerungsgruppen, Hutus und Tutsi, zumindest ein Stück weit zu versöhnen. Eben weil sie alle gleich sind, wenn sie im roten Trikot des FC Liverpool stecken.
Es sind bewegende, liebevoll erzählte Geschichten. Nur phasenweise wird es zu pathetisch. Etwa, wenn die Protagonisten die größten Momente des FC Liverpool emotional nacherleben sollen. Oder wenn drei von ihnen ohne jede Erklärung plötzlich in Liverpool sind und ins Stadion an der Anfield Road gehen. Mit Tränen in den in den Augen beobachten sie, wie die Fans "You'll Never Walk Alone" singen.
Nicht nur für Fußballfans
Andererseits will diese bewegende Komponente anderen Fußballdokus nicht gelingen. Spielerporträts wie "Kroos" (kürzlich im Kino) oder " Antoine Griezmann - Eine Legende wird geboren" (bei Netflix) dürfen ganz nah ran an zwei der besten Fußballer dieser Zeit und erzählen doch nichts. "Juventus Turin - Der Rekordmeister" (Netflix) möchte den Glamour des italienischen Topklubs zeigen und vermittelt doch vor allem große Tristesse. Und auch Amazon hat mit "All Or Nothing: Manchester City" schon ein Format vorgelegt, das auch aus der vereinsinternen Marketingabteilung hätte stammen können.
Viele dieser Fehler vermeidet "This Is Football". Natürlich bleibt die Messi-Verehrung kritikfrei. Aber sie ist gelungen erzählt, liefert auch für Messi-Kenner einen Mehrwert. Ansonsten arbeiten die Macher sowieso eher mit Miniaturen wie in der Folge "Liebe": ein indisches Mädchenteam, britische Blindenfußballer und ein Chinese, der in Zhengzhou mitten in einer Hochhaussiedlung aus einem verlassenen Tennisplatz in Eigenregie eine Fußballanlage gemacht hat, die zum Treffpunkt für die gesamte Nachbarschaft geworden ist.
"This Is Football" wird als Teil eines wachsenden Angebots an Sportdokumentationen von Amazon Prime Video beworben. Die große Stärke der Doku ist aber, sich nicht nur an Sportfans zu richten. Sie nimmt den Fußball als Ausgangspunkt, um viel größere Geschichten zu erzählen.