Angela Merkel bei Anne Will Zwischen Orakelei und Ohnmacht

Ihre Entschuldigung hat vielen imponiert – aber bei Anne Will zeigte Angela Merkel, dass sie auch weiterhin keinen Plan hat. Nach dem Kotau ging es für die Kanzlerin schnurstracks zurück zum Klein-Klein.
Angela Merkel bei Anne Will: »Wir haben ja alles parat, aber die Frage ist: Kommen wir zu den gleichen Schlussfolgerungen?«

Angela Merkel bei Anne Will: »Wir haben ja alles parat, aber die Frage ist: Kommen wir zu den gleichen Schlussfolgerungen?«

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Mit ihrer Abbitte am Mittwoch im Bundestag hatte Angela Merkel aus dem Stand große Teile der Bevölkerung für sich gewinnen können – und mit ihrem Auftritt am Sonntag bei Anne Will verlor sie diese wohl genauso schnell wieder. In einer atemberaubenden Ansprache hatte die Bundeskanzlerin zur Wochenmitte mit wenigen Worten die Verantwortung für die Verfehlungen in der Coronakrise übernommen . In dem zermürbenden Talk versuchte sie diese Verantwortung nun mit umso mehr Worten wieder von sich zu schieben.

Nach dem Mea culpa des Menschen Angela folgte das Mäandern des Machtmenschen Merkel. Die Talkshow geriet zum taktischen Debakel; zum Lehrstück darüber, wie man sich als Politikerin selbst zerlegt, obwohl die Moderatorin eine Vorlage zur Selbsterklärung nach der anderen liefert.

Als Will am Anfang der Sendung fragt, ob sich Merkel am Mittwoch auch dafür entschuldigt habe, dass sie ans Ende ihrer Autorität und Handlungsfähigkeit angelangt sei, antwortet die Kanzlerin knapp: »Nein.« Als Will später nahelegt, über das Infektionsschutzgesetz möglicherweise größere Macht bei der Bundesregierung bündeln zu können, um die Alleingänge der Länderfürsten in den Griff zu bekommen, schließt Merkel das nicht aus, will aber auch noch nicht zu konkret werden: »Wir brauchen immer Bund und Länder zusammen.«

Aber diese Einheit kommt eben nicht zusammen. Will zitiert Kritiker, die von den oft im Chaos endenden Treffen zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten  als »organisierter Verantwortungslosigkeit« sprechen, und Merkel glaubt dann offenbar wirklich, mit folgenden Worten Hoffnung darauf machen zu können, dass die miteinander ringenden Parteien kurz vor einer gemeinsamen Lösung stehen: »Wir haben ja alles parat, aber die Frage ist: Kommen wir zu den gleichen Schlussfolgerungen?« Eine Regierungschefin zwischen Orakelei und Ohnmacht.

So geht es eine ganze Stunde lang: Bohrt Will, blockt Merkel. Fragt die Moderatorin konkret, schweift die Politikerin ab. Offenbar auch deshalb, weil ihr einfach keine Antworten einfallen. In fast rührender Offenheit sagt sie an einer Stelle, sie wolle noch ein wenig nachdenken über mögliche Lösungen. Nicht wochenlang, aber doch ein paar Tage.

Klassischer Merkel-Move

Anne Will ist an diesem Sonntag eine kritische, aber sehr höfliche Interviewerin. Eigentlich ideal für Merkel, die nach ihrer Entschuldigung genau dieses zugewandte Nachhaken braucht, um ihrer öffentlichen Selbstgeißelung die öffentliche Selbstfindung folgen zu lassen. Doch auf den Kotau folgt doch nur wieder das übliche machtpolitische Klein-Klein. Wo sich Merkel am Mittwoch schützend vor die Chefs der Länder stellte, die sich ja ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert hatten, da schiebt sie die Herren jetzt wieder nach vorne, um sie noch blöder wirken zu lassen. Ein klassischer Merkel-Move.

Die Landesregierung der Hauptstadt setzt zaghaft auf Lockerung? Die Kanzlerin mahnt: »Ich weiß wirklich nicht, ob Testen und Bummeln, wie es in Berlin gemacht wird, der richtige Weg ist.« Nordrhein-Westfalen verschärft trotz eines Inzidenzwerts weit über 100 nicht die Sicherheitsmaßnahmen? Merkel findet: »Wir haben die Notbremse. Wir haben uns auf Stein und Bein geschworen, sie einzuhalten. Das wird sie leider nicht überall.« So schiebt sie das Versagen auf das föderale System und deren Vertreter, das man nun mal nicht aushebeln könne.

Viel Staatskunde, wenig Selbstkritik, kaum konkrete Lösungsvorschläge – Interviewerin Will ringt angesichts der dürftigen Performance irgendwann mit den Worten. Zwischenzeitlich benutzt sie sogar mal Comicsprache, um Merkel im Stil von Daniel Düsentrieb doch noch einen Geistesblitz abzuringen. Sie habe geglaubt, so die Moderatorin, dass Merkel in der Sendung mehr abliefern würde – nach dem Motto: »Dang! Ich habe den Stein des Weisen gefunden.« Aber die Kanzlerin ist heute Abend nicht im Düsentrieb-Modus und sagt: »Den Stein des Weisen gibt es nicht.«

Was will die Bevölkerung?

Um konstruktiv gegenzuhalten, verweist Will auf Portugal, wo man eben doch recht weise auf eine noch viel massivere Gefahrenlage eingewirkt hat: In Portugal hatte der Inzidenzwert im Januar teilweise noch bei über 800 gelegen und konnte inzwischen auf 29 gedrückt werden – obwohl das Land früh von der gefährlicheren britischen Coronavariante heimgesucht worden war. Der Schlüssel zum Erfolg war ein konsequentes Herunterfahren der Kontakte.

Doch genau davor hat Merkel offenbar große Angst; immer wieder verweist sie beim Gespräch auf die Bevölkerung, die man mitnehmen müsse und nicht nur bevormunden könne. Merkel: »In einer Demokratie wird das nicht par ordre du mufti gemacht, sondern über Überzeugung. Sonst sagt man: Was ist das für ein autoritäres Kanzleramt?«

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Doch was will die Bevölkerung? In ihrer Panik, bloß nicht autoritär zu erscheinen, hat Merkel möglicherweise ihr Sensorium dafür verloren, wozu die Menschen bereit sind. Immer wieder verweist sie seelsorgerisch auf deren Müdigkeit, ohne politische Schlüsse daraus zu ziehen. Es ist ja richtig, dass man nur durchsetzen kann, was der Großteil der Bevölkerung mitträgt. Aber dieser Großteil ist ja bereit für harte Maßnahmen. Anne Will zitiert eine Umfrage laut der 31 Prozent der Befragten die aktuellen Maßnahmen gutheißen – 36 Prozent fordern sogar noch härtere.

Klar, die Leute sind durch, sie können nicht mehr. Aber vielleicht sind sie immer noch wacher, als Angela Merkel das in ihrer eigenen Müdigkeit wahrzunehmen imstande ist.

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