Corona-Strategie-Talk bei »Anne Will« »Wir stolpern von einem Bund-Länder-Gipfel in den nächsten«

Zwischen Verschärfung und Lockerung der Corona-Maßnahmen laviert die Politik. Eine Physikerin und eine Journalistin sind bei »Anne Will« schon weiter – aber eben keine Politikerinnen.
Anne Will mit Gästen: »Sie reden über Sachen, die völlig irrelevant sind«

Anne Will mit Gästen: »Sie reden über Sachen, die völlig irrelevant sind«

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Anne Will möchte wissen: »Wie sinnvoll ist Deutschlands Corona-Strategie noch?« Nach der Sendung kann man den Eindruck gewonnen haben, sie sei nicht sonderlich sinnvoll. Möglicherweise verdient sie nicht einmal den Namen »Strategie«. Was an zwei Frauen liegt. Und an Südostasien.

Wobei nicht die beiden Frauen verantwortlich sind für die Lage. Die Journalistin Vanessa Vu von »Zeit Online« und die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut schildern nur, wie und warum es anderswo besser läuft – oder was geschehen müsste, damit es auch hierzulande besser liefe.

Priesemann schildert nahezu wortgleich und mit dem Gleichmut einer Gebetsmühle, was sie schon vor Monatsfrist in gleicher Sendung erläuterte. Niedrige Fallzahlen würden eine niedrige Dunkelziffer bedeuten. Und nur eine niedrige Dunkelziffer an Menschen, die das Virus unwissentlich verbreiteten, gewährleiste eine gezielte Nachverfolgung und damit erfolgreiche Eindämmung der Infektionen: »Die niedrigen Fallzahlen sind viel, viel, viel besser kontrollierbar«. Punkt.

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Priesemann unterstreicht ihre Worte so gestenreich, zählt einzelne Punkte an den Fingern ab, lässt mit den Unterarmen die Kurven steigen oder fallen, dass ihre Argumente wohl auch bei abgedrehtem Ton verständlich wären. Konkret resümiert sie, der »Lockdown Light« habe nichts gebracht.

Würde sich die Politik an Erkenntnissen »aus der theoretischen Epidemiologie« orientieren, bräuchte es zum Brechen der Welle einen »kompletten Lockdown« von rund drei Wochen. Leider sehe sie in der Politik nur unterschiedliche »Camps«, die »da gegeneinander gehen«.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Vu – und berichtet von asiatischen Ländern, wo die Dinge besser laufen. Und zwar nicht nur in Vietnam, China oder anderen totalitären Systemen. Sondern auch in Demokratien wie Taiwan, Südkorea oder Japan. Dort sind die Anstrengungen so vereint, die Zahlen so lächerlich niedrig, Verhältnisse wie in Europa »haben wir in Asien überhaupt nicht erst«.

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Dort würden sinnvolle Maßnahmen besser kommuniziert, wären »alle Menschen wichtig«, ältere wie jüngere. »Da wird nicht gemeckert«, sagt Vu, und da gebe es auch keine Diskussionen ("Ich brauche meine Böller, ich brauche meine Fußballspiele"). Die Debatten hierzulande seien vergleichsweise »zynisch«, gerade, wenn es um die Mortalitätsrate unter älteren Menschen gehe. »Hier stolpern wir von einem Bund-Länder-Gipfel in den nächsten«, sagt Vu, und das führe »zu einer wahnsinnigen Verwirrung der Bevölkerung«.

Nun stehen weder Priesemann noch Vu in politischer Verantwortung. Anders als die Männer in der Runde, namentlich der aus München zugeschalteten Markus Söder (CSU) und sein Kollege Michael Müller (SPD) aus Berlin. Der erklärt sich die Erfolge in Südostasien mit der anderen »Mentalität«, aber auch einer besseren Vorbereitung.

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Südostasiatische Methoden allerdings wie das Tracking von Smartphones, die Auswertung von Videokameras oder das Auslesen von Kreditkartenabrechnungen seien allerdings nicht besonders europäische. Müller findet aber, wir seien »doch ganz weit gekommen«. Vu wirft ein: »Ich finde, 400 Tote täglich« seien nun kein Ruhmesblatt – etwa im Vergleich mit Taiwan und dessen sieben Corona-Opfern insgesamt.

In einem Einspieler zu Wort kommt etwa nicht nur die sonst international gern von Festlandchina blockierte taiwanesische Sicht, sondern auch Audrey Tang, die Digitalministerin von Taiwan. Die erklärt, unter anderem, dass es eine sozusagen bezahlte Quarantäne gebe, im Falle einer Überschreitung aber »tausendfach mehr« an Strafe gezahlt werden müsse. Das Drakonische und das Sinnvolle liegen auf dem Eiland offenbar eng beieinander.

Enger jedenfalls als in Bayern, für das Söder auf Nachfrage immerhin »Stichproben« in Aussicht stellt, mit der illegale Skitouristen aufgespürt werden könnten. Immerhin erweckt der bayerische Ministerpräsident den Eindruck, nicht resistent gegen wissenschaftliche Beratung zu sein – und konzediert, »die zehnstündigen Ministerpräsidentenrunden sind nicht vergnügungsteuerpflichtig«, weil jeder zunächst einmal ein Schlupfloch suche. Konkrete Namen wolle er keine nennen, die fielen ihm auch gerade nicht ein.

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Christian Lindner (FDP) ist, anders als die Kollegen, in der Opposition und damit in der bequemen Lage, Fragen in den Raum zu stellen: »Ich erlaube mir schon die Frage: Wie ist eigentlich die längerfristige Strategie?« Und was sei überhaupt »der zeitliche Horizont«?

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Zwar hat Priesemann die Lage einleuchtend geschildert, aber Linder möchte gern die Maßnahmen für Gastronomie und den Kulturbetrieb lockern und andererseits, »wie von Virologen ja auch ins Spiel gebracht, eine stärkere Fokussierung« auf sogenannte vulnerable Gruppen. Es sollten, ginge es nach ihm, »unter verantwortbaren behördlich genehmigten Hygienekonzepten« Restaurants oder Museen wieder öffnen dürfen.

Müller nennt die lindnerschen Vorschläge zur teilweisen Lockerung bei gleichzeitiger Verschärfung der Kontrolle von Altenheimen »additiv, nicht alternativ«. Wobei den Verletzlichen durchaus geholfen werde. So unterstützt Berlin, »gegen eine geringe Eigenbeteiligung«, die Ausgabe von »15 FFP2-Masken« an die Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen.

Was wiederum Will auf den Plan ruft. Eigenbeteiligung, wirklich? Bei einer Maske für vier Euro? »Sie sind Sozialdemokrat, ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das sagen muss«, worauf Priesemann dann doch die Contenance verliert: »Sie reden über Sachen, die völlig irrelevant sind«. Will: »Stopp, Frau Priesemann, ich will's wissen!«

Lindner wittert die Bresche und fordert spontan kostenlose FFP2-Masken für die gesamte Bevölkerung als »nationale Kraftanstrengung«. Müller perplex: »80 Millionen?«

Von Söder möchte Will angesichts der hohen Fall- und Sterberate noch wissen: »Fühlen Sie das, dass sie fühlen: Ich mach' was falsch?« So weit würde er bei aller ausgestellten Selbstkritik nie gehen. Söder verweist aber auf zwei Probleme.

Erstens: »Wir sollen einheitliche Regeln finden, aber jeder hätte es gern differenziert«. Auch Anne Will war zu Beginn der Sendung alles zu hart – und später zu weich. Zweitens hätten wir in Deutschland auch geistige Strömungen, die das Virus selbst infrage stellten: »Ich weiß gar nicht, gibt's Querdenker in Japan?«

Warum also läuft es nicht, wie es laufen sollte? »Ich glaube«, sagt Söder und liefert damit die zugleich klarste wie deprimierendste Analyse des Abends, »wir streiten uns einfach zu viel«.

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