Wagenknecht bei "Anne Will" "Innerlich immer ausgebrannter"

Moderatorin Will (4.v.l.) mit ihren Gästen
Foto: NDR/Wolfgang BorrsEine öffentliche Therapiesitzung hätte es werden können, in eine Sendung zum Thema "Wann macht Arbeit krank?" mindestens einen Menschen einzuladen, den seine Arbeit krank gemacht hat. Anne Will hat einen solchen Fall in der Familie, ihre Ehefrau Miriam Meckel hat über ihren eigenen Burn-out einen Bestseller geschrieben. In ihre aktuelle Sendung lud Will nun Sahra Wagenknecht ins TV-Studio. Und eine Wagenknecht tut den Teufel, sich therapieren zu lassen.
Gewiss, sie "habe gemerkt, dass ich gesundheitlich einen gewissen Dauerstress einfach nicht mehr durchhalte"; dass sie sich "innerlich immer ausgebrannter" gefühlt habe - weshalb sie ihren Rücktritt vom Fraktionsvorsitz der Linken erklärt hat. Mit den eigenen Symptomen oder der Leidensgeschichte hält sich Wagenknecht nicht lange auf. Sondern verweist auf ihr Privileg, sich ein Kürzertreten - anders als viele andere Menschen - überhaupt leisten zu können.
"In vielen Berufen hat man diese Möglichkeit überhaupt nicht", sagt Wagenknecht, weil oft "das Umfeld so katastrophal ist" und "viel verschleißender und viel zermürbender" als der Alltag selbst einer Spitzenpolitikerin. In befristeten Jobs beispielsweise überlege sich eine Arbeitnehmerin sehr gut, ob sie sich wegen eines Burn-outs krankmelde. Wagenknecht: "Ist der Mensch für die Wirtschaft da oder die Wirtschaft für den Menschen?", sei ja nun "ein Produkt der Politik der letzten Jahre". (Mehr über eine Burn-out-Gefahr und die Anzeichen für Überlastung erfahren Sie hier.)
Thomas de Maizière, CDU, war erst Kanzleramtsminister, dann Innenminister, später Verteidigungsminister, bevor er wieder Innenminister wurde - und, mit der GroKo, plötzlich gar nichts mehr. Als "sehr anstrengend" bezeichnet er bei "Anne Will" den Wechsel der Ressorts, will aber mit den "Belastungen im Großen und Ganzen gut zurechtgekommen" sein.
"Sie wurden, ich sag's grob, abserviert", sagt Anne Will grob. Wie ist er damit zurechtgekommen? Sein Abschied sei, sagt Thomas de Maizière und malt Anführungszeichen in die Luft, "ehrenvoll" gewesen und "im Nachhinein" ein großes Glück. Nun müsse er wieder selbst einparken lernen und ärgere sich über strenge Regeln am Flughafen, die er selbst eingeführt hatte.
Weder hat ihn die Arbeit krank, noch die Kündigung arm gemacht - der frühere Spitzenpolitiker erfindet sich gerade als onkelige Anekdotenschleuder neu. Der Preis, den Spitzenpolitiker bezahlen müssten - der Stress, die Schlaflosigkeit, das Adrenalin, die Langeweile - sei nicht zu hoch. Es gebe da auch Bequemlichkeiten. Trotzdem sei ihm sein neues Leben lieber.
Beglückwünscht wird er dazu vom Psychologen Klaus Lieb. Der Leiter des Resilienz-Zentrums in Mainz hält gerade in der Politik "chronischen Stress" und eine "dauerhafte vegetative Übererregung" für gefährlich. Hin und wieder müssten einfach, wie das so verräterisch technizistisch heißt, die "Akkus aufgeladen" werden.
Dass dies nicht jedem Arbeitnehmer gegeben ist, könnte ein "Produkt der Politik der letzten Jahre" sein, wie auch Alexander Jorde betont. Jorde ist der Auszubildende im Gesundheitswesen, der einst Angela Merkel mit seinen Fragen nach Missständen in der Pflege in Verlegenheit gebracht hat und seitdem als Botschafter in dieser Sache reüssiert - unter anderem für die SPD, in die er eingetreten ist.
Seine detaillierten und engagierten Hinweise auf die chronische Überlastung auf dem chronisch unterversorgten Sektor der Pflege perlen an de Maizière ab, der diese Zustände nicht zu verantworten hat. Der Arbeitsmarkt sei eher "überreguliert" durch die ganzen Schutzgesetze und Deckelungen der Arbeitszeiten.
Auch die ständige Erreichbarkeit auch in der Freizeit gehöre einfach dazu, wenngleich im "richtigen Maß", wie auch immer das aussieht. Leider kann sich der Leistungsträger a.D. den Hinweis nicht verkneifen, dass die ganzen tollen Sozialregeln für Politiker überhaupt gar nicht gälten. Und menschliche "Zuwendung", wie sie gerade in der Pflege gefordert sei, könne man durch Gesetze nicht erzwingen.

Rückzug von Sahra Wagenknecht: Zurück bleibt eine gespaltene Partei
Was sagt eigentlich Katja Suding dazu? Nun, die stellvertretende Parteivorsitzende der FDP genießt das alles, die mediale Aufmerksamkeit und schnelle Taktung der Spitzenpolitik, derzeit "in vollen Zügen". Das hört man gern. Suding glaubt auch nicht, dass die Privatisierung der Kliniken für die Pflegemisere zuständig wäre. Hier sei es nötig, das "Potenzial der Digitalisierung" besser zu nutzen.
Will merkt spöttisch an, das habe sie sich schon gedacht, dass Suding schnell "bei der Digitalisierung" lande. Unverzagt setzt die Liberale noch einmal an, mit der famosen Digitalisierung könne man durchaus noch Einsparungen erzielen. Sie erntet Gelächter aus dem Publikum. Zuwendung lässt sich nicht gesetzlich erzwingen, aber offenbar digitalisieren.
Irgendwann fragt Anne Will auch danach, ob es möglichweise eine Verbindung zwischen finanziellen Sorgen und einer Überlastung durch Arbeit gebe. Sie fragt so gewunden, dass der Psychologe Lieb nicht versteht, worauf die Moderatorin hinauswill. Sie wiederholt die Frage, und der Experte räumt ähnlich gewunden ein, ja, das könne man nicht ausschließen. Wagenknecht lächelt ihr Wagenknecht-Lächeln.