Corona-Streit bei "Anne Will" "Die Bundesländer tröten alle durcheinander"

Die Runde war mit Söder, Scholz und Habeck top besetzt wie lange nicht. Und lieferte mit den Themen Sozialpolitik versus Automobilindustrie das perfekte Match: Die größte Kluft der Corona-Situation steht fest.
Anne Will mit Gästen: "Das ist nicht Heimarbeit wie früher, das ist Homeoffice"

Anne Will mit Gästen: "Das ist nicht Heimarbeit wie früher, das ist Homeoffice"

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Zwei Monate lang haben wir uns nun an den Erklärbärton in den Polittalkshows gewöhnt. Haben uns gefreut über die sachlichen Debatten, ohne parteipolitisches Phrasengemetzel.

Tja, und dann zeigte ein Blick auf die Anne-Will-Runde: Stimmt, "Polittalkshow", irgendwas fehlte zuletzt. Wenn es schon einzig um die Corona-Pandemie geht in den vier bis fünf TV-Abendtalks pro Woche, dann vielleicht ja heuer mal wieder: mit Politik!

"Raus aus dem Corona-Stillstand - hat die Regierung hierfür den richtigen Plan?", lautete die Frage der Sendung. Es wurde zwar eher: "Welcher Plan, bitte?". Dafür war sie so top besetzt wie lange nicht: Der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder war zugeschaltet, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) war da, Grünenchef Robert Habeck, dazu Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, und Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (Sie wissen schon, der Job, den Sigmar Gabriel dann doch nicht wollte.)

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Und, hat sich ausgezahlt, dass drei hohe Parteitiere dabei waren?

Man merkte, wie Söder, Scholz und Habeck eine Art "Lockerungsmaßnahme" des politischen Betriebs ausprobieren. Und einen Spagat versuchen: verlässlich für die Gesundheit der Bevölkerung – und den eigenen Markenkern nicht verraten. Weil: Corona dauert zwar, aber 2021 steht 'ne Bundestagswahl im Kalender. Einig waren sie sich, dass es dreierlei brauche: Geduld, genauere Daten, eine Regionalisierung der Maßnahmen.

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Daneben gab Scholz den sanften Mahner: "Wir dürfen niemals den Eindruck erwecken, dass es eine simple Lösung gibt", man müsse sich noch zwei Jahre in dieser "neuen Normalität" einrichten. Söder wurde deutlich zu Sachsen-Anhalts Lockerungs-Solo: "Wir haben uns sehr gewundert". Habecks Strategie: Die Bundesländer kritisieren ("Die tröten alle durcheinander") und eine andere Debatte fordern: "Wir diskutieren nur über Öffnung oder Lockdown, das ist falsch."

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Und was war mit den beiden anderen? Automobilindustrie und Sozialforschung in einer Sendung – was bringt’s?

Viel! Als nach 30 Minuten der Autokaufprämien-Einspieler kam, war klar: Jawoll, endlich ein Sozial-und-Wirtschaftspolitik-Match zu Corona. In dem Clip sagte etwa VW-Chef Herbert Diess, solche Prämien seien dringend nötig, das schließe Dividenden an die Aktionäre aber ja nicht aus.

Klingt nach Potenzial für einen ordentlichem Rumms.

Den gab's, aber erst mal wiegelte Müller ab: Sie verstehe die Aufgeregtheit der Debatte, nicht für alle Branchen passten alle Maßnahmen. Aber eben: Einzig die Automobilindustrie bringe Wirtschaftsaufschwung für alle. Der Rumms kam in zwei Geschmacksrichtungen. Einmal scholzig-hanseatisch: Staatshilfen wollen, aber Dividenden auszahlen: "Das ist eine komplizierte Idee, um es höflich auszudrücken", über Pläne rede man besser erst Ende Mai, vor allem für andere Branchen. Und einmal mit klarer Ansage von Jutta Allmendinger: Zum einen seien Dividenden dem Rest der Bevölkerung nicht zu vermitteln. Zudem brauche es andere Verkehrskonzepte, keine Debatte über Benziner – damit stellte sie das angenommene Grundkonzept unserer Volkswirtschaft als einzige überhaupt mal infrage.

Klingt, als habe Allmendinger nicht lange gefackelt.

Sie leuchtete die ganze Kluft aus wie mit einem Baustellenstrahler – und stellte dann die logischsten Forderungen an die Politik. Erst machte sie die Diskrepanz der Prioritäten deutlich: In Erziehung und Pflege arbeiteten, so Allmendinger, 72 Prozent Frauen, in der Autoindustrie zu mehr als 75 Prozent Männer; an eine bessere Bezahlung für "Systemrelevante" glaube sie nicht. Dazu kämen die Folgen für die "soziale Gesundheit" wegen "Homeoffice" und "Home Schooling": "Frauen werden eine entsetzliche Retraditionalisierung erfahren, wir werden garantiert 30 Jahre verlieren", die Nachteile für Rente, Karriere, Bildung seien unaufholbar. Es gebe empirische Daten , aber sie würden nicht genutzt. Ganz pragmatisch plädiert sie für klare Entscheidungshilfen: "Sind Maßnahmen so ausgerichtet, dass Ungleichheiten verschwinden" – zwischen Frauen und Männern, Kindern aus bildungsfernen und privilegierteren Familien und für mehr Ökologie?

Irgendeine Spur von Polittalk-Alltag?

Zumindest was das Format "Talkshow als Plattform" angeht. Sah man am Kanzler-Move des Abends. So betonte Markus Söder x-fach: "Die ganze Welt schaut bewundernd auf Deutschland", weil wir das alles so top hinkriegen. Und: "Wir müssen Corona nutzen für eine andere Geschwindigkeit und Qualität für Innovationen und Klimaschutz." Taucht bestimmt in Wahlwerbespots 2021 wieder auf. Bei den Gegnern eher Söders neuer Klassiker: "Das ist nicht Heimarbeit wie früher, das ist Homeoffice".

Und Robert Habeck? Sollte der nicht auch gerade noch was werden?

Wie beim Pokal: Corona hat eigene Regeln. Als Kanzlerkandidat war er abwesend, außer beim Satz: "Man hat gesehen, wer keine Lobby hat: Alleinerziehende, Kinder und Frauen." Als Parteichef hat er mit fast herrlich "Normalpolitischem" zu tun: der Parteiausschlussdebatte über den Noch-Grünen-Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der hatte in etwa gesagt, die Alten seien doch eh quasi tot, auch ohne Corona, also einfach sterben lassen. Habeck kommentierte: "Er spricht damit weder für die Partei, noch für mich, sondern nur für sich", und: "Meine Geduld ist wirklich erschöpft".

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Noch was, das nichts mit Corona zu tun hatte?

Ja, Anne Will spricht den Gendergap mit: Sie sagte "Aktionär:innen" – und demonstrierte zur besten Sonntagabendsendezeit im Öffentlich-Rechtlichen, wie unkompliziert ein Wort klingt, mit dem sich alle gemeint fühlen können.

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