Anne Will-Talk über "Mein Kampf" Schrecklich komisch

NS-Druckerzeugnis "Mein Kampf": Urheberrechte verfallen 2016
Foto: dapdMan hat schon schlechtere Talkshows gesehen. Die Diskutanten bei Anne Will führten eine Reihe nachdenkenswerter Argumente dafür an, dass "Mein Kampf", der ebenso schwer lesbare wie unverdauliche 700-Seiten-Backstein Adolf Hitlers, in den Schulen gelesen werden sollte. Oder eben nicht.
Der ZDF-Kulturjournalist Wolfgang Herles legte überzeugend dar, dass nicht das Buch die Ideen Hitlers mystifiziert, "sondern wir es durch Diskussionen wie diese tun." (Wieso er sich dann zu Anne Will setzte, erklärte Herles selbstverständlich nicht.) Volker Beck aus dem Bundestag stimmte zu: "Das Buch strahlt eine magische Langeweile aus", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag. "Wir sollten cooler damit umgehen."
Dagegen argumentierte eine überraschende Koalition, bestehend aus dem Kabarettisten Serdar Somuncu und dem CSU-Rechtsaußen Norbert Geis. Der alte schwarze Mann aus dem Bundestag forderte, dass Jugendliche das Buch Hitlers ruhig lesen sollten - "aber nicht ohne Kommentar!" Der aufreizend gescheite Somuncu erklärte dann haarklein, wie das geht. Der Deutsch-Türke hat mehr als tausend Lesungen von "Mein Kampf" in Deutschland gehalten - an Schulen. Er findet Hitlers Text nicht langweilig, sondern hält ihn für einen guten Kabarett-Text, weil dort nicht nur Schreckliches, sondern vor allem schrecklich komische Sachen zu finden seien. Wenn Somuncu Hitlers groteske Überlegungen über Fuchs und Gans aus "Mein Kampf" vorliest, fragen ihn selbst Neonazis, "ob das da wirklich drin steht?".
Somuncu ist so etwas wie ein kleiner Held. Er war wirklich draußen im Kampf mit "Mein Kampf". Er hat dabei sehr spezielle Feldstudien erlebt. Etwa in Anklam, als ihm Nazis mit einer Bombe drohten - und die örtliche Polizei ihm schulterzuckend mitteilte: "Wir haben jetzt Feierabend." Somuncu war zugleich der Einzige in der Runde, der die komplexe Urheberrechtsstory von "Mein Kampf" ziemlich gut kannte.
"Wir sind hier nicht in einer Erziehungsstunde"
Das bayerische Finanzministerium hält die Urheberrechte nämlich heute an dem Text, weil Bayern Hitlers Verlag 1945 enteignete und sich einverleibte. Am 1. Januar 2016 verfallen diese Urheberrechte. Das heißt, dann könnte jeder das Buch drucken und vertreiben. Dem "Jeder darf" stellt sich nun Markus Söder entgegen, Bayerns Finanzminister erklärte Hitler zur Chefsache. Und will eine kritische, wissenschaftlich editierte Kopie der Schwarte zulassen, herausgegeben vom Münchner Institut für Zeitgeschichte.
Der Kabarettist Somuncu lobt aber keineswegs die bayerische Mein-Kampf-Politik. "Das bayerische Finanzministerium will stellvertretend für uns die Gesinnungspolizei spielen", ätzte Somuncu. Dann übernahm er umgehend selbst diese Rolle. Und zwar sehr überzeugend.
Somuncu unterbrach und provozierte die psychotherapeutische Heilpraktikerin Gabriele Baring, bis diese Anne Will um Hilfe anrief. "Wir sind hier nicht in einer Erziehungsstunde", hielt Somuncu weiter drauf. "Aber auch nicht in einer Unterbrechungstalkshow", konterte Baring und beklagte dann, "dass die Deutschen über weite Strecken Opfer sind." Baring hat ein Buch über das Leid der Vertreibung geschrieben und eines über die "geheimen Ängste der Deutschen".
Baring will in ihren vielen Familientherapien herausgefunden haben, wie sehr ihre Klienten unter der Nazischuld leiden - als Personen. Und deshalb nie zu einem befreiten Leben kommen. "Es gibt ein großes Schweigen in den Familien", wandte sich Baring an die Mitdiskutanten. "Ich empfehle ihnen, den eigenen Geschichten vorurteilslos und mit liebendem Blick auf die Spur zu gehen."
"Mein Kampf" als Schulbuch? "Eine Ente!"
Ob das nun Barings Sicht auf Einzelpersonen im Post-Nazi-Deutschland ist oder der Versuch einer reaktionären politischen Schuldumkehr, war jedenfalls nicht mehr zu klären. Somuncu und sein sehr uncooler grüner Hilfspolizist Beck tricksten fortan nach allen Regeln der Diskursunkultur. Der Fraktionsorganisator der Grünen rüpelte den CSU-Mann Geis derart grob an, dass selbst Anne Will wieder zum Leben erwachte. "Nehmen Sie das jetzt zurück!", herrschte die Moderatorin Beck mehrfach streng an - und der Grüne parierte tatsächlich.
Aber das Problem der Debatte war kein rein stilistisches, sondern schon im Titel der Sendung angelegt. "'Mein Kampf' im Klassenzimmer - man wird doch wohl noch lesen dürfen?" suggerierte, dass es ein Schulbuch geben würde. Dabei ist keines geplant.
"Es ist schlicht eine Ente, dass wir ein Schulbuch produzieren werden. Das können wir gar nicht, und bis jetzt ist niemand an uns herangetreten", sagte der Sprecher des Instituts für Zeitgeschichte SPIEGEL ONLINE - obwohl genau das vermeldet worden war. Und auch der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) wies entsprechende Pläne von sich. "Es wird für die Schulen kaum eine Komplettausgabe von "Mein Kampf" geben", sagte Spaenle am späten Mittwoch SPIEGEL ONLINE. "Es wird eher eine pädagogische Handreichung mit Teilen dieses Pamphlets sein."
Schade eigentlich. Es gäbe ein paar ganz gute Argumente für eine Schulausgabe von "Mein Kampf" - mit klugen Kommentaren und nicht nur für Bayern.