"Anne Will" zu Organspenden Das Pflicht-Thema

Geht es nach Gesundheitsminister Jens Spahn, wird jeder zum Organspender, der nicht widerspricht. Anne Will diskutierte mit ihren Gästen über diese Idee - und brachte die Debatte tatsächlich voran.
Von Klaus Raab
Moderatorin Will (M.) mit ihren Gästen

Moderatorin Will (M.) mit ihren Gästen

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Man kann über das Falsche diskutieren und doch über das Richtige. Die Zahl der Organspender in Deutschland ist relativ niedrig, 2017 war sie gar auf einem Tiefpunkt. Einer Studie zufolge liegt das aber weniger an einer fehlenden Spendenbereitschaft als daran, dass potenzielle Spender in Kliniken zu selten erkannt und gemeldet würden. Moderatorin Anne Will sprach nun am Sonntagabend mit ihren Gästen trotzdem in erster Linie über die Verantwortung des Einzelnen. Sie machte die Diskussion damit zugänglich für ein breites Publikum - und brachte sie tatsächlich voran.

Die Frage des Abends: "Wer nicht widerspricht, wird Spender? - Neue Debatte um Organspende": Unter diesem Titel diskutierte die Runde im TV-Studio. Im Vordergrund steht ein Vorschlag des Gesundheitsministers Jens Spahn. Der CDU-Politiker hat sich für die "doppelte Widerspruchslösung" ausgesprochen. Während bisher als Organspender gilt, wer sich aktiv dafür entscheidet, müsste man nach einer Neuregelung aktiv widersprechen. Im Fall eines fehlenden Widerspruchs würden, wie bisher, die Angehörigen gefragt.

Die Freiheiten des Abends: Nun würde eine Pflicht zur Organspende einen Eingriff des Staates in die Freiheit des Einzelnen bedeuten. Der evangelische Theologe Wolfgang Huber fordert, dass man "Freiheit positiv würdigt und nicht nur negativ". Er spricht sich gegen die Neuregelung aus. Erst müsse man das Vertrauen in die Organtransplantation herstellen, sagt er. Das habe nämlich gelitten. Der Fernsehmoderator und Arzt Eckart von Hirschhausen, der für die Neuregelung ist, legt einen anderen Freiheitsbegriff an: Die Freiheit, die hier beschnitten werde, sei die, "dass mir andere Leute egal sind".

Die Pflicht-Debatte des Abends: Die Frage ist: Geht es wirklich um eine Organspende-Pflicht? Ja, sagt Huber. Es handle sich nicht mehr um eine Organspende, "wenn sie den Charakter einer Organbereitstellungspflicht bekommt". Sein Vergleichsobjekt: der Wehrdienst. Auch den habe man verweigern können, trotzdem sei er eine Pflicht gewesen. Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker der SPD, widerspricht energisch: Wer seine Organe nicht spenden wolle, müsse sich, anders als Kriegsdienstverweigerer, nicht erklären. "Ich kann ohne Begründung nein sagen."

Das halbgarste Argument des Abends: "Selbst wenn jeder Deutsche einen Organspendeausweis hätte", sagt die Gesundheitssoziologin Alexandra Manzei, "gäbe es nicht genügend Spenderorgane". Aber das ist ein seltsames Argument: Auch wenn es nur noch halb so viele Fahrradunfälle gäbe, gäbe es zwar immer noch Fahrradunfälle - deswegen spräche aber ja nichts dagegen, sie zu halbieren. Karl Lauterbach sagt, natürlich würden auch mit der Neuregelung noch Menschen sterben, aber "nicht mehr so unnötig viele". Manzeis Hinweis freilich, eine solche Neuregelung löse das Problem nicht grundsätzlich, ist valide. Lauterbach: "Man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen." Um mehr Patienten zu helfen, die auf ein Organ warteten, sei es "eine notwendige Bedingung", die Zahl der verfügbaren Organe zu erhöhen.

Die Dreifach-Rolle des Abends: Von Hirschhausen übernimmt neben den Aufgaben des Diskussionsgasts auch die des Publikums und der Moderatorin. Als Lauterbach sagt, es sei eine "Überforderung der Angehörigen", wenn die über eine Organentnahme entscheiden müssten, applaudiert er heftig, als säße er im Publikum. Und als Lauterbach die BZgA erwähnt, hakt er ein, das müsse man erklären: "Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung" - als wäre er der Moderator. Anne Will wird sich bedankt haben.

Der Grauton des Abends: Wäre es mit der Überforderung der Angehörigen wirklich vorbei, wenn die Neuregelung käme? Anita Wolf sagt: nein. Sie bringt wichtige Nuancen in die Diskussion. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie entschieden, seine Organe zur Spende freizugegeben. Dennoch lehnt sie die vorgeschlagene Neuregelung ab. Das Prinzip "Schweigen ist Zustimmung" finde sie hier falsch. Die Entscheidung sei schwierig gewesen; in der Situation, in der man mit dem bevorstehenden Tod eines Angehörigen konfrontiert sei, könne man "überhaupt nicht nachdenken". Da auch die doppelte Widerspruchslösung bedeute, dass im Zweifel die Angehörigen gefragt würden, sehe sie keine Verbesserung. Das Gegenargument aus der Runde: Wer einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht widerspreche, habe entschieden - und damit den Hinterbliebenen die Entscheidung leichter gemacht.

Der Appell des Abends: Der ehemalige Bundesligafußballer Ivan Klasnic sagt, er fände es gut, wenn "jeder sich mal Gedanken machen muss". Er habe dank einer Spenderniere ein schönes Leben. Und ja, sagt er, er habe mittlerweile auch selbst einen Spenderausweis. Nur eine Niere könne er nicht mehr geben.

Das parteipolitische Kleinklein des Abends: SPD-Mann Lauterbach lässt es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass er die doppelte Widerspruchslösung "schon seit Jahren" befürworte: Wenn er dem Vorschlag des CDU-Gesundheitsministers (der Anne Will zufolge eingeladen worden war, aber seine Teilnahme an der Diskussion abgesagt hat) schon zustimmt, will er wenigstens angedeutet haben, dass er schon vorher dafür war. Gewisse Widerspruchspflichten hat man als Parteivertreter wohl einfach.

Im Video: Organspende via Facebook - Bitte eine Niere

dbate
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