
ARD-Doku zu Uranbergbau in der DDR "Ich bin Bergmann. Wer ist mehr?"
Am 17. Juni 1953 verbrannten die Arbeiter Ostberlins kommunistische Parteibüros und wurden von Sowjetpanzern niedergewalzt. In den Uranabbaugebieten des Erzgebirges um Aue und Johanngeorgenstadt war zur selben Stunde von Aufstand kaum etwas zu spüren. Warum hätten die Kumpel auch streiken sollen? Die "Uransklaven", wie die von den Russen von überall her zusammengekarrten Kumpel zu Anfang genannt wurden, waren längst zu einer proletarischen Elite mutiert.
Die Arbeit war zwar immer noch hart, aber die Bedingungen hatten sich in den fünfziger Jahren dank sonst im Sozialismus unterdrückter gewerkschaftlicher Initiativen verbessert: Die Löhne waren für frühe DDR-Verhältnisse exorbitant hoch, in den HO-Läden der sächsischen Urangebiete gab es alles, wovon der Rest der DDR nur träumen konnte, es gab vernünftige Waschkauen zum Umziehen, es gab anständige Quartiere - und es gab Frauen, darunter viele Kriegswitwen, für die die Minenarbeiter zur guten Partie geworden waren.
Die MDR-Dokumentation "Wildwest bei der Wismut" von Kerstin Mauersberger und Jürgen Ast zeigt einen frühen Nischensozialismus mit sattem Antlitz. In dieser Epoche einer hektischen Rohstoffausbeutung erfüllte sich, was die marxistische Theorie schon immer prophezeit hatte. Es sind nicht die idealistischen Kräfte wie Freiheitssehnsucht und von der Obrigkeit verordnete Erziehungsparolen, die Geschichte machen, sondern die materiellen Verhältnisse. Harte Arbeit, gutes Geld, gutes Essen, angemessene Lebensverhältnisse - und der deutsche Kumpel spurt. Im Westen wie im Osten.
Zeitzeugen berichten, wie sie vom Arbeiteraufstand eher überrascht aus dem Rias hörten. Wie sie am 17. Juni wie selbstverständlich zur Arbeit fuhren, ohne jeden Gedanken an Protest und Streik und es in einigen Zechen doch zu Protesten kam. Die alarmierten sowjetischen Truppen hatten nämlich aus Misstrauen bewaffnete Kräfte unter Tage aufziehen lassen. Die Kumpel weigerten sich einzufahren. Nicht aus politischen, sondern aus traditionellen Gründen. Ein eherner Bergmannsgrundsatz besagt: Unter Tage sind seit altersher Waffen verboten, der Berg ist gefährlich genug. Die Sowjetsoldaten mussten die Schächte verlassen.
An Zahltagen war die Hölle los
Nach der Niederschlagung des Aufstands machte sich das Regime daran, die Arbeitsbedingungen und Löhne in der gesamten DDR zu verbessern. Selbst die gut bezahlten Urankumpel profitierten. Ein Zeitzeuge erinnert sich, dass die Überprüfung seiner Bezüge eine feuchtfröhliche Nachzahlung ergab: 43 Liter Schnaps.
Die Wismuter, eigentlich aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus stammend, waren dabei, einen eigenen Stolz zu entwickeln, nicht unähnlich dem, der zuvor im Ruhrgebiet entstanden war. Hingerissen schwärmt vor der Kamera eine Frau noch heute - sie war in jungen Jahren zum Grubenrettungsdienst gestoßen - vom Zusammengehörigkeitsgefühl unter Tage: "Da waren tolle Männer. Sie setzten ihr Leben ein. Ich war stolz dazuzugehören."
Sie trugen den Kopf erhoben, erzählt die Dokumentation: "Ich bin Bergmann, wer ist mehr?" Sagen ließen sich die rauen Urankumpel wenig. An Zahltagen war die Hölle los. Suff, Schlägereien und Frauen, die auf den Tischen tanzten. Auch die Polizei bekam eine Abreibung. Vom späteren DDR-Muff mit seinem Gekusche vor der Obrigkeit - in und um Aue und Johanngeorgenstadt war davon wenig zu spüren.
Die Gleichmacherei unter Tage hatte aber auch andere Seiten. Nazi-belastete Lehrer lernten, was es heißt,- gemäß dem NS-Jargon - aus einem "Arbeiter der Stirn" zu einem "Arbeiter der Faust" zu werden: Sie wurden nun in den Minen eingesetzt - Uran kannte anscheinend kein Gewissen. Gleichzeitig schufteten auch ehemalige U-Boot-Besatzungen unter Tage und folgten untereinander den alten Befehlsstrukturen der Marine. Die Russen schätzten das. Die submarinen Krieger blieben auch hier verschworen folgsam und effektiv.
Natürlich verschweigt "Wildwest bei der Wismut" die negativen Aspekte der Naturausbeutung nicht. Alte und lange versteckte private Schmalfilme und Fotos aus der verbotenen Uranregion zeigen die unerhörte Landschaftszerstörung des rasenden Bergbaus. Altstadtkerne stürzten ab, Natur wurde verschandelt. Die Gier nach dem strahlenden Gestein lässt Bergwerke bis an die Erdoberfläche durchbrechen.
Auf vertrautem Klischeegelände
Die freigesetzte radioaktive Strahlung ruinierte die Gesundheit. Die auf ihre Kollegen so stolze Rettungsdienstlerin erzählt, wie sie sich ahnungslos auf eine Kiste gesetzt hatte und von einem Kollegen verscheucht wurde, weil sich darin besonders gesundheitsgefährdendes Gestein befand. Wenig später erlitt sie schwere Blutungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Wismut-Wildwest war von der tödlichen Prärie unter sich in der Erde stets bedroht.
45 Minuten atemberaubende Berichte und Bilder liefert die MDR-Dokumentation - was hätte sich daraus für eine spannende Fiktion machen lassen über einen wilden harten frühen Sozialismus in einer DDR, in dem die Bonzen noch nicht alles bestimmen. Leider erfüllt an diesem Mittwoch der Spielfilm "Der Uranberg" (Regie: Dror Zahavi, Drehbuch: Hans-Werner Honert frei nach der Erzählung "Uranzeit" von Thomas Schulz) nicht solche Erwartungen.
Bei der Vorpremiere auf Arte zeigte sich ein redlicher und gutbesetzter Film (neben Henry Hübchen als Russenoffizier, Nadja Bobyleva als dessen schöne Tochter, Christian Redl als angebräuneltem deutschen Obersteigen im Konflikt mit seinem von Vinzenz Kiefer gespielten Anti-Nazisohn), der auf das spannungsreiche Verhältnis zwischen Deutschen und stalinistisch gelenkten Besatzern fixiert ist. Hier geht es um bockigen deutschen Sachverstand wider russische Rücksichtslosigkeit, um eine tragische Liebesgeschichte und dramatische Rettungsaktionen à la Lengede. Russen befehlen, Russen trinken, Russen lieben, Russen tanzen - irgendwie ist das vertrautes Klischeegelände.
So muss die Dokumentation die eindrücklichsten Bilder liefern. Besonders das Schlusstableau bleibt dabei im Gedächtnis hängen. Den Autoren Mauersberger und Ast ist es gelungen, einige alte Zeitzeugen noch einmal dazu zu bewegen, die alte Bergmannskluft anzuziehen. Da stehen sie. Rüstig, selbstbewusst, mit Helm, im Grubenlicht. Ein trotz aller Härte und Gefährlichkeit fast vergessenes Stück Vergangenheit sagt trotzig "Glück auf".
"Wildwest bei der Wismut", 5.12., ARD, 23.30 Uhr; "Der Uranberg", 7.12., ARD, 20.15 Uhr