
ARD-Vorabendkrimis Blut-und-Boden-Offensive auf die heitere Tour
Früher, als alles sowieso besser war, gab es vor der "Tagesschau", was es nach ihr nicht mehr gab: Entspannung, Harmlosigkeit, Glotzen um des Glotzens willen. Ed, das wunderliche Pferd sprach menschlich ohne alles Wiehern, und Lassie, die gute Töle, jaulte. Noch Mitte der sechziger Jahre begeisterte Beppo Brem mit den "seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger", bevor mit dem "Tagesschau"-Gong das Schwere und Erzieherische in die Wohnstube trat. Die frühen alleinherrschenden Fernsehgötter hatten einen kleinen Lunapark in die Zeit vor acht gesetzt, in der sie der unfeinen Werbung nachgehen konnten.
Keiner wusste damals, dass das Abendprogramm später "Prime-Time" heißen werde - und die TV-Welt davor Vorabendprogramm.
Dann kamen die Privaten, und die machten Ed und Lassie Beine. Sat. 1 und RTL griffen mit allem, was der TV-Boulevard hergab, den ARD-Vorabend an. Der war zersplittert durch seltsame Anfangszeiten, bedingt durch die Besonderheiten der Regionalprogramme. Die ARD schuf zwischen 18.50 Uhr und 19.45 Uhr einen berechenbaren Sendeplatz in dieser für Werbeeinnahmen so wichtigen Zeit. Doch zuletzt bot das Erste hier nur jede Menge Wiederholungen zu den schier unverrückbaren Quizdarbietungen am Donnerstag und Freitag, auch wenn Pilawa längst die Fliege gemacht hat.
Durchbrüche, vor allem eine Verjüngung des Publikums, wollten nicht recht gelingen. Tragisch scheiterte die großartige Serie "Türkisch für Anfänger". Das bei allen Kritikern gelobte und mit Preisen überhäufte Spiel mit den kulturellen Unterschieden scheiterte an der Quote: Die Alten fremdelten, das Zielpublikum, die Jungen, hatten zwischen den Stunden vor 20.00 Uhr Besseres vor, als Glotze zu gucken.
Der Hamborger Veermaster der ARD
Nur eine Reihe - inzwischen 25 Jahre alt - blieb sturmfest wie ein oller Hamborger Veermaster im Sturmgebraus der TV-Moden: Das "Großstadtrevier" tuckert am Montag erfolgreich zwischen "großen Haien und kleinen Fischen", zwischen Kiezklischees und ewig währender Ohnesorg-Theater-Klamotte. Das 14. Kommissariat erfüllt die Sehnsucht der Deutschen nach Überschaubarkeit und der Sicherheit einer Arbeitswelt, in der ein Kumpelbulle wie Dirk Matthies (Jan Fedder) der modernen Hektik trotzt.
Das "Großstadtrevier" gab und gibt dem Fernsehen - nur noch als Flair spürbar, aber immerhin - das zurück, was der "Tatort" längst verloren hat: eine Erdung in regionaler Eigenheit. Spannungsgewinn durch Heimatmilieu- und Seelenverlust kann aber auf Dauer nicht die Gleichung für erfolgreiches Fernsehen sein. Deshalb verordnet sich die ARD jetzt im Vorabendprogramm ein Flugverbot in die Fremde und bleibt am Boden.
Nachdem am Montag eine neue Staffel des Evergreens "Großstadtrevier" gestartet ist, wird die muntere Blut-und-Boden-Offensive "Heiter bis tödlich" mit der Serie "Nordisch herb" weitergeführt. Der Ort der Handlung ist die graue Stadt am Meer, Husum. Nicht nur dem Deutsch-Leistungskursteilnehmer leuchtet da gleich die Bildungsboje - Theodor Storm mit Hauke Haien, dem Deichgrafen, mit dem Schimmelreiter und dem blanken Hans vor der Tür, gegen den nur Deichen hilft.
Instant-Heimatgeist aus Westfalen
Und tatsächlich, ein baumlanger Kommissarsschrank (Frank Vockroth, bekannt aus "Ritas Welt") und eine gerade erst eingefrieste Großstadtpflanze (Loretta Stern, Ex-"Bravo"-Moderatorin und "Schillerstraßen"-Actrice) bekommen es kriminalistisch mit dem Storm-Erbe zu tun und mit einer deutschen Variante aus dem US-Plot "Six Feet Under". Des Kommissars Vater ist Beerdigungsunternehmer, probiert Särge aus, spricht mit den Toten und sorgt für schwarzen Humor in der grauen Stadt. Die erste Folge ist nicht zum Brüllen, aber auch nicht zum Weinen. Es knirscht ein wenig vor Absicht, aber der Wagen auf den neuen Wegen zu einer originelleren Unterhaltung ist in Bewegung.
Das gilt in noch stärkerem Maße für "Henker & Richter", für das westfälische Büdringhausen. Der WDR hat in der Eifel mit "Mord mit Aussicht", dem köstlichen Landpomeranzen-Krimi mit Caroline Peters, seine guten Erfahrungen gemacht und weiß seit dem Münster-Tatort, wie erfolgreich die Mischung von Humor und Krimi sein kann, wenn Drehbuch, Dialogwitz und Ambiente stimmen. Dann macht es auch nichts, wenn Protagonisten kein Westfälisch sprechen, sondern durch Schrulligkeit Heimat ersetzen.
Von diesem Instant-Heimatgeist hat auch "Henker & Richter" etwas. Es gibt in dem westfälischen Kaff die Oma der Kommissarin, die ohne Führerschein zwar nicht durch die Hühnerställe Motorrad fährt, aber doch durch den Ort. Es gibt den ortsbekannten Dorftrottel, der so gerne Feuerteufel wäre, es gibt den Dorfklatsch, der sofort mehr weiß, als die Polizei und die Staatsanwaltschaft nach langen Ermittlungen erkennen können. Es gibt die Raffgier und die gespielte Ahnungslosigkeit der Ortsansässigen, die gerne etwas mitnehmen, wenn die Versicherung bezahlt. Und es gibt ein kleines süßes Amtsgericht, dem ein freundlich-strenger Richter (Martin Lindow) vorsteht, der bald ein nicht ganz nur sachlich-fachliches Auge auf die neue Staatsanwältin wirft.
Würstchenbude in den Alpen
Im Frühjahr des nächsten Jahres geht es für den Vorabendkrimi nach Quedlinburg am Harz, wo die Darsteller Felix Eitner und die ewige Jungdarstellerin Wolke Hegenbarth das Polizeipaar vom Dienst spielen, und wo wir Alexa Maria Surholt als strenger Revierleiterin wiederbegegnen können, einer Frau, die "In aller Freundschaft" in der Sachsenklinik ebenfalls die gestrenge Aufseherin spielt. Netz und Nähe und MDR - Heimat ist ein enges Gehäuse.
Wo Heimat gesucht wird, ist schließlich Bayern schon immer zu Hause gewesen. Zu dem neuen Sixpack des Vorabends stößt nächstes Jahr Franz Xaver Bogners "München 7": der Viktualienmarkt als High-Noon-Schauplatz, der die Sheriffs (Andreas Giebel, Florian Karlheim) herausfordert, zumal die unvermeidliche Christine Neubauer als Seriengast das Bayerngelände unsicher machen.
Fehlt noch die am Mittwoch startende alpine Abendbrotbeilage "Hubert und Staller": Hubert (Christian Tramitz), die Müdigkeit vom Dienst, arbeitet mit dem hyperaktiven Kollegen (Helmfried von Lüttichau) in gemütstiefer Verbundenheit zusammen, die auch der zugereiste Chef (Michael Brandner) nicht wirklich stören kann.
Man geht übrigens in der ersten Folge zur Würstchenbude auf grüner Voralpenmatte. Dort gibt es zur Enttäuschung des Chefs keinen Leberkäs. Aber der Zuschauer erkennt, dass die Würstchenbude ein überregionaler, krimimagischer Ort ist, älter und überheimatlicher, als man es sich vorstellt. Vielleicht ist ja Storm durch den Duisburger Schimi auf den Schimmelreiter gekommen. Müsste mal geklärt werden in einem Kulturbrennpunkt.
Am besten weit nach acht, wenn die Unterhaltung schweigt und die Kultur kommt.
"Großstadtrevier", montags 18.50 Uhr, ARD
"Nordisch herb", dienstags, 18.50 Uhr, ARD
"Hubert und Staller", mittwochs, 18.50 Uhr, ARD
"Henker & Richter", donnerstags (ab 10. November), 18.50 Uhr, ARD