
"Nichts als die Wahrheit": Filmische Annährung an die Toten Hosen
Tote-Hosen-Doku in der ARD Zwischen Bierdusche und Bausparvertrag
"Man kann ja auch nüchtern Konzerte spielen", sagt Breiti. Breiti zupft seit 30 Jahren eine der beiden Gitarren bei den Toten Hosen, und er verdankt seinen Spitznamen wohl nicht nur der Tatsache, dass in seinem Personalausweis "Michael Breitkopf" steht. Punk, Saufgelage, Rebellion - die lauten, krachenden Anfänge der Band scheinen heute in dem massenkompatiblen Stadionrock der letzten Alben kaum noch hörbar. Dabei gibt es wenige Gruppen, die ihre eigene Veränderung so intensiv reflektieren: Die Revolution war auch nur Opium, heißt es sinngemäß in "Viva la Revolution" vom Album "Opium fürs Volk". Und in der aktuellen Single "Altes Fieber" ist die Vergangenheit ein großer, staubiger Haufen Altpapier. Doch das Lied lässt keinen Zweifel: Dieser Stapel ist leicht wieder entflammbar.
Ganz ähnlich hat Autor Eric Friedler seine Dokumentation der Bandgeschichte strukturiert. "Nichts als die Wahrheit - 30 Jahre Die Toten Hosen" zeichnet keine chronologische Linie nach, die einzelne Wende- und Höhepunkte pflichtbewusst abhakt, sondern wirft einen Blick zurück in Milde.
Friedler, der für politische Stoffe wie "Das Schweigen der Quandts" bekannt ist, interessiert sich zwar auch für die Musik der Toten Hosen, viel mehr aber für Fragen wie: Wie hält man drei Jahrzehnte durch, wenn einen einstmals ein Lebensgefühl zusammengeschweißt hat, das doch längst entschwunden sein müsste? Welche Fliehkräfte ziehen und zerren an den Musikern - das Alter? Die Familie? Das Geld? Der tragische Tod einer Konzertbesucherin, ausgerechnet beim 1000. Auftritt, 1997 im Rheinstadion? Friedler nimmt sich zwei Stunden Zeit, um Stoff zu sammeln für die Beantwortung all dieser Fragen. Sein Film balanciert sehr gekonnt zwischen Emotion und Analyse, zwischen fiebrig-drogenvernebelten Konzert- und Partybildern von damals und kühl stilisierten Interviews von heute, und natürlich weiß Friedler: Dass eine Dokumentation nichts als die Wahrheit präsentiere, glaubt heute niemand mehr, zuallerletzt die Bandmitglieder.
Wer führt die Gang an?
Stattdessen gibt es vermutlich unzählige, sicher aber mindestens fünf Wahrheiten darüber, wie die Toten Hosen wurden, was sie waren und was sie heute sind - und ob es da überhaupt einen Unterschied gibt. Die von Breiti etwa, dessen scharfes Profil das Bild manchmal dominiert wie einer der US-Präsidentenköpfe den Mount Rushmore und der noch heute mit aller Härte vom "deutschen Proll" spricht, der anderen "auf die Fresse" gebe, wenn er etwas nicht verstehen könne. Oder die von dem stillen, nachdenklichen Kuddel, dem anderen Gitarristen, der als erster von den Männern Vater wurde und damit seine Kollegen in eine Art Schockzustand versetzte. Die von Andi, dem Bassisten und die von dem quirligen Engländer Vom, der 1999 als Schlagzeuger einstieg und nur halb ironisch zu Protokoll gibt, ein bisschen mehr wildes Leben habe er schon erwartet in einer solchen Band.
Und natürlich die von Campino, dem redegewandten Frontmann, dessen genaue Rolle der Film aus einem so aufschlussreichen wie witzigen Wortgefecht aus den einzelnen Interviews zusammensetzt, oder besser: offen lässt. Ob Campino der Anführer der Gang sei? Natürlich, sagen die anderen Musiker. Natürlich, sagt der langjährige Produzent der Toten Hosen. Das spiele doch keine Rolle, sagt Campino. Auf keinen Fall, jeder habe gleich viel zu sagen, insistiert dagegen der Manager der Band.
Die eine, absolute Geschichte der Toten Hosen gibt es nicht, das macht Friedler klar. Die Wahrheit über diese Band setzt sich zusammen aus vielen Puzzlestücken: aus Provokationen im Suff etwa, die den Musikern selbst heute peinlich sind, und aus dem politischen Engagement von links, zu dem sich noch alle bekennen. Zu der Gruppe gehören Platin-Schallplatten und Echo-Preise genauso wie das Chaos, die Energie und der Lärm vollgestopfter Konzerte im legendären Ratinger Hof in Düsseldorf.
Eine Fülle von Archivaufnahmen, so bunt wie die Haare der Punks und so dahin gerotzt wie ihre Akkorde, beschwören die Wut und die Exzesse herauf, die einer anscheinend lange untergegangenen Subkultur gehörten. Aber wenn die Toten Hosen auf ihrer "Magical Mystery Tour" zum Bandjubiläum in Krankenhäusern oder WG-Wohnzimmern vor zwanzig Leuten aufspielen, dann ist die Kamera auch heute noch mittendrin, und es bleibt keine Linse trocken.
"Nichts als die Wahrheit", Samstag, 23.40 Uhr, ARD