Fotostrecke

ZDF-Film: Raus aus der Provinz

Foto: ZDF/ Bernd Spauke

Emanzipationsdrama im ZDF Eine Frau begehrt auf

Erika Gerlach, Metzgersfrau in der Eifel, will kein viertes Kind bekommen: Das ZDF-Drama "Aufbruch in die Freiheit" erzählt eine stille Emanzipationsgeschichte. Bewegend - auch dank der großartigen Anna Schudt.

"Ich will aber nicht mehr." Nur dieser kleine Satz. Der Blick in den Spiegel, in das eigene, müde Gesicht, und dann rafft sie endlich alle Kraft zusammen, um zu sagen, was sie schon so lange sagen will: Nein. Nein, Erika Gerlach, Metzgersfrau in der Eifel, will kein viertes Kind bekommen.

Weil es 1971 ist und Abtreibung verboten, geht sie heimlich zu einem Hinterzimmer-Quacksalber, der sie fast verbluten lässt. Und bevor sie es richtig merkt, steckt Erika mittendrin in einer Entscheidung, die viel größer ist als die Frage "Gebären oder nicht gebären?". Will sie ihr eigenes Leben wirklich leben oder es weiter einfach nur geschehen lassen? Und was würde passieren, wenn sie einfach aufsteht und geht?

Der ZDF-Film "Aufbruch in die Freiheit", der am Montag seine Erstausstrahlung hat, erzählt unaufgeregt, pointiert und glaubhaft ein Stück Emanzipationsgeschichte: den Kampf der Frauen für das Recht auf Abtreibung und generelle Selbstbestimmung Anfang der Siebzigerjahre. Der Film richtet die Lupe auf das klitzekleinst denkbare Private, ein vermeintlich unscheinbares Provinzleben - und zeigt so seinen Effekt auf das riesengroß Politische.

Fotostrecke

ZDF-Film: Raus aus der Provinz

Foto: ZDF/ Bernd Spauke

Dass man schnell Anteil nimmt an Erikas Geschichte, liegt zuallererst an Anna Schudt, die ihre vielschichtige Gefühlsbürde, das Schillern zwischen Verzweiflung und Nonchalance, Wut, Mut und Hoffnungslosigkeit so glaubhaft und fein verkörpert. Alwara Höfels spielt daneben ihre Schwester Charlotte, die schon früh aus dem Dorf in die Stadt floh, um dort nach ihren Regeln leben zu können, als sanfte Anschubserin und umkurvt dabei, nicht einfach, schlimme Kommunenklischees.

Das schafft Platz für pointierte, ungekünstelte Dialoge. Besonders eindrucksvoll ist die Szene, in der Erika nach ihrer Flucht zu ihrer Schwester erkennt, wie wenig sie - ohne ihren Ehemann - für sich selbst bestimmen kann: "Ich stehe da wie ein Idiot. Ich habe mein Leben lang gearbeitet, ich habe drei Kinder, und ich habe gar nichts." Ohne die Unterschrift ihres Manns kann sie keinen Job annehmen, kein Konto eröffnen, ihre Kinder nicht auf der Schule anmelden.

Die Männer sind in diesem Film nicht die Feinde

Mit einem dramaturgischen Kunstgriff wird Erika Gerlachs persönliches Drama unaufdringlich in der bundesdeutschen Geschichte verankert: Sie wird im Film zu einer der 374 Frauen gemacht, die sich in der berühmten "Ich habe abgetrieben"-Titelgeschichte des "Stern" 1971 zu einem Schwangerschaftsabbruch bekennen. Erika sei die von der Schlagzeilen-Banderole verdeckte Frau auf dem Cover, das viele Porträts der Protagonistinnen zeigt.

Gerade diese verborgene Frau sichtbar zu machen, indem man ihr eine fiktionale Lebensgeschichte schreibt, ist ein cleveres, gut erzähltes Detail - wie viele weitere Momente von Regisseurin Isabel Kleefeld (drehte zum Beispiel den furiosen Internetthriller "Im Netz") exakt dosiert und uneitel gestaltet, ohne der Versuchung zu verfallen, sich zu ausführlich in dieser Idee zu sonnen.

Dieselbe Zurückhaltung macht auch das Spiel der Figuren so angenehm: keine Verklamottung des langhaarigen WG-Typen, keine Überschärfung der frauenrechtlerischen Rechtsanwältin, keine Schreck-Emanzipierung der frühfeministischen Frauengruppe.

Die Männer sind in diesem Film nicht die Feinde, auch hier stimmt die Nuancierung, auch bei Ehemann Kurt (Christian Erdmann). Sie machen, was bisher gut für sie funktionierte, ihre Weigerungen zum Dinge-auch-mal-anders-Denken sind als Leerstellen fast sichtbar in dieser Geschichte. Und machen sie damit zum zeitlosen Stück, das Andockmöglichkeiten zu aktuellen Geschlechter- und Machtdiskussionen bietet - zumal in einer Zeit, in der es Frauen immer noch bizarr erschwert wird, sich über einen Schwangerschaftsabbruch zu informieren.

Das vielleicht größte Verdienst von "Aufbruch in die Freiheit" (Buch: Andrea Stoll, Heike Fink, Ruth Olshan) ist seine Perspektive: Radikal persönlich bleibt er bei der Frau, deren Meinung und Wünsche in der porträtierten Welt sonst eben nicht gehört werden. Wir sehen nicht den Ehemann, der sie wegen Kindesverschleppung anzeigt, nicht den Richter, der sie zwingt, die Kinder zurückzubringen, nur ihre Reaktion, ihre Gefühle - nachfühlbar und in seiner Dringlichkeit absolut aktuell.


"Aufbruch in die Freiheit" , Montag, 20.15 Uhr, ZDF

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten