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"Babylon Berlin": Deutsche Serie, internationales Niveau

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Serien-Meisterwerk im Free-TV "'Babylon Berlin' zeigt, dass sich Risiko lohnt"

Eine deutsche Serie macht die Welt verrückt: Laurence Herszberg, Chefin des größten Serienfestivals in Europa, erklärt den Erfolg von "Babylon Berlin" im Ausland und was TV-Schaffende davon lernen können.
Zur Person
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Laurence Herszberg, 60, ist Gründerin und Direktorin des SeriesMania-Festival. Die erste Ausgabe fand 2009 in Paris statt. 2018 zog das Festival nach Lille, wo es an Volumen zulegte. 60.000 Zuschauer sahen dort im Mai über 80 internationale Serien, ein Drittel davon feierten ihre Weltpremieren. Auf dem Forum trafen sich 2000 Fernsehschaffende. Das Festival ist inzwischen internationaler Knotenpunkt für Kreative und Manager des TV-Geschäfts. Die nächste Ausgabe findet vom 22. bis zum 30. März 2019 in Lille statt.

SPIEGEL ONLINE: Frau Herszberg, SeriesMania  gilt als größtes Festival Europas, wo ausschließlich Serien gezeigt werden. Bei ihrer letzten Ausgabe haben Sie "Babylon Berlin" prominent in der Abschlusszeremonie präsentiert. Wie waren die Reaktionen?

Herszberg: Überwältigend. Dabei klingt die Veranstaltung aus französischer Sicht nicht nach Publikumshit: der komplizierte Verschwörungs-Plot, die dezidierten Anspielungen auf die Weimarer Republik, in deutscher Sprache mit Untertiteln, das scheint eher was für Spezialisten. Doch das alles ging in einer Inszenierung auf, die man so im deutschen, ja im europäischen Fernsehen noch nicht gesehen hat. Mit Produktionskosten von fast 40 Millionen Euro ist "Babylon Berlin" ja nicht nur nach deutschen, sondern auch europäischen Maßstäben rekordträchtig. Der Erfolg ist ein Ansporn für die ganze Fernsehindustrie des Kontinents. Sie zeigt, dass sich Risiko lohnt.

SPIEGEL ONLINE: "Babylon Berlin" wurde inzwischen in 90 Länder verkauft und lief dort zum Teil schon erfolgreich. War Deutschland aus Ihrer Sicht in den Jahren zuvor bei der Serienproduktion nicht mutig genug?

Herszberg: Das Problem ist, dass sich deutsche Produzenten in den letzten Jahrzehnten schlichtweg weigerten, in Serienstrukturen zu denken. Deutschland hat eine starke Tradition in Sachen Neunzigminüter, eine Reihe wie "Tatort" sucht man in einem anderen Land vergeblich. Aber man versteht sie eben auch in keinem anderen Land. Bei dem Format Serie hinkte Deutschland immer sehr hinterher. Das hat sich aber übrigens schon kurz vor "Babylon Berlin" geändert.

SPIEGEL ONLINE: An welche Serie denken Sie dabei?

Herszberg: An "Deutschland83" vor drei Jahren. Die Serie kam kurz nach "Gomorrha" in Italien heraus. Für beide Länder war das der Startschuss in Sachen Serie.

SPIEGEL ONLINE: Die Mafia in Italien, der kalte Krieg an der innerdeutschen Grenze: Die Beispiele beweisen, dass europäische Fernsehproduktionen immer dann stark sind und international Erfolg haben, wenn sie länderspezifische Stoffe aufgreifen.

Herszberg: Und dieser Aspekt zeigt sich noch mal ganz besonders deutlich bei deutschen Serien, wo es vor allem um zwei Dinge geht: die deutsche Geschichte und die deutsche Hauptstadt. Die beiden anderen Serienprojekte, die uns nach "Deutschland83" auffielen, waren die Berliner Gangsterserie "4 Blocks" und "Mitten in Deutschland", die Mini-Serie über die NSU-Morde.

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SPIEGEL ONLINE: Starke Stoffe, aber wirklich auch auf internationalem Serienniveau inszeniert?

Herszberg: Definitiv. Wir haben bei den Reaktionen auf unserem Festival feststellen können, wie gut diese beiden Serien bei einem nicht deutschen Publikum liefen. Da hat sich Deutschland mit riesigen Schritten zum Serien-Land mit Highend-Produktionen entwickelt.

SPIEGEL ONLINE: Und nun starten aufwendige Nachfolgeprojekte: "Deutschland86" bei Amazon im Oktober, "Das Boot" bei Sky im November, "Dogs of Berlin" bei Netflix im Dezember. Wie Sie sagen - es geht immer wieder um die düstere deutsche Geschichte oder um Berlin. Könnte das irgendwann auch zum Problem werden?

Herszberg: Die Netflix-Produktion "Dark", mit der Deutschland im letzten Jahr endgültig zum internationalen Player geworden ist, kommt auch ohne Geschichts- oder Berlinbezug als Verkaufsargument aus. Und doch: "Unsere Mütter, unsere Väter", "Weissensee", "Ku'damm 56 + 59" - es geht so oft um historische Stoffe bei deutschen Serien. Es kann tatsächlich zum Problem werden, wenn sich die Serienproduktion eines ganzen Landes thematisch oder stilistisch verengen. Wir haben das bei all den skandinavischen Krimi-Reihen festgestellt, die international unter dem Begriff "Nordic Noir" vermarktet werden. Da gibt es fast keine neuen Impulse, das Genre stagniert, die Zuschauer bleiben weg.

SPIEGEL ONLINE: Was lässt sich dagegen tun?

Herszberg: Zum Beispiel stärker auf internationale Koproduktionen setzen, das zwingt die Produzenten automatisch, ihre Themen anders anzugehen. Deutschland hat da auch viel zu lange im eigenen Saft geschmort. Aber jetzt öffnen sich die Produzenten, etwa bei dem schon lange verhandelten Serienprojekt "Germanized".

SPIEGEL ONLINE: Die Serie mit Christoph Maria Herbst, die hier unter dem Titel "Deutsch-Les-Landes" laufen wird, erzählt von einem verschuldeten französischen Dorf, in das ein deutscher Automobilzulieferer samt Mitarbeitern einfällt. Eine Art frankoteutonische Version des Kinohits "Willkommen bei den Sch`tis", für Frankreich von Amazon finanziert, für Deutschland von der Telekom. Liegt in der Öffnung von Ländergrenzen die Zukunft?

Herszberg: Ja. Aber das heißt nicht, dass da kulturelle Eigenheiten aufgegeben oder ineinander aufgehen sollen. Im Gegenteil: Viele Serien funktionieren besonders gut, wenn sie rigoros den lokalen oder regionalen Aspekt ihrer Geschichte ausloten. Nehmen Sie "Borgen": Wer hätte gedacht, dass sich Fernsehzuschauer überall auf der Welt derartig Anteil nehmen am Leben der Ministerpräsidentin eines kleinen Landes wie Dänemark. Oder eben der internationale Erfolg "Dark", der mithilfe von Erzähltechniken des Fantasythrillers eine westdeutschen Kleinstadt ins Bild setzt.

SPIEGEL ONLINE: Denk lokal, erzähl global?

Herszberg: So kann man es ausdrücken. Wobei es in Zukunft schon aus Finanzierungsgründen darum gehen wird, grenzübergreifend zu erzählen. Gerade hier in Europa. Es muss starke Zusammenschlüsse geben, um ein Gegengewicht zum US-Serienmarkt zu bilden.

SPIEGEL ONLINE: Nico Hofmann, Chef der Ufa, die auch für "Deutschland 83 und 86" verantwortlich ist, forderte unlängst starke europaweit organisierte Plattformen als Gegengewicht zu Netflix und Amazon. Was denken Sie?

Herszberg: Ich halte die auch für notwendig. Ich sehe vor allem in der angedachten Kooperation von RAI, France Television und ZDF, durch die sich in Zukunft gemeinsame Seriengroßprojekte anstoßen lassen, einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Tatsächlich lassen sich nur so die finanziellen Mittel aufbringen, um im großen Stil auf einem internationalen Level konkurrieren zu können. "Babylon Berlin" darf erst der Anfang gewesen sein.


"Babylon Berlin" läuft ab Sonntag, 20.15 Uhr in der ARD

Offenlegung: Christian Buß ist Mitglied der internationalen SeriesMania-Jury, die über die Preisvergabe in der französischen Reihe des Festivals entscheidet.

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