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"Bloch" und der Blues: Der Schatten vom Mann in Schwarz

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Vadim Glowna in "Bloch" Das Monster heißt Erinnerung

Als Psychotherapeut "Bloch" muss Dieter Pfaff einem alten Musiker-Freund helfen, der mit ihm die Welt erobern wollte. Jetzt sucht ihn der Blues der Vergangenheit heim. Ein großartiger Generationenfilm - und ein würdiger Abschied vom jüngst verstorbenen Vadim Glowna.

Die Freiheit der Männer ist eine brüchige. In jungen Jahren spielen sie einen wilden, wütenden Blues, die Welt scheint ihnen zu gehören. Und wenn ihr Können auch nicht dafür reichen mag, mit der Musik eine große Karriere zu starten, die Frauen kriegen sie damit allemal ins Bett. Sollte es mit der Selbstüberschätzung doch hapern, hilft der Alkohol nach.

Irgendwann geht die Freiheit in die Brüche. Wenn die Vernunft Einzug hält. Oder das, was allgemein Vernunft genannt wird. Wenn die Frau morgens nicht mehr aus dem Bett verscheucht wird, wenn plötzlich ein Kind da ist. Dann wird alles verschlossen, die Träume und die Illusionen. Und der Blues und der Alkohol werden vorsichtiger dosiert. Mancher Mann ist bald ganz abstinent. Der eine oder andere junge Wilde steigt gar bei der Firma des Vaters ein.

Das kann man als Glück oder als Pech verbuchen, reine Interpretationssache. Bei Lorenz Haller (Vadim Glowna) lässt sich wohl eindeutig von Pech sprechen. Weil er plötzlich Frau und Kind hatte, hing er vor drei Jahrzehnten den Blues an den Nagel, zog vom wilden Köln ins spießige Grafenbach, um dort in die familieneigene Fabrik für Antriebstechnik einzusteigen. Gesellschaftliche Anerkennung und ein eigenes Segelboot waren der Lohn. Lorenz war keiner, der länger aufbegehrte.

Diagnose Affektinkontinenz

Doch nach einem Schlaganfall ist plötzlich alles anders. Der Firmenpatriarch torkelt mit Weinflasche durch sein Büro und singt, 35 Jahre nach seinem letzten Bühnenauftritt, wieder den Blues. Er lässt sich von seiner neuen jungen Freundin dazu überreden, in regenerative Energien zu investieren. Und auf dem Werksgelände lässt er ein riesiges Wandgemälde von Johnny Cash anfertigen, dem Mann in Schwarz, seinem Idol.

"Affektinkontinenz" lautet der trockene Befund von Maximilian Bloch (Dieter Pfaff). Der Psychotherapeut ist nicht gut zu sprechen auf den Möchtegern-Cash. Einst spielten sie gemeinsam in der Band Mad Sad Men: "Das war mehr so Country, 'n bisschen Blues." Dann kam irgendwas dazwischen, einer spannte dem anderen die Frau aus, auch eine Schwangerschaft und eine Abtreibung sollen eine Rolle beim Zerwürfnis gespielt haben. So richtig geklärt wurde das nie, die Männer haben drei Jahrzehnte geschwiegen.

Trotzdem übernimmt Bloch die Betreuung des verhassten Freundes. Der Schlaganfall habe den Thalamus beschädigt, den Teil des Gehirns, der auch als "Tor zum Bewusstsein" bezeichnet wird. "Du kommst nicht mehr an deine Erinnerung ran", so führt der Therapeut seinem Patienten drastisch vor Augen. Um das Vergessen zu kompensieren, wird von Lorenz jeder neue Impuls umso gieriger aufgesogen. Der Mann ist mit seinen mehr als 60 Jahren pure Gegenwart. Was der Schlüssel zum Glück sein könnte, ist für die Familie ein Horror: Der Vater erkennt sie nicht mehr. Also geht die Tochter (Lisa Maria Potthoff) gemeinsam mit ihm in die Therapie - auch um die gemeinsame Firma für Antriebsmotoren zu retten. Da ist sie ganz aufrechte Unternehmertochter.

Jede Erinnerung ein Schlag ins Gesicht

Was leicht zum psychologischen Lehrbuchstück hätte werden können, bekommt in dieser "Bloch"-Folge eine schmerzliche Dynamik. Die Erinnerung ist hier ein Monster, das sich nicht so leicht zähmen lässt. Und der grausam ehrliche Schauspieler Vadim Glowna versucht in der Rolle des unglücklichen Firmenpatriarchen auch gar nicht erst, dieses Monster zu beherrschen. Was Glownas Charakter tief in sich verschlossen hat, bricht nun brutal heraus, jeder Satz ist für ihn und seine Umwelt ein Schlag ins Gesicht.

Es ist die letzte Rolle Glownas, der im Januar im Alter von 70 gestorben ist. Im Hintergrund läuft beständig die Johnny-Cash-Version von "Hurt", einem Song über jemanden, der auf der letzten Etappe des Lebens darüber sinniert, was hätte sein können und was wirklich war. Glownas verkappter Hippie torkelt vor Freude über die wiedergewonnene Freiheit, er füllt mit seinem siechen Körper den Raum. Dass er dabei denen, die er liebt, die Luft zum Atmen nimmt, stört ihn nicht. Glück ist manchmal nur ein anderes Wort für Egoismus.

Autor Jörg Tensing und Regisseur Elmar Fischer sind in ihrer Analyse gnadenlos. Ihr zwischenzeitlich recht konventionell gebautes Stück über den Erinnerungspatienten wandelt sich in der Mitte zum kompakten Generationenporträt: Die Tochter, so fördert die Therapie zutage, war für den verhinderten Musiker Lorenz immer der Inbegriff der Unfreiheit. Und wie soll man lieben, was einen unfrei macht?

Erschütternd naiv, wie der Vater in einem Anflug von Wiedergutmachungslaune der Tochter anbietet, doch einfach die Firma zu schließen und die Provinz hinter sich zu lassen. Das Kind schaut ihn nur verstört an, es liebt die Firma und die Provinz. Auch das ist eine traurige Erkenntnis in diesem außergewöhnlichen Fernsehfilm über letzte Wahrheiten: Die verpatzten Träume der Alten sind oft das aufrechte Glück der Jungen.


"Bloch: Der Fremde", Mittwoch 20.15 Uhr, ARD

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