Bremen-Wahl im Fernsehen »Ich darf fünf Mal drücken, bis die Wählerwanderung hier sichtbar wird«

Bremer Spitzenkandidaten Imhoff, Bovenschulte am Wahlabend: »Denn das gehört sich so in einer Demokratie«
Foto: Sina Schuldt / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Als bremenferner Mensch konnte man an diesem Sonntagabend einiges lernen. Es gibt dort einen SPD-Bürgermeister, der wegen seiner »präsidialen Leutseligkeit« im Amt bestätigt wurde. Es gab einen nicht minder leutseligen CDU-Herausforderer, der erneut gescheitert ist und das »zum Mäusemelken« findet. Es gab dort eine grüne Spitzenkandidatin, die ökologische Politik »mit der Brechstange« durchsetzen wollte und dafür abgestraft wurde. Es gab einen windschnittigen FDP-Kandidaten, der, wie bei den Liberalen üblich, trotz seiner Aerodynamik vor der Fünfprozenthürde zittern musste. Und es gibt einen transpirationsfreudigen Bürger in Wut, der über das Ergebnis seiner »konservativen« Partei gewiss nicht in Rage geraten muss.
So stellt sich’s nach eingehendem Vorabendstudium von Radio-Bremen-TV dar, erste Adresse for all things Bremen. Dort moderierte Andreas Neumann mit erfreulich angriffslustiger Onkeligkeit, durch konzise Tortendiagramme unterstützt von Jörg »Jetzt hat mein Screen hier so’n bißchen Ladehemmung« Schönenborn.
Schon kurz nach 18 Uhr läuft Neumann der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vor die publizistische Flinte: »Herr Kühnert, puh!«, kommentiert der Moderator das glimpfliche bis erfreuliche Ergebnis für die Sozialdemokratie: »Wie erleichtert sind Sie?«.
Kühnert ist sehr erleichtert, darf das aber amtsgemäß nicht so zeigen. Er redet lieber von »deutlichen Zuwächsen bei der Kompetenzzuschreibung, was wir toll finden«. Den wiedergewählten Leutseligkeitspräsidenten Andreas Bovenschulte nennt er »Teil unseres sozialen Gewissens in Deutschland«. Dieser spezielle Teil des Gewissens habe »auch innenpolitische Impulse gesetzt«.
Die grüne Brechstange
Wenige Minuten später wird Kühnert im ZDF-Verhör mit Bettina Schausten nichts Anderes sagen. Sondern exakt dasselbe mit denselben Worten, vor demselben Hintergrund, mit demselben Tonfall. Was nicht schlimm ist, weil man dann darüber nachdenken kann, ob man jemals Kevin Kühnert und Daniel Kehlmann zusammen in einem Raum gesehen hat. Eine Frage, in die er gewiss auch »nichts hineingeheimnissen« wollen würde.
Unterdessen empfängt Neumann Omid Nouripour, den Co-Bundesvorsitzenden der Grünen, und überhäuft ihn mit Vorwürfen. Satte fünf Prozent habe seine Partei verloren, weil deren Kandidatin Maike Schaefer »mit der Brechstange« unbescholtene Bürger aus ihren Autos geprügelt hat. So kommt’s jedenfalls rüber, und das sei doch wohl »ein deutliches Signal an den Bund«.
Nouripour attestiert dem Gesamtland »eine fehlende Krisenfestigkeit«, die seine Partei zu beheben gedenke – notfalls mit der Brechstange. Es sei keine Option, nur noch auf Umfragen zu schauen und sich in die Büsche zu schlagen. Anschließend knöpft Neumann sich einen Liberalen vor: »Müssense nicht mal über ihre Inhalte nachdenken?«. Nein, meint der Liberale, das seien schon genau »die richtigen Inhalte« gewesen.
Es folgt Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der glücklichen Linken. Seine Partei hat ihr Niveau offenbar trendwidrig gehalten. Bremen eben, könnte man sagen. Schirdewan meint, es läge eher am »klugen Kurs als moderne Gerechtigkeitspartei«. Einer altmodischen Ungerechtigkeitspartei wäre das wohl nicht geglückt.
Im Hintergrund tritt ein fröhlicher Andreas Bovenschulte vor die Menge. Neumann nimmt Anteil: »Der Mann sieht glücklich aus. Kein Wunder, es ist ja auch die erste Wahl, die er selber verliert, äh, gewinnt«. Dem Gewinner von der SPD ist ein Stolz anzusehen, dem ein ebenfalls erkennbares Quantum an Erleichterung beigemischt ist. Vielleicht auch umgekehrt. In einem anderen Hintergrund tritt ein fröhlicher Frank Imhoff vor die Menge. Seine Partei habe »es gerockt«, findet er: »Und deswegen an euch ein ganz, ganz fettes Dankeschön, die CDU ist toll«.
Wahlanalyse? Ach Gottchen, »muss im Nachgang passieren«
Interne Erkundigung aus dem Off: »Gehen wir danach ins Hauptstadtstudio?«. Noch nicht? Dann schnell rüber zur AfD, auch wenn die aus interner Dusseligkeit nicht an den Wahlen hat teilnehmen dürfen. Hier gilt es aber, »Verschwörungstheorien« entschieden entgegenzutreten, und sei’s bis ins ferne Thüringen.
Dort steht der völkische Nationalist Stephan Brandner und palavert drauflos: »Schöne Grüße aus dem wunderschönen Gera, wo die AfD regelmäßig über 30 Prozent einfährt!« – »Tja«, versetzt Neumann, »aber hier hat sie gar nichts eingespielt«. Brandner entschuldigt sich »bei den Bürgern« für die Dusseligkeit, aber »die Altparteien« … und schon sind wir leider mit der Maus abgerutscht und wieder beim ZDF gelandet.
Dort wird Omid Nouripour gerade von Bettina Schausten »gegrillt«, wie Journalisten so sagen. Souverän attestiert er der Republik »eine fehlende Krisenfestigkeit«. Und: »Es ist keine Option, dass wir nur noch auf Umfragen schauen und uns in die Büsche schlagen«. Kennen wir schon, zurück zu Radio-Bremen-TV.
FDP-Kandidat Thore Schäck gibt sich wohlerzogen und informiert über demokratische Gepflogenheiten – ein wenig auch über Gelegenheiten, keine Fragen zur eigenen Partei beantworten zu müssen: »Zuallererst möchte ich die Gelegenheit nutzen, Andreas Bovenschulte zu gratulieren«. Und die Wahlanalyse? Ach Gottchen, »die Wahlanalyse muss jetzt im Nachgang passieren, klar«.
Jedenfalls ist dieser Schäck deutlich entspannter als Maike Schaefer, die grüne Wahlverliererin. Sie kommt ohne Brechstange herangehuscht, wirkt weniger angefasst, eher wie eine dead woman walking. In jedem Studio wird sie darüber informiert, dass hinter vorgehaltener Hand auch über personelle Konsequenzen gesprochen werde.
Neumann gibt ihr den Rest: »Hallo Frau Schaefer, wie sitzt es Ihnen in den Knochen?«. Man tuschele bereits »hinter vorgehaltener Hand«, die Rede sei von, puh, Rücktrittsgerüchten: »Was sagen Sie dazu? Sind Sie noch haltbar?«. Es fehlt nicht viel, und Schaefer sagt: »Sie haben recht, ich bin unhaltbar«. Später wird sie ihren Posten tatsächlich ungefragt zur Disposition stellen.
Bremen in Wut, aber noch nicht in der Maske
Woran lag’s? Hier hätte Schönenborn seinen Einsatz, aber die Technik streikt. Schönenborn flippt kurz aus, aber humorvoll (»Ja, das macht Spaß heute, ich darf fünf Mal drücken, bis die Wählerwanderung hier sichtbar wird«), dann flutscht’s endlich. Ausweislich seiner Tortendiagramme lag’s an einem insgesamt eher »negativen Urteil« über die Senatspolitik. Wo wären wir ohne die Demoskopie?
Ein positives Urteil hingegen stellten mutmaßlich wütende Bürger überwiegend aus Bremerhaven der Wählervereinigung »Bürger in Wut« (BiW) aus. Deren Wahlparty findet, wie der Reporter klassistisch krittelt, an einem »skurrilen« Ort statt. Es handelt sich um den »Festsaal einer Sportkneipe am Bremer Stadtrand«. Hierher seien die Bürger aus Angst »vor der linken Szene« mit ihren Brechstangen geflüchtet.
Im ZDF soll es um das übliche »Zittern« der FDP gehen. »Weil der Gesprächspartner noch nicht bereitsteht, vertiefen wir das jetzt mal« mit Jan Timke von BiW. Der steht in einem leeren Treppenhaus bereit, war noch nicht in der Maske und schwitzt deshalb sehr unvorteilhaft vor sich hin. Eigentlich unfair. Dann nennt er seinen Verein, der von der Dusseligkeit der AfD profitiert hat, in wenigen Sekunden mehrfach »konservativ«, weil er nicht rechtsradikal sein will.
Schon braucht das ZDF eine Verschnaufpause, will mal »ausführlicher auf Bremen gucken« und sendet eine gefühlige Sozialreportage namens: »Zwischen Hafen, Hartz und Hanse«. Dann lieber wieder Radio-Bremen-TV, wo Neumann den glücklichen Wahlverlierer Imhoff in die Finger bekommen hat: »Herr Imhoff, es ist zum Mäusemelken, oder?«. Imhoff gratuliert mit schwerer Zunge zuallererst »Herrn Bovenschulte zum Wahlsieg, denn das gehört sich so in einer Demokratie«.
»Präsidiale Leutseligkeit«
Apropos Demokratie: Warum sind die amtlichen Endergebnisse eigentlich noch nicht da? Kann noch dauern. Warum? Schalte ins Wahlbüro, wo ein Reporter die Sache mit dem »Kumulieren und Panaschieren« erklärt. Damit verhält es sich wie mit der Relativitätstheorie. Erklärt das ein kundiger ZDF-Reporter, hat man’s endlich verstanden – nur um es wenige Minuten später wieder vergessen zu haben.
Zurück ins Studio, da fängt die Kamera nebenbei Matthias Fornoff ein, wie er irgendwelche Papiere sortiert. Papier! Fornoff kocht also auch nur mit Wasser. Anders als der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, der »die Grünen in einer Wagenburg« sieht, »ganz offensichtlich«. Für die SPD hingegen spräche Bovenschultes »präsidiale Leutseligkeit«.
Was genau damit gemeint sein könnte, wird auf Radio Bremen TV klar. Schon 18.35 Uhr habe der alte und neue Präsident leutselig verfügt: »Jetzt wird gefeiert«. Und deshalb macht Andreas Neumann einstweilen Feierabend. Er gibt ab an das Regionalmagazin »buten un binnen«, das seine hervorragende Arbeit nahtlos fortsetzt.
Was Buten und was Binnen sind, sagt der bremenferne Mensch hinter vorgehaltener Hand, wird ihm wohl für immer ein Rätsel bleiben.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, Omid Nouripour werde von Tina Hassel »gegrillt« – tatsächlich führte Bettina Schausten das Interview. Wir haben den Fehler korrigiert.