Netflix-Serie »Bridgerton« Als hätte Jane Austen »Gossip Girl« geschrieben

Netflix' Boulevard-Dramedy »Bridgerton« bedient sich ungeniert an anderen erfolgreichen Stoffen – und erzählt trotzdem unterhaltsam vom Lieben und Leben am Königshof im vorviktorianischen England.
Daphne Bridgerton (Phoebe Dynevor) soll in die Gesellschaft eingeführt werden

Daphne Bridgerton (Phoebe Dynevor) soll in die Gesellschaft eingeführt werden

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Liam Daniel / Netflix

Liebe, Tod, Angst, Scham, Wut, Ehre, Betrug, Freundschaft, Verrat. Um all das geht es. Worum genau, soll ich Ihnen aber leider nicht verraten. Netflix wünscht sich, dass Sie selbst erleben, was in den acht Folgen der Serie »Bridgerton« passiert. So formuliert es jedenfalls der Streamingdienst und legte eine detaillierte Liste an Spoilern dazu, über die man bitte nicht berichten solle.

Dass Journalistinnen und Journalisten über bestimmte Inhalte aus Büchern, Serien oder Filmen schweigen sollen, ist neu. Wäre ich die Klatschbase Lady Whistledown, die die Geschehnisse in »Bridgerton« maßgeblich vorantreibt, hielte ich mich nicht daran. Denn Lady Whistledown, das Gossip Girl des vorviktorianischen Englands, von dem keiner weiß, wer sie eigentlich ist, berichtet in ihrem Tratschblättchen so schamlos über die Geheimnisse der High Society Londons im frühen 19. Jahrhundert, dass sie jedes Spoiler-Embargo bestimmt angespornt hätte.

Aber natürlich möchte ich Ihnen nicht vorwegnehmen, wer ungewollt schwanger wird, heiratet, sein Vermögen verspielt, eine Affäre eingeht, Sexpartys schmeißt (London im Jahr 1813 ist keinesfalls so prüde, wie Sie dachten!), stirbt, unter Liebeskummer leidet, vor Eifersucht rast oder schlicht mit seinem Leben hadert. Sie sehen schon an dieser unspoilerigen Spoiler-Liste: Es passiert einiges in der Hautevolee, die man in »Bridgerton« eine Ballsaison lang begleitet.

Die Serie, die von den Romanen Julia Quinns inspiriert ist, beginnt mit den titelgebenden Geschwistern der Familie Bridgerton. Der angesehene und wohlhabende Vater der Familie ist bereits tot, seine Frau kümmert sich um die acht Kinder, von denen über die Hälfte bereits sehr erwachsen sind. Daphne (Phoebe Dynevor) soll nun in die Gesellschaft eingeführt werden. Das heißt: auf den Heiratsmarkt geschmissen, wie es für Frauen damals üblich war. Weil sie als außerordentlich schön gilt, also sehr dünn und zart und rosa bewangt, werden ihr dort gute Chancen ausgerechnet. Inwieweit sich das bewahrheitet, soll ich Ihnen ja nicht verraten. Vielleicht so viel: Ginge das alles so leicht, wie auch die Bouleveardkönigin Lady Whistledown zunächst annimmt, hätte man nicht acht Folgen darüber drehen müssen.

Alles ist künstlich

Sehenswert ist die Serie aber auch aus anderen Unterhaltungsgründen: Wer bereits beim Gedanken an einen Stoff aus vorviktorianischer Zeit »Kostümdrama!« seufzt und mit den Augen rollt, sollte nicht gleich wegschalten. Klar, an diesem Setting ist alles künstlich: die Gebäude, die Ausstattung, die Gärten. Immer ist Frühling, immer steht ein Ball an. Der Flieder blüht so auffallend lila, dass es in den Augen sticht. Und die Kleider der unglücklichen Featherington-Schwestern sind so wellensittichgelb und kanariengrün, dass auch Menschen ohne Synästhesie sie schreien hören.

Simon Basset (Jean Page) kehrt in der Serie nach Jahren zurück an den Hof

Simon Basset (Jean Page) kehrt in der Serie nach Jahren zurück an den Hof

Foto: Netflix

Aber das macht Spaß. Denn dieser Effekt dekonstruiert diese Welt, er zeigt, wie lächerlich nicht bloß der Look aus Haartürmen, Perlenketten und Federn ist, sondern auch die Regeln, nach denen diese immobile, hierarchische Gesellschaft funktioniert – wo nie der Mensch zählt, sondern immer nur der Ruf, das Vermögen, die Fassade. Dass es dahinter fault, wird überschminkt.

Das ist nicht nur für Frauen wirklich harter Tobak. Sondern auch für Männer. Die taumeln so durch die aufgerüschten Kulissen, als werfe das starre Konzept von Maskulinität (ja nicht zu viele Gefühle! Whiskey! Faustkampf!) ihnen fortwährend Knüppel zwischen die Beine – und als läge die Verantwortung für das Schicksal ihrer Familie und ihr eigenes Leben wie ein zentnerschwerer Sack Mehl auf ihren Schultern. Das ist sehenswert.

Man muss also kein Detektiv sein, um Parallelen zu den Debatten von heute zu erkennen. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: In der Serie entscheiden Gender und das soziale Milieu über den Verlauf eines Lebens, nicht aber die Hautfarbe. Denn die Queen selbst ist schwarz.

Lady Danbury (Adjoa Andoh): Dass es fault, wird überschminkt

Lady Danbury (Adjoa Andoh): Dass es fault, wird überschminkt

Foto: Liam Daniel / Netflix

Weil sich der weiße König, so heißt es, in eine schwarze Frau verliebte, habe er die bis dahin bestehende, rassistische Gesellschaftsstruktur zerstört. Und es schwarzen Menschen ermöglicht, in den Stand von Herzögen, Fürsten und Königinnen zu gelangen. Produzentin Shonda Rhimes und ihr Serienschöpfer Chris Van Dusen, mit dem sie bereits bei ihren Erfolgsproduktionen »Greys Anatomy« und »Scandal« zusammenarbeitete, erzählen ihre historische Serie kontrafaktisch und damit divers – gleichzeitig zeigen sie auch die Widersprüchlichkeiten progressiver Politik auf: Dass die Königin schwarz ist, führt hier eben nicht automatisch zur Gleichberechtigung aller.

Auf feinfühlige Dialoge und komplexe, wenig stereotype Figuren sollte man hingegen nicht hoffen. Frauen mit markanter Nase werden als gehässig codiert, Frauen mit großen Augen als naiv. Und wer einen Körper hat, der nicht der Norm entspricht, wird auf dem Dancefloor gleich unsichtbar.

Szene aus »Bridgerton«: Auf komplexe Figuren sollte man nicht hoffen

Szene aus »Bridgerton«: Auf komplexe Figuren sollte man nicht hoffen

Foto: Liam Daniel / Netflix

Rhimes hat sich für die Serie so viel von anderen, erfolgreichen Romanen, Filmen und Serien geliehen, dass die Figuren in dem Strudel aus »Jane Austen«, »Peaky Blinders«, »Shades of Grey« und »Gossip Girl« bisweilen untergehen. Und trotzdem will man unbedingt wissen, wie es nun ausgeht mit den Bridgertons – und wer hinter dem Pseudonym Lady Whistledown steckt. Ich weiß es. Dass ich es an dieser Stelle nicht verrate, liegt nicht an Netflix-Vorgaben. Sondern daran, dass Sie das am besten selbst rausfinden sollten.

»Bridgerton«, auf Netflix

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