
Stefan Raabs Sangeswettbewerb: Abgekartetes Spiel
Bundesvision Song Contest Das Schwülstig-Infantile siegt
Was er macht, wenn er siegt? "Ich spendiere mir und unserem Bassisten eine Runde Fett absaugen", erklärte Bernd Begemann noch im Vorstellungsvideo zu seinem und Dirk Darmstädters Bundesvision-Beitrag. Beim anschließenden Auftritt gab der in Nordrhein-Westfalen geborene, in Hamburg lebende, komischerweise aber für Niedersachsen antretende Musiker dann den swingdancenden Walfisch, um Freddie Quinns Goldie "So geht das die ganze Nacht" im neuen Gewand vorzutragen.
Begemann ist Deutschlands dienstältester unabhängiger Musikschaffender, der seine Platten zumeist selbst herausbringt und einsam Land auf und Land ab tourt, ohne dass sich das Publikum im letzten Vierteljahrhundert merklich vergrößert hätte: trotz Wampe ein wahrer Indieboy - der zwischen all den durchtrainierten, kaum halb so alten anderen Indieboys beim Song Contest in Berlin am Freitagabend völlig deplatziert aussah.
Denn sieht man mal von den drei großen aktuellen Bestsellern ab, die Stefan Raab ins Programm seines "BuViSoCo" gehoben hat, wimmelte es hier von blutjungen Musikern, die eher uninspiriert ihre internationalen Vorbilder variierten. Bakkushan aus Baden-Württemberg etwa klangen wie Franz Ferdinand mit deutschen Texten, Norman Sinn und Ryo aus Thüringen wie Phoenix mit deutschen Texten, die Kleinstadthelden aus Bremen wie Jimmy Eat World mit deutschen Texten. Irgendwie langweilig, obwohl letztere in ihrem programmatisch betitelten Song "Indie Boys" eine (freilich etwas pubertäre) Analyse über den ewigen Kampf zwischen Mainstream und Underground vorlegten.
Gigantische Diamanten-Deko
Dieser Kampf war beim Song Contest 2010 allerdings schon vor Austragung entschieden. Denn zwischen Obskurem wie dem Ensemble Blockflöte des Todes, das im Auftrag Sachsens mit dem musikalisch extrem gewitzten Ethno-Junkie-Folk-Track "Alles wird teurer" ein Plädoyer für fair gehandeltes Koks sang, und Entrücktem wie dem Solisten unter dem Namen Das gezeichnete Ich, der für Brandenburg seine frostige Ballade "Du, Es und Ich" selbstverloren aus einer riesigen Diamanten-Deko intonierte, waren eben auch Deutschlands derzeitige Chartkönige platziert: Silly, Ich + Ich sowie Unheilig - und die machten dann berechenbarerweise den Sieg unter sich aus. Was für ein abgekartetes Spiel.
Bundesvision Songcontest 2010 - die Ergebnisse
Platz | Interpret | Bundesland | Punkte |
---|---|---|---|
1 | Unheilig | Nordrhein-Westfalen | 164 |
2 | Silly | Sachsen-Anhalt | 152 |
3 | Ich+Ich | Berlin | 100 |
4 | Blumentopf | Bayern | 94 |
5 | Das Gezeichnete Ich | Brandenburg | 87 |
6 | Norman Sinn und Ryo | Thüringen | 79 |
7 | Stanfour | Schleswig-Holstein | 60 |
8 | Selig | Hamburg | 40 |
9 | Bakkushan | Baden-Württemberg | 39 |
10 | Sebastian Hämer | Mecklenburg-Vorpommern | 22 |
11 | kleinstadthelden | Bremen | 20 |
12 | Blockflöte des Todes | Sachsen | 20 |
13 | Oceana und Leon Taylor | Hessen | 18 |
14 | Auletta | Rheinland-Pfalz | 17 |
15 | Mikroboy | Saarland | 12 |
16 | Dirk Darmstaedter und Bernd Begemann | Niedersachsen | 4 |
Eigentlich hätte man gedacht, dass sich Stefan Raab nach der, wie er es selbst nannte, "nationalen Aufgabe" der Eurovisionsausrichtung im Senderverbund mit der ARD bei der Bundesvisionsausrichtung für seinen Haussender ProSieben mal wieder locker macht und an die frühen, nicht ganz so staatstragend steifen Ausgaben der Anfangszeit anknüpft. Weit gefehlt. In einer Mischung aus Sendungsbewusstsein und kommerziellem Kalkül präsentierte man die zur Zeit zugkräftigsten Musiker, die zudem auch noch alle ihre Botschaften unters Volk zu bringen hatten.
So spielten Ich + Ich (wie erwartet am Ende auf Platz drei) mit "Yasmine" eine Multikulti-Nummer, bei der vor Wasserpfeifenkulisse der ägyptischen Sufi-Popstar Mohamed Mounir mitmischte. Doch was als Anti-Sarrazin-Statement aus dem Herzen von Berlin-Kreuzberg gedacht gewesen sein mag, kam nur als blubbernder Ethno-Kitsch daher. Raab als neuer Integrationsbeauftragter? Nein, das geht dann doch nicht auf; selbst wenn er dem im Fernsehen popkulturell doch meist arg abgeschlagenen Osten Deutschlands zu weiteren Ehren verhalf.
Alles nur Kindertheater?
So stellte die Ostberliner Bandlegende Silly (wie erwartet Platz zwei) ihre Hitsingle "Alles Rot" von ihrem Hitalbum "Alles Rot" vor; eines der ganz wenigen Beispiele, wie sich Ostrockmuff in gesamtdeutsche Gegenwart verwandeln kann. Das eigentlich sehr schöne Lied mag man inzwischen trotzdem schon nicht mehr hören, wurde es doch schon in etlichen TV-Shows aufgeführt. Frisch klingt anders.
Und wirklich gar nicht mehr sehen und hören kann man den "Graf", der mit seinem Projekt Unheilig 15 Wochen lang die Spitzenposition der deutschen Charts verstopfte und beim Song Contest seine Nummer "Unter Deiner Flagge" vortragen durfte (wie erwartet Platz eins). Geliefert wurde eine schwülstig-infantile Inszenierung irgendwo zwischen Fahneneid und "Der kleine Vampir"-Kindertheater.
Unter Aufmerksamkeitsgesichtspunkten ist das für Raab sicherlich hilfreich - seinen Ruf als Entdecker und Förderer neuer Talente droht der Unterhaltungstycoon mit solch abgeschmackten Veranstaltungen jedoch zu verspielen. Als lockeres Bindeglied zwischen Indie und Mainstream funktioniert sein Bundesvision Song Contest jedenfalls längst nicht mehr.
Das bekam am Ende auch Bernd Begemann am eigenen fülligen Leibe zu spüren: Er fuhr mit nur vier Punkten aus dem repräsentierten Bundesland und keinem einzigem aus irgendeinem anderen ein historisch desaströses Ergebnis ein. Nun wird es also wieder nichts mit dem Fett absaugen. Den einzig wahren Indie-Künstler des Abends wird das aber wohl nicht aus der Bahn werfen. Swing weiter, alter Walfisch!