
Christian Ulmen in "Jerks": Peinlichkeit hoch zwei
Christian Ulmen in "Jerks" "Die Aufgabe war: Hosen runter!"
Es gibt wissenschaftliche Statistiken, nach denen Männer 34 mal am Tag an Sex denken. Bei Christian Ulmen und Fahri Yardim sind es wohl eher 68. Oder 136. In "Jerks" spielen sie sich selbst und debattieren in schneller Taktung über Dinge, über die man lieber nicht in der Öffentlichkeit spricht. Darf man Sex mit Koma-Patienten haben? Sollte man Männern die Pornohefte hinterhertragen, die diese auf der Bahnhofstoilette verloren haben? Und ist es eine gute Idee, seiner Frau nachzuschleichen, wenn sich diese mit ihren Freundinnen zum Masturbationskurs trifft?
"Jerks" kann man mit "Idioten" übersetzen. Oder mit "Wichser". Für die Titelfiguren der Ulmen-Serie passt beides sehr gut. Sex ist für die beiden Helden das größte Glücksversprechen. Und zugleich ihre größte Angst. Oft bleibt er ein autoerotisches Erlebnis.
Yardims und Ulmens hilflose Exkurse in Richtung anderes Geschlecht entwickeln sich indes meist zu tragikomischen Selbstverstümmelungen. Das macht "Jerks" zu einer der rigorosesten deutschen Ego-Comedy-Experimente seit Langem: "Pastewka" mit Hormonstau, "Louie" aus der Welt der deutschen Semi-Prominenz. Flankiert werden die zwischenmenschlichen Desaster von realen Unterhaltungskünstlern wie den Rappern Sido und Kay One, Ulmens "Tatort"-Ehefrau Nora Tschirner und Ulmens realer Ehefrau Collien Ulmen-Fernandes.
Ab dem 26. Januar läuft die Serie bei Maxdome (Abo notwendig), ab 21. Februar bei ProSieben (frei empfangbar).

Christian Ulmen, Jahrgang 1975, wurde durch seine Shows bei MTV bekannt. Unter anderem moderierte er dort bis 2003 "Unter Ulmen". Danach spielte er Hauptrollen in Kinofilmen wie "Herr Lehmann", "Maria, ihm schmeckt's nicht" oder "Jonas". Für Aufsehen sorgt er immer wieder mit Projekten, die als Mischung aus Comedy und Sozialexperiment daherkommen, etwa "Mein neuer Freund" oder "Who wants to fuck my Girlfriend". Auch "Jerks", die Adaption eines dänischen Formats, das Ulmen zum Teil mit Personen aus dem eigenen Umfeld füllt, zielt auf diese Schnittstelle.
SPIEGEL ONLINE: Herr Ulmen, gibt es denn gar keinen Ausweg aus dieser Jämmerlichkeit heterosexueller Männlichkeit, die Sie uns in Ihrer neuen Serie in geballter Form vorführen?
Ulmen: Nein, da gibt es keine Rettung.
SPIEGEL ONLINE: Aber vielleicht wenigstens Therapiemöglichkeiten?
Ulmen: Ich kann mein Leid teilen, das lindert es ein bisschen. Denn im Grunde ist dieses Geschwulst der männlichen Sexualität, die peinliche Mischung aus Kopfkino und körperlicher Bedürftigkeit, nur mehr palliativ zu behandeln.
SPIEGEL ONLINE: Die männliche Sexualität ist also ein Fall für das Hospiz, wo sie dann ihrem Ende entgegendämmert?
Ulmen: Gut, da geht's sowieso irgendwann hin, ob sexuell, asexuell oder sogar Frau. Ich meine palliativ im Sinne von Schmerzlinderung im unheilbaren Zustand. Du stellst deine Scham aus und teilst sie mit anderen, dann tut es nicht mehr so weh.
SPIEGEL ONLINE: Nach dem Motto "Versuch es nicht zu leugnen, du machst es nur schlimmer"?
Ulmen: Genau. Die ganzen blamablen Situationen, die wir in "Jerks" erzählen, kommen auch daher, dass Fahri Yardim und ich darin die ganze Zeit versuchen, alles richtig, es allen Recht zu machen. Das ist ja das Erstaunliche bei vielen Männern und einigen Frauen, dass sie bei all ihrer sozialen Unzulänglichkeit auch noch diese unglaubliche Harmoniesucht in sich tragen. Ich kenne das. Eine ungünstige Paarung.
SPIEGEL ONLINE: Die in "Jerks" von einem Desaster ins nächste führt. Für die Serie agieren Sie als Hauptdarsteller und als Regisseur: Die Gabe der Gnade, auch sich selbst gegenüber, ist Ihnen fremd?
Ulmen: Leider nicht. Ich bin sehr gnädig, vor allem mit mir. Und ich passe auf, meine wunden Punkte gut zu kaschieren. Deshalb war die große Aufgabe: Hosen runter. Der Versuch, keine warm ausgeleuchtete Benetton-Version seiner Peinlichkeiten zu erzählen. Mir war wichtig, ehrlich zu sein. Die Dialoge sind improvisiert, wir hatten nur ein knappes Skript, das die Grundsituation beschrieb. Wir fragten uns während des Drehens manchmal: Versuchen wir gerade, irgendeiner Wahrheit, irgendeiner Blamage auszuweichen? Denn man schützt sich ja doch immer intuitiv. Aber das durfte hier nicht sein. Wir wollten zum Kern der Scham.
SPIEGEL ONLINE: Und was ist der Kern der Scham?
Ulmen: Jeder Alltagsabgrund hat einen anderen. In einer Episode trifft sich meine Freundin mit anderen Freundinnen zum gemeinsamen Masturbieren. Damit bin ich vollkommen überfordert. Es ist doch interessant, dass ich im Grunde genauso verklemmt bin wie meine Eltern. Das Wissen über 68, Aufklärungsunterricht, Pornographie - das alles hat mich offensichtlich nicht freier gemacht. So geht es vielen Männern, scheint es. Ich persönlich bin übrigens nie von meinen Eltern aufgeklärt worden, und ich habe in meinem Umfeld unter den Mitmenschen meiner Generation auch kaum jemanden getroffen, der mit seinen Eltern offen über Sexualität gesprochen hätte.
SPIEGEL ONLINE: Der kleine Christian, allein zu Haus mit seinen Pornoheften?
Ulmen: Gottseidank allein, ja. Pornohefte mit Mutter und Vater anschauen, das wäre nicht meins gewesen. Ich frage mich, ob Pornographie seine Wirkungsmacht hätte entfalten können, wenn wir so aufgeklärt worden wären, dass sich all das Anrüchige darin verflüchtigt hätte. Fanden wir Pornos damals nicht deshalb spannend, weil sie uns ein kleines Gloryhole zu etwas Verbotenem öffnen? Das einzige Thema der Welt, über das die so redseligen Eltern oder Lehrer nicht das kleinste Wörtchen verloren, womit wir nie zugetextet wurden. Ich weiß noch, wie ich mich mit 15 verkleidete, um älter zu wirken und mir heimlich den "Playboy" kaufte, den ich dann in meinem Schrank vor meiner Mutter versteckt hatte. Dieses Heimliche, bisschen Krampfige, war doch Teil der neu entdeckten Sinnesfreude, vielleicht sogar ihr Kern.
SPIEGEL ONLINE: Ohne Heimlichkeit keine Erregung, ohne Erregung keine Sexualität?
Ulmen: Kann sein, dass das Quatsch ist. Ich bin kein Sexualwissenschaftler, ich habe nur eine Serie über zwei Idioten gemacht. Hört und liest man Erfahrungsberichte aus Kommunen, sagen die Kommunarden: Jau, lief ganz gut, war immer was los in den Betten. Die offen ausgelebte Sexualität bremste offensichtlich nicht den Sexualtrieb. Aus solchen Kommunen stammende Kinder hat's aber häufig genervt. Ich glaube, ich finde es super, dass meine Eltern mich mit diesem Thema komplett in Ruhe gelassen hatten, und ich habe auch gar nichts dagegen, sexuell verklemmt zu sein. Denn Verklemmtheit ist ja nichts anderes als die Bewahrung von Intimität. Und Intimität ist etwas Herrliches. Das Geheimnisvolle, Mysteriöse muss man sich bewahren.

Christian Ulmen in "Jerks": Peinlichkeit hoch zwei
SPIEGEL ONLINE: Na ja, was bei Ihnen so geheimnisvoll und mysteriös heißt. Immerhin erfährt der Zuschauer in "Jerks", wie Ihr Kosename für die Vagina ihrer realen Ehefrau Collien Ulmen-Fernandes ist, die ebenfalls in der Serie als Figur Collien Fernandes mitspielt.
Ulmen: Wir stellen in "Jerks" natürlich nicht unser reales Eheleben nach. Im Gegenteil, in der Serie spielt Collien ja meine Ex-Frau. Was übrigens eine sehr interessante Erfahrung ist - der aktuelle Partner spricht mit und über den anderen, als ob er oder sie schon ein Ex-Partner sei. Das setzt ganz schön was frei. "Jerks" basiert auf wahren Begebenheiten. Manches haben wir ein wenig überhöht. Andere Handlungsstränge stammen vom dänischen Ursprungsformat. Ich habe trotz all der nackten, realen und privaten Einsprengsel nicht das Gefühl, zu viel von mir preiszugeben. Denn niemand weiß, was sich wirklich so zugetragen hat und was nicht. Die Serie steht für sich. Einzig das über allem liegende Schamgefühl ist durchweg ein echtes, das ich aus therapeutischen Gründen gerne mit dem Zuschauer teile.
SPIEGEL ONLINE: Und somit auch mit Ihren Eltern, über die wir ja schon gesprochen haben. Was halten die eigentlich von Ihren sehr expliziten Ego-Comedys?
Ulmen: Ganz ehrlich, die Vorstellung, dass sich meine Eltern "Jerks" anschauen, ist schon hart. Ich stelle mir vor, wie sie sich auf dem Sofa winden, einander nicht in die Augen sehen können und nach einer Folge schweigend schlafen gehen. Sie müssten sich ob der ausgebliebenen Aufklärung natürlich auch die ganze Zeit fragen, woher ich all das überhaupt weiß.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Eltern sind einiges gewohnt. In dem Format "Who wants to fuck my girlfriend", das vor fünf Jahren bei Tele 5 lief und heute noch auf Ihrer Seite Ulmen.tv abrufbar ist , schickte Ihr Alter Ego Uwe Wöllner Frauen in eine Art Beischlaf-Casting.
Ulmen: Ja, und meine Mutter schrieb mir eine sehr lange, sehr ernste E-Mail, weshalb man so etwas nicht machen dürfe. Da ist dann keine Diskussion möglich gewesen, ab einem gewissen Alter findet man bei diesem Thema nicht mehr zusammen. Ich bin mit meinen Eltern so verblieben, dass meine Sendungen einfach nicht für sie gemacht sind. Und das stimmt ja auch. Sie fallen rein altersmäßig aus der Zielgruppe. Altersgruppen finden unterschiedliche Dinge gut. Ich mache ja auch keine Kreuzfahrten oder Fahrradausflüge.
SPIEGEL ONLINE: Mit Ihren Comedy-Experimenten bewegen Sie sich - im Gegensatz zu den großen Kinofilmen oder dem "Tatort" aus Weimar - in einem ziemlich diffusen Resonanzraum zwischen Spartensendern, Internet und jetzt auch Video-on-Demand. Quoten spielen hier kaum eine Rolle. Was ist eigentlich Ihre Währung?
Ulmen: Auch meine Währung ist der Zuschauer. Hilft kein Winseln. Maxdome will Abos verkaufen. Trotzdem bin ich am zufriedensten, wenn die ein oder andere Folge debattiert wird, von mir aus auch in Fragen der Moral.
SPIEGEL ONLINE: Ehrlich?
Ulmen: Absolut. "Jerks" ist ja hochmoralisch. Wir reden oft über Moral, aber wissen gar nicht, was genau damit gemeint ist. Die Empörung, die damals "Who wants to fuck my girlfriend" ausgelöst hat und die eventuell in einer Episode "Jerks" stecken könnte, macht ja erst deutlich, wo die moralische Grenze verläuft. Wenn man sich beim Anblick von "Jerks" schämt, ist das nur ein Indiz dafür, dass man - erfreulicherweise - eine klare Werteordnung hat. Wenn das Lachen im Halse steckenbleibt, hat man gerade die eigene Moralgrenze geortet. Ist doch toll, wenn man weiß, wo die liegt oder dass da überhaupt eine ist. Ich würde mir Sorgen machen, wenn ich mir die Sendung angucke und alles ganz normal finde. Andererseits sind die moralischen Verfehlungen in "Jerks" hochgradig menschlich.
SPIEGEL ONLINE: Eine der unangenehmsten Szenen ist die, in der Fahri Yardim einem Zwölfjährigen zeigt, wie man onaniert. Die Film-Freundin von Yardim hat ihren Neffen zu Besuch, Yardim sieht ihn als Gefahr und will ihn mit der Anleitung zur Selbstbefriedigung als Konkurrenten aus dem Weg räumen. Sehr schwierige Szene.
Ulmen: Fahri hat auch extrem mit ihr gehadert, nach jedem Take wendete er sich mit Schuldgefühlen an den Jungen und an dessen Vater, der ebenfalls am Set war. Aber Fahri ist der disziplinierteste Soldat seines eigenen Anspruchs an Ehrlichkeit. Der Junge versicherte uns, er werde auf dem Schulhof mit ganz anderen Ausdrücken konfrontiert. Vielleicht sagt er das aber auch nur und wir haben ihn wirklich traumatisiert. Fahri spielte die Szene wieder und wieder, bis sie in ihrer Grenzwertigkeit tragbar war. Schließlich geht es da ja nicht um den billigen Gag, dass ein alter Mann einem Jungen zeigt, wie man onaniert.
SPIEGEL ONLINE: Worum dann?
Ulmen: Das Spannende an der Szene ist, wie sich der Mann in einem Labyrinth aus Angst, Eifersucht und sexueller Verunsicherung so sehr verrennt, dass er in einem Zwölfjährigen eine Bedrohung für sich selbst sieht. Und natürlich ist das auch wahnsinnig lustig, auf eine verstörende Art.
"Jerks" (zehn Folgen), ab 26. Januar bei Maxdome (Abo notwendig), ab 21. Februar bei ProSieben (frei empfangbar)