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Comedy-Genie Giermann: Meisterhaftes Meta-Fernsehen

Foto: ProSieben

Comedy-Genie Giermann Ein Alptraum namens Max

Warum irgendwelche Moderatorennasen mit Millionen bezahlen, wenn es Max Giermann gibt? Der "Switch Reloaded"-Verwandlungskünstler spielt Raab und Geißen, Balder und Beckmann besser als sie sich selbst - und entlarvt das Fernsehen als endloses Selbstgespräch. Eine Liebeserklärung.

Er ist der Traum jedes Programmdirektors. Wer Max Giermann hat, braucht keinen anderen, keinen Raab und keinen Beckmann, keinen Geißen und auch keine(n) Pflaume. Vor dem Hintergrund des jüngsten Moderatorenpokers bei der ARD und beim ZDF ließe sich also fragen: Warum Millionen bieten für irgendwelche Quiz- und Spielshow-Diven, wenn es Giermann gibt? Der "Switch Reloaded"-Verwandlungskünstler ist nicht nur viel billiger als die Originale - er spielt diese Originale auch allesamt besser als die sich selbst. Er ist echter als echt.

Das Wort Parodie beschreibt die Kunst des Max Giermann nur unzureichend, drolliges Übertreiben ist seine Sache nicht. Stattdessen inszeniert er eine Art Hyper-Realität: Mit ein, zwei, höchstens aber drei Gesten bringt er das ganze Wesen eines Fernsehpromis auf den Punkt. Aus dem großen Simulationsapparat Fernsehen destilliert er also auf einfachste Weise schwerwiegende Wahrheiten.

Nehmen wir mal seine Verkörperung von Kai Pflaume, eine eher unspektakuläre Nummer in Giermanns festem und rund zwei Dutzend Nachahmungen umfassenden Repertoire: Den "Nur die Liebe zählt"-Moderator gibt er als einen Mann zwischen Nicken und Einnicken. Während der von ihm verkörperte TV-Amor mal wieder der tausendsten, stets gleichen Liebesgeschichte lauscht, schweigt er immer wieder bedeutungsvoll. Diese rituellen Kunstpausen, die Nachdenklichkeit und Kontemplation suggerieren sollen, übertreibt Giermann minimal und legt so den Charakter des Karikierten frei: Wo pietätsvolle Stille gespielt wird, herrscht in Wirklichkeit nur gähnende Leere. Moderiert der noch oder schläft der schon?

Martialisches Grimassen-Mäandern

Giermann, der sich an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch zum Clown ausbilden ließ, ist Minimalist. Er weiß: Manchmal ist es wichtiger, etwas wegzulassen als etwas hinzuzufügen. Diese Erkenntnis hat auch seine Darstellung des "Popstars"-Einpeitschers Detlef D! Soost geprägt. Wie er die hinausgezögerten Urteilsverkündungen des Casting-Jurors kopiert, dieses martialische Grimassen-Mäandern von Werbepause zu Werbepause, das ist meisterhaftes Meta-Fernsehen: Hier wird sie uns aufs Grausamste bewusst - die Zeit, die verrinnt und verloren geht, während Promis ihr Gesicht in die Kamera halten.

Es ist also nur gerecht, dass dieser Samuel Beckett der deutschen Comedy nun eine eigene, relativ groß angelegte Show bekommt. Erst zwei Jahre ist er bei "Switch Reloaded", ProSiebens komischer Fernsehselbstbespiegelung, dabei - seine zurückhaltend desavouierenden Verkörperungen von Mario Barth und Michael Ballack, von Pete Doherty und Oliver Geißen, von Johann Lafer und natürlich Tim Mälzer sind trotzdem schon moderne Klassiker der Fernsehkritik.

Sicher, Giermanns "Switch"-Kollegen Michael Kessler (ging leider gerade bei Sat.1 mit dem kleinformatigen "Kesslers Knigge" baden) und Martina Hill sind ebenfalls grandios komische Parodisten. Doch niemand bringt sein eigenes Ich so hinter seinen Figuren zum Verschwinden wie Giermann. Er betreibt die Wiederkehr des Immergleichen im Multiplen.

Dabei geht er die Nachgeahmten keineswegs mit einer einheitlichen emotionalen Verbundenheit an. "Man muss die Leute lieben oder hassen, die man parodiert", hat der Künstler einmal gesagt. Wen er liebt und wen er hasst, darüber lässt sich denn auch trefflich spekulieren.

Don Quichotte des Privatfernsehens

Während Giermann zum Beispiel den ARD-Mann Reinhold Beckmann im schmierentheaterhaften Ranrobben an die Talkgäste als Investigativ-Attrappe verunglimpft, erhebt er den ollen Sat.1-Allesmoderierer Hugo Egon Balder zu einer Art Don Quichotte des Privatfernsehens. Gebeugt, schwitzend und halbe Sätze verschluckend keucht er in der Rolle auf der Bühne herum. Doch die tuberkulöse Comedy-Trine, als die Giermann den Veteran Balder gibt, verfügt über Eigenschaften, die vielen der anderen Windbeuteln abgehen: Mut, Witz und eine auch mal sympathisch gegen sich selbst gerichtete Bösartigkeit.

In seinem neuen Pro-Sieben-Format, das den zugegebenermaßen blöden Titel "Granaten wie wir" trägt, wird das TV-Genie Giermann nun immer dienstags in all seinen bekannten Rollen antreten und dazu ein paar neue präsentieren. Als Raab oder Lafer wird er Til Schweiger oder Mario Barth interviewen - und das deutsche Fernsehen in komprimierter Form als das entlarven, was es meistens ist: ein einziges langes Selbstgespräch. Reale Gäste sollen allerdings auch anwesend sein, in der ersten Ausgabe sind es Helge Schneider und Dieter Nuhr.

Sagen wir mal so: Wer sich morgen eine knappe Stunde Giermann gibt, der kann getrost auf "TV total"-Nächte, "Hit Giganten"-Dreistünder und endlose "Wetten dass..?"-Exzesse verzichten.

Vielleicht ist Max Giermann dann doch eher der Alptraum jedes Programmdirektors.


"Granaten wie wir", dienstags, 22.15 Uhr, ProSieben

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