"Corona-Held" ist kein Kompliment, sondern gefährlich
Dieser Beitrag wurde am 29.05.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Im Moment scheint es überall Heldinnen und Helden zu geben: Staatschefs erwähnen sie in ermutigenden Ansprachen, in der Berichterstattung gibt es "Heldenwochen" und Supermarktketten geben marketingtaugliche Rabatte für "Corona-Helden aus dem Gesundheitssystem".
Es ist verlockend, sich alledem hinzugeben, denn "Helden" machen vieles so wunderbar einfach: Sie retten uns. Sie haben die Lage schon irgendwie im Griff. Und am Ende wird alles gut – und wenn noch nicht alles gut ist, dann ist es ja noch nicht das Ende. Und genau dieses Denken macht den Heldenbegriff so gefährlich.
Der Coronavirus ist keine Netflix-Serie
Superhelden-Filme und Serienkracher der vergangenen Jahre haben vor allem die Generation Netflix daran gewöhnt, dass für Heldinnen und Helden keine Katastrophe zu verheerend und keine Lage zu aussichtslos ist. Wir wissen zwar theoretisch, dass Film und Fernsehen Fiktion ist und die Corona-Pandemie Realität, aber angesichts der Bedrohung durch das Virus kickt der antrainierte Helden-Reflex doch bei allen rein.
Der Reflex beinhaltet einmal, dass wir eine Krise nach einem bestimmten Muster erwarten – am Anfang steht die unterschätzte Gefahr, unsere Helden kämpfen schon tapfer gegen die Bedrohung, dann verhalten wir als Gesellschaft uns noch kurz dumm aber dann, wenn es echt scheiße aussieht, retten uns die Helden – spätestens im Staffelfinale eben. Das "Corona-Staffelfinale" ist aber nicht absehbar, und deshalb müssen wir uns gegen den Helden-Reflex wehren, um die Krise unter aktiver Beteiligung aller zu bewältigen. Außerdem bürden wir den von uns zu Helden deklarierten Personengruppen damit einiges auf. Denn Heldentum verpflichtet.
Vom Klatschen allein können die "Helden" keine Miete zahlen
Indem wir Ärztinnen, Kassierer und alle anderen, die zur Bewältigung der Situation beitragen, zu Helden und Heldinnen erklären, verpflichten wir sie praktisch zur Außerordentlichkeit. Wir "dürfen" dann von ihnen erwarten, dass sie Krasses leisten, bis an den Rand der Erschöpfung, dass sie ihr eigenes Wohlergehen, ihre Familien und ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen – schließlich sind sie Helden. Ob sie das sein wollen, steht erstmal nicht zur Debatte; gegen Klatschen können sie sich kaum wehren. Uns – die "Verehrergemeinschaft" – kostet die Klatscherei und das Helden-Label erstmal nichts – im Gegenteil, es gibt uns noch ein gutes Gefühl von Zusammengehörigkeit. Das ist per se okay, aber sollte die Begleiterscheinung tatsächlicher Entlohnung und Unterstützung sein, nicht der Lohn in sich.
Denn die Heldinnen und Helden, die nach Hause kommen, müssen dort ihre Miete zahlen, ihre Familien versorgen und vielleicht brauchen sie manchmal auch Unterstützung, nachdem sie für die Bewältigung der Krise an die Grenzen ihrer Kräfte und darüber hinaus gegangen sind.
Wir blenden aus, welche Folgen die Aufopferung hat
Und das ist das nächste Problem: die Heldengeschichten blenden die Folgen aus. Heldengeschichten sind zugespitzt – wie sonst könnten James Bond oder die Avengers in zwei Stunden die Welt retten? Für die Betrachtung der Negativfolgen ist da wenig Platz. Ein Beispiel: In den USA wurden die Ersthelfer nach den Terroranschlägen vom 11. September etwa vergleichbar heroisiert wie derzeit Krankenhauspersonal. Die Heldengeschichten halten sich bis heute in der kollektiven Erinnerung an 9/11. Aber die Spätfolgen für die unfreiwilligen Helden – überproportional viele Krebserkrankungen zum Beispiel – werden einfach ausgeblendet, getreu der schulterzuckenden Devise: Helden bringen halt Opfer.
Dass die Corona-Krise für die Gleichberechtigung nicht unbedingt zuträglich ist, wurde schon vielerorts bemerkt und zu Recht kritisiert: Weil unterbezahlte Frauen in den Heldinnen-Berufen überrepräsentiert sind und weil von Frauen ganz einfach erwartet wird, bei der Verlagerung des Lebens nach Hause die Verantwortung zu übernehmen, denn das ist ja schließlich ihre Domäne.
Das liegt an vielen Faktoren, aber da auch Heldengeschichten mitten aus unserer Gesellschaft stammen, halten sie konservative Geschlechterbilder oft aufrecht – noch so ein Reflex. Gut erkennen kann man das etwa in diesem Clip des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS):
Alle, die Regale einräumen oder sich um Patient*innen kümmern. Alle, die Streife fahren oder für andere einkaufen gehen. Alle, die jetzt ihre Kinder betreuen oder einfach konsequent zuhause bleiben.
— Bundesministerium für Arbeit und Soziales (@BMAS_Bund) March 25, 2020
Gemeinsam meistern wir diese Krise!
Wir alle sind #Krisenhelden. 💪#COVID2019de pic.twitter.com/jTSOl68rUi
Der Clip sagt explizit zwar, dass alle Helden sind und suggeriert so Gleichberechtigung, aber die Bilder sprechen eine andere Sprache: Die Mutter kümmert sich um die Kinder, der Mann steht im Labor. Ein Mann springt wie ein Actionheld aus dem Krankenwagen, während eine Frau eher passiv zu Hause sitzt. In schwarz-weiß könnte das Video glatt aus den Fünfzigern stammen. Wenn man nicht genau hinschaut, bleibt man aber irgendwie mit einem guten Gefühl zurück.
Heldengeschichten sind emotional
Am BMAS-Clip sieht man: Heldengeschichten zielen darauf ab, bestimmte Gefühle auszulösen. Sie nutzen dafür Dramaturgie, aber auch visuelle Elemente und Musik. Wir reagieren dann mit Ergriffenheit. Diese Emotionalisierung hascht nach unserer reflexartigen Zustimmung. Das wiederum kann schnell spalten: des einen Helden sind des anderen Verschwörer. Statt gefühlgeleiteter Polarisierung brauchen wir aber vielmehr differenzierte Betrachtungen und Strategien zum Umgang mit der Krise.
Wir tun Menschen, die gerade in ihren Berufen außergewöhnliche Belastungen ertragen müssen, also vielleicht gar keinen Gefallen, wenn wir sie Heldinnen und Helden nennen. Zumindest noch nicht.
Blockbuster und Dokus können kommen
Wir brauchen die Geschichte der Corona-Helden trotzdem – aber erst später. Irgendwann, wenn alles vorbei ist, können wir gern von Heldinnen und Helden sprechen, und das wird eh von ganz allein passieren. Die Corona-arte-Doku wird kommen, der ARD-Zweiteiler, der Hollywood-Blockbuster und bestimmt auch die Netflix-Serie, und sie alle werden von Heldinnen und Helden wimmeln, und das ist auch okay, das ist sogar gut, das brauchen wir. Denn Heldengeschichten sind mächtige Instrumente für retroperspektive Sinnstiftung.
Wir können von ihnen lernen, wir können damit unseren Umgang mit Katastrophen besser verstehen – und vor allem können sie dafür sorgen, dass die Leistung all derer, die wir als Heldinnen deklarieren, nicht vergessen werden. Dass eine Gesellschaft, auch wenn alles vorbei ist, dafür kämpft, dass Pflegerinnen und Pfleger, Arbeiter im Einzelhandel und all die anderen Heroisierten tatsächlich entlohnt werden.
Aber solange noch 2020 ist, und solange noch Corona ist, müssen wir mit Geduld und kühlem Kopf durch die Krise. Und ohne Helden, so verlockend das auch ist.