
Daniel Küblböck: Er meinte das sehr, sehr ernst
Daniel Küblböck Der größte aller Träumer
Das Bild, das bleibt, ist ein Menschlein am Boden. Daniel Küblböck, der während einer dieser tropffolterartig in die Länge gezogenen Castingshow-Rauswurfverkündigungsverschleppungen laut schluchzend von der Wartebank auf den Studioboden rutscht, siebzehn Jahre alt, verschmierte Brille, klitzekleiner Konfirmationsanzug. Hundert Staffeln "Deutschland sucht den Superstar" und tausend "schräge Kandidaten" später ist es immer noch dieses Bild, das zuerst in meinem Kopf ist, wenn ich an das Wort "Castingshow" denke.
Man kann ihn mögen, man mag von ihm genervt gewesen sein, aber eines muss man zugeben: Für die Popkultur des 21. Jahrhunderts ist er eine ikonische Figur. Am Sonntagmorgen verschwand Daniel Küblböck von Bord eines Kreuzfahrtschiffs und gilt seitdem als verschollen.
Er wurde damals, vor 15 Jahren, nicht deshalb von einem Heulkrampf geschüttelt, weil er diese erste DSDS-Staffel verlassen musste, er weinte um seine abgewählte Freundin Grazia. Und womöglich, so dachte ich mir das damals, auch ein bisschen um sich, weil er wieder nicht erlöst worden war. "Ich mache das nicht mehr mit", sagte in dieser Szene selbst die Moderatorin und Weglächel-Routinöse Michelle Hunziker, aber dann machten eben doch alle weiter, und das war das Dilemma.
Ich fand Daniel Küblböck damals interessant, aber anstrengend. Er war das Schrägelement, der Quotenbringer, der unberechenbare Quietschboy in dieser ersten großen Castingshow. Was da jeden Samstagabend mit ihm geschah, war neu und faszinierend, weil es die humorlosen Leistungsgesetze des noch jungen Genres subversiv aushebelte: Woche um Woche mokierte sich die Jury über seinen leicht quäkigen Gesang, bemängelte objektiv hörbare Schieflagen und schmerzende Töne, Show um Show wurde er vom Studiopublikum ausgebuht - doch seine Fans trugen ihn mit ihren Anrufen unverdrossen trotzdem von Runde zu Runde. Manche, um sich mit gerade modern gewordener Trash-Ironie und So-schlecht-dass-es-gut-ist-Simpelhumor an ihm zu ergötzen, viele, weil sie dieser in der Welt sangesgewaltiger Kraftmeierei eigentlich nicht vorgesehene Typ tief berührte.

Ex-DSDS-Star: Der wandelbare Daniel Küblböck
So klein sieht er da aus, wenn man sich die DSDS-Videos heute anschaut, ein winziges, unsicheres Körperchen. Ich war damals zumindest ein bisschen gerührt, so arglos und unkalkuliert wirkten diese ersten Auftritte, man kennt das längst nicht mehr, weil inzwischen natürlich alle neuen Kandidaten sämtlicher Formate auf ewig von Rezeptionswissen und Strategie-Dramaturgie verdorben sind.
Küblböck war damals wirklich überraschend anders, weicher. Unklarer als die anderen - eindeutig als Mädchenschwarm, Teddybär, Sexymädchen, Süßigirl gecasteten und etikettierten - Kandidaten. Unfertig und darüber völlig unbekümmert schien er, gleichzeitig naiv und größenwahnsinnig, und er bewegte mit seinen Lachkieksern und gelegentlichen Schieftönen etwas in vielen Menschen, die heimlich ebenfalls noch nicht genau wussten, wer sie eigentlich sind und sein wollen. Die sich nicht trauten, sich selbst ernst zu nehmen.
Dieser Punkt unterschied Daniel Küblböck in allem, was er tat, von anderem Trash-Personal: Er nahm sich wirklich und aufrichtig ernst. Auch wenn seine Prominenz darauf basierte, dass die Menschen über ihn lachten. Auch wenn seine Töne bei DSDS etwas anderes sagten: Er glaubte unerschütterlich, dass er ein großer Sänger war, dass er es wirklich schaffen könnte. Diese Haltung war nicht relativierend gebrochen, nicht realistisch zurechtgestutzt (so wie zum Beispiel die Kandidaten beim "Sommerhaus der Stars" natürlich wissen, dass sie keine echten Stars sind).
Später, als der schnelle Zunder der DSDS-Berühmtheit längst abgefackelt war, die Plattenverkäufe bröckelten, die Konzertbesuche wurden weniger, schien er immer noch unterschütterlich davon überzeugt. Die Attribute "schräg" und "schrill" klebten da immer noch an ihm, das schlimme Wort "Paradiesvogel", das allen irgendwie durchs Raster fallenden Menschen ja stets unterstellt, sie seien bestaunenswerte, exotische Wunderwesen, statt einfach nur sie selbst.
Das ist es! Jetzt klappt es!
Musikalisch schlingerte er seit 2005 unentschieden durch die Genres, machte mal Elektropop, dann Country, bald Blues, Jazz, Chanson, Schlager, und Latin-Pop. Er coverte mit Stelz-Akzentuierung Hildegard Knefs "Für mich soll's rote Rosen regnen", dann wieder nahm er ein volkstümlich-stampfendes Werbelied für den bayerischen Urlaubsort Bodenmais auf, stets zwar unter zunehmendem Ausschluss der Öffentlichkeit, aber immer mit der Überzeugung: Das ist es jetzt! Jetzt klappt es!
Er war gerade 18, als er zusammen mit einer Autorin seine Biografie "Ich lebe meine Töne" schrieb, in der er von seiner unglücklichen Kindheit erzählte. Seine Mutter, die viel lieber eine Tochter haben wollte, habe diesen einen Satz wieder und wieder zu ihm gesagt: "Du bist nichts und du wirst nichts werden." Man musste nur ein mäßig fantasievoller Laienpsychologe sein, um zu sehen, wie er alles dafür tat, diesen frühen Fluch irgendwie doch zu widerlegen.
Er wollte es so sehr, und es scherte ihn nicht, dass das Können mit diesem Sehnen augenscheinlich nicht mitkam. Das kann man realitätsfern und selbstüberschätzt nennen, es war mitunter schmerzhaft, dem vergeblichen Strampeln zuzuschauen, diesem unbedingten, eisernen Wunsch, den Traum in die Wirklichkeit zu zwingen. Küblböck glaubte, dass er ein Moderator sei, auch wenn er nur Gastgeber von ein paar Talkshows in Oestrich-Winkel war, wo er mit lokalen Winzern, Frisören und Hundetrainern plauderte (keine Metapher, wirklich so passiert).
Wie ein Kind, das Kinderpost spielt und sich dabei in rührendem Ernst für einen echten Postler hält, frisierte und kleidete er sich zeitweilig, wie man einen Unternehmer in einer Vorabendserie ausstaffieren würde, weil er unbedingt als seriöser Geschäftsmann wahrgenommen werden wollte - mit cleveren Investitionen in Solarenergie hatte er es da nach eigener Aussage schon zum Millionär gebracht.
Als er sich 2014 um die Teilnahme am Eurovision Song Contest bewarb, konnte er es nicht fassen, dass er abgelehnt wurde, nur die Vorurteile des Auswahlkomitees konnten schuld sein, die verschworene Medienmaschine, die ihn klein halten wollte. Dass es einfach nicht reichte, dieser Gedanke schien ihm nie zu kommen.

Daniel Küblböck: Betroffenheit bei "DSDS"-Kollegen
Bestärkt wurde er stets von seinen Fans, die sich selbst "Faniels" nannten und eigene Adjektive für den entrückten Zustand erfanden, in die er sie versetzte: "gestäääärbt". Eine rätselhafte Anhängerschaft, die zu großen Teilen aus ganz jungen und überraschend alten Frauen bestand, die quer durch die Republik zu seinen Konzerten reisten und zu seinen Ehren einen eigenen Radiosender betrieben. "Mein Weg zu Daniel" hieß eine feste Rubrik in der selbstverlegten Faniel-Zeitschrift, in der Fans die Entdeckung ihres Fanseins wie ein Erweckungserlebnis schildern.
Daniels Leiden daran, dass Viva mal wieder sein neues Video boykottierte, verglichen sie seinerzeit in empörten Forendebatten auch schon einmal mit dem Kreuzestod Jesu. Dagegen standen die sogenannten "Antis", ebenso enthusiastisch in die gegenteilige Richtung eifernde Daniel-Gegner mit eigenen Hassforen, ein frühes Beispiel für organisierte Hetz- und Demütigungsstrukturen im Netz.
Honig vom Opa am Merchandisestand
Küblböck trat immer weiter auf, auch, als seine Konzerte immer mehr zu halbfamiliären Treffen des verbliebenen Fanielbestands wurden (und es schon lange keine Antis mehr gab, aufmerksamkeitsökonomisch ein schlechtes Zeichen). Für Außenstehende waren diese Auftritte hochkurios, am Merchandisestand wurde zeitweilig Honig von seinem hobbyimkernden Opa und softgefilterte Fast-Nacktbilder von Küblböck selbst verkauft. Am Ende war sein Stammpublikum so überschaubar, dass er es in einen Reisebus packen konnte: Im Mai veranstaltete Küblböck einen mehrtägigen Fanausflug, auf dem er den Reiseleiter am Busmikrofon gab.
An eine große Musikkarriere schien er da nicht mehr zu glauben, seit drei Jahren besuchte er das Europäische Theaterinstitut in Berlin, um Schauspieler zu werden. In diesem Herbst hätte er dort seinen Abschluss machen sollen, das Abschlussstück, aus dem er und seine Rolle unter nicht geklärten Umständen schließlich gestrichen wurden, wären Szenen aus "Unschuld" und "Das Leben auf der Praça Roosevelt" von Dea Loher gewesen.
Zwei Stücke, die das Leben als Variation von Verletzungen zeigen, mit ratlosen Menschen, die auf der Suche nach Erlösung sind. Daniel Küblböck hätte den alternden Transvestiten Aurora spielen sollen, der sich stets nach der großen Bühne sehnt - und am Ende doch nur für seine beste Freundin singt.
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