
"Das Programm": Eingesperrt in Tirol
Abneigungen, Affären, Abgründe - der tadellose ARD-Thriller "Das Programm" zeigt, wie eine Familie im Zeugenschutzprogramm zermürbt wird. Und überzeugt mit einer grandiosen Ex-"Tatort"-Kommissarin.
Eben noch war Heiner Lauterbach ein wertvoller Zeuge, der mit dem mangelnden Komfort im Schutzprogramm hadert. Nach einem letzten mürrischen Blick aus dem gepanzerten Audi der Polizei fällt er einer Autobombe zum Opfer - aus dem Weg geräumt von Handlangern des russischen Großkriminellen, gegen den er aussagen sollte.
Nach diesem Paukenschlag, der die drohende Gefahr etabliert, gerät als nächster Zeuge Simon Dreher ins Visier von Polizei und Bösewicht. Dreher (Benjamin Sadler) ist Bankier und residiert zwar nicht im obersten Stockwerk, aber doch mit Blick auf den Hamburger Hafen und über seine Verhältnisse. Um seiner Familie ein auskömmliches Dasein zu bieten, hat er sich als Geldwäscher für den Russen betätigt. Das Ansinnen der resoluten Ursula Thern (Nina Kunzendorf) vom LKA, sich ebenfalls in das Zeugenschutzprogramm zu begeben, weist er empört von sich - bis er, angeschossen, doch einwilligt.
Alles Private bleibt Skizze
Was nun anläuft, ist "Das Programm" und alles andere als ein Kindergeburtstag. Denn Dreher ist kein wirklich reuiger Täter. Und er ist nicht alleine. Hineingezogen in das neue Leben wird seine ahnungslose Familie. Da ist neben dem minderjährigen Sohn die frustrierte Gattin Rieke (Stephanie Japp) und die erwachsene Tochter (Paula Kalenberg) - beide drauf und dran, mit ihren jeweiligen Liebhabern ein neues Leben zu beginnen.
Nun hocken sie alle aufeinander, eingesperrt in ihrem neuen Zuhause irgendwo in Tirol, verfolgt von den Killern des Kriminellen und eigenen Dämonen. Im Mittelpunkt der Handlung und des Ensembles steht die ehemalige "Tatort"-Kommissarin Nina Kunzendorf, die hier als eisige Beamtin die Zwänge des Programms verkörpert und versucht, Dreher in einen tauglichen Zeugen zu verwandeln. Die Alleinerziehende vernachlässigt ihre Tochter, aber alles Private bleibt Skizze und steht dem sich entfaltenden Plot nicht im Weg.
"Das Programm" will zu gleichen Teilen als Thriller, Kammerspiel und eine Art Deluxe-"Tatort" überzeugen. Auf psychologischer Ebene verschärfen sich die Konflikte innerhalb der Familie, deren Sicherheit auf dramaturgischer Ebene in der Schwebe bleibt - zumal es die Sehnsüchte der Protagonisten sind, die das Funktionieren der Operation immer wieder gefährden.
Strenges Reglement und menschliche Schwächen
Verlässlich ist in diesem Spiel erst einmal nichts. Weder ist es Dreher, der kaum kooperiert, noch sind es die beiden jungen Beamten (Carlo Ljubek, Alwara Höfels) im Hintergrund. Jede Beziehung birgt Gefahr, Kommunikation ist toxisch, innerer und äußerer Druck bedingen sich gegenseitig, noch die überraschendsten Wendungen bleiben plausibel - ein Verdienst des souveränen Ensembles. Besonders sehenswert auch in den ruhigeren Momenten bleibt dabei vor allem Nina Kunzendorf, in deren Mimik und Körpersprache sich alle Widersprüche des grausamen Programms spiegeln, das strenge Reglement und menschliche Schwächen.
Dabei hält mit ökonomischer Handlungsführung das Drehbuch von Holger Karsten Schmidt ("Mord auf Amrum") über die volle Länge von beinahe drei Stunden die Spannung, ein letzter Schlussstein fügt sich sogar erst in letzter Minute.
Trotzdem beschleicht die Zuschauer auf der weiten Strecke irgendwann das Gefühl einer gewissen Plotverschleppung. Diese Geschichte hätte bei aller Tadellosigkeit auch einen Tick flotter erzählt werden oder eine Präsentation als Zweiteiler gut vertragen können, ohne seinen Charakter als "Event-Thriller" (Eigenwerbung ARD/Degeto) zu verlieren.
"Das Programm" bleibt ein tadelloser Thriller, auch wenn das einzig Ereignishafte daran seine Länge ist.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es, die Familie sei in Südtirol angesiedelt worden. Es geht aber um den österreichischen Teil Tirols. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
"Das Programm", Montag, 20.15 Uhr, ARD