
"Das Zeugenhaus" im ZDF: Opfer, Versager, Mitläufer, Täter
ZDF-Film "Das Zeugenhaus" Die Hölle, das sind die anderen
Auf die Katastrophe folgt das Kammerspiel. 1945 sitzen nun klein gewordene Großdeutsche in einer gut gesicherten Villa am Stadtrand von Nürnberg, wie aus einem verstörenden Traum erwacht, und warten auf den Prozess. Es ist nicht ihr eigener, vorerst.
Sie sind Davongekommene, die als Zeugen gegen ihre ehemaligen Führer aussagen sollen und im Wohnzimmer vor dem Radio versammelt sind. Eine Schlüsselszene, in der Gestalten wie Göring, Hess, Ribbentrop oder Sauckel sich "nicht schuldig" bekennen und diese trotzige Behauptung sich in den Gesichtern von Leuten spiegelt, die alle auf ihre Weise in das kolossale Verbrechen verstrickt sind.
Da ist Heinrich Hoffmann (Udo Samel), der windige Intimus und Leibknipser des Führers, der eifrig sein gewaltiges Bilder- und Fotoarchiv versilbert und sich als "Professor der schönen Künste" selbst entpolitisiert hat. Mit dabei hat er seine Tochter Henriette (Rosalie Thomass), naive Ehefrau des ebenfalls angeklagten "Reichsjugendführers" Baldur von Schirach. Im Keller lebt mit ihrem Sohn die eigentliche Besitzerin des konfiszierten Anwesens, als Haushälterin angestellt. Da ist ein "Herr Ross" (Matthias Matschke), der sich als unschuldiges Opfer einer Verwechslung inszeniert: "Gibt es Neuigkeiten in meiner Angelegenheit?"
Die große Gisela Schneeberger spielt Gisela Lemberger, die schnippische Privatsekretärin von Hermann Göring. Tobias Moretti verkörpert mit beängstigender Intensität Rudolf Diels - der Gründer der Gestapo ("Ich falle immer auf die Füße!") wird nach dem Krieg auch Kontakt zu SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein pflegen.
"Alle lügen"
"Das Zeugenhaus" ist "eine fiktionale Geschichte auf Grundlage wahrer Begebenheiten" und auf Basis eines Buches der ehemaligen SPIEGEL-Redakteurin Christine Kohl. Unter einem Dach versammelten die Amerikaner die unterschiedlichsten Zeugen für den ersten und bisher größten Kriegsverbrecherprozess der Geschichte. Opfer, Unschuldige, Versager, Mitläufer, Täter und Verwandte der Täter in geschlossener Gesellschaft. "Alle lügen", stellt der fiktive US-Ermittler Bernstein (Samuel Finzi) fest. "Alle hegen Verdacht", ergänzt der echte deutsche Ex-General Erwin Lahousen (Matthias Brandt). Die Hölle, das sind die anderen.
Die von den Amerikanern bestellte Gastgeberin soll die surrealen Aspekte dieser Situation mit ihrem unverbindlich-seriösen Auftreten abfedern. Iris Berben spielt die nicht ganz untadelige Adelige wie immer, wenn sie jemanden spielt, der etwas spielt - mit einer gut sichtbaren Glasur über allen Gesten und Worten. Sie widersteht den Absichten der Amerikaner, sie als Spionin gegen ihre Gäste einzusetzen, ebenso wie allen Versuchen ihrer Gäste, sie als Verbündete zu gewinnen. In seinen schwächeren Momenten wirkt "Das Zeugenhaus", als hätten sich Magnus Vattrodt (Drehbuch) und Matti Geschonneck (Regie) ein wenig zu sehr an Agatha Christie orientiert - mit einer Iris Berben als Miss Marple, die nicht an Aufklärung interessiert ist. Wer wusste wann was? Wem kommen die Sieger noch auf die Schliche? Und was will der General mit der Pistole?
Schuld und Sühne
In seinen stärkeren Momenten dagegen bekommt der Film das komplexe Thema von Schuld und Sühne tatsächlich zu fassen. So etwa in der Figur der Marie-Claude Vaillant-Couturier, als ehemalige Untergrundkämpferin eine der wichtigsten Zeuginnen der Anklage. Vicky Krieps spielt die Überlebende von Auschwitz mit einer sanften Abgründigkeit. Gesehen haben sollte man allein schon ihr Gesicht, wenn sie mit fasziniertem Ekel dem selbstgerechten Geschwafel der Täter lauscht.
Zumal sich dieser Ekel auch auf den Zuschauer überträgt, wenn etwa Heinrich Hoffmann mit beiläufiger Zärtlichkeit ein von Hitler gemaltes Aquarell streichelt und verkündet: "Niemand, der wahrhaft böse ist, kann so etwas malen!" Verständlich auch, wie sich die Französin abends in ihrem Zimmer die Hände wäscht und wäscht und wäscht. Und dann ist da noch der wortkarge "Herr Gärtner" (Edgar Selge), der jeden Kontakt meidet und sich mit wütendem Holzhacken die Zeit vertreibt. Er strahlt eine solche stumme Aggression aus, dass die anderen Gäste in ihm rasch einen besonders perfiden Schlächter vermuten.
Das Kammerspiel gelingt, weil es die Katastrophe im traumatischen Nachhall spürbar macht. "Das Zeugenhaus" erzählt sozusagen von den ersten Sekunden nach Anbruch der "Stunde Null". Ein unbehagliches Zwischenreich, in dem sich die Gespenster des Vergangenen mit ihrem Gewissen oder den Absichten der Sieger arrangieren. Und sich so eine zweifelhafte Zukunft erfinden, die heute noch als Fundament unserer Gegenwart dient.
"Das Zeugenhaus", Montag, 20.15 Uhr, ZDF