Gurlitt-Fall im TV Der letzte Nibelunge

Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt: Brav erzählte Dokumentation
Foto: Arte/ Roman BabiradEs war der 28. Februar 2012, als ein alter Mann namens Cornelius Gurlitt in seiner Wohnung in München-Schwabing unangemeldeten Besuch bekam. Einlass begehrten rund 20 Personen, angeführt von einem Staatsanwalt aus Augsburg. Die Ermittler beschlagnahmten wegen angeblicher Steuerstraftaten die komplette Kunstsammlung von Gurlitt, etwa 1280 Bilder.
Erst anderthalb Jahre später, Anfang November 2013, veröffentlichte "Focus" den ersten großen Bericht über den Schwabinger Bilderschatz und die Ermittlungen gegen Cornelius Gurlitt. Kurz darauf tauchten Fotos auf, von einem kleinen, elegant gekleideten Herrn mit weißen Haaren, der ein wenig aus der Welt gefallen schien.
Wie der letzte Nibelunge hatte Cornelius Gurlitt den ererbten Bilderschatz versteckt und gehütet. Wie ihn sein Vater in seinen Besitz gebracht hatte, das wusste er nicht. Sofort kam ein Verdacht auf: Handelt es sich bei vielen der Bilder Gurlitts um Raubkunst aus der Nazi-Zeit? Die Bundesregierung, die über die Ermittlungen informiert war, aber den Fall verschlafen hatte, richtete hektisch eine Task Force ein, um die Provenienzen der Bilder erforschen zu lassen.
Jetzt ist der erste Dokumentarfilm über den Fall Gurlitt zu sehen, 52 Minuten lang, von dem Münchner Dokumentarfilmer Maurice Philip Remy, Mittwochabend auf Arte.
Der Fall Gurlitt ist faszinierend - vor allem aufgrund der Geschichte von Gurlitts Vater Hildebrand Gurlitt. Der Kunsthistoriker, der zwischen Rebellion gegen den konservativen Kunstgeschmack und Anpassung an das gesunde völkische Geschmacksempfinden hin und her oszillierte, der vom Nationalsozialismus profitierte, um sich nach dessen Untergang als dessen Opfer auszugeben.
Hildebrand Gurlitt, der bei der Entnazifizierung log, der auch log, um seine von den Amerikanern beschlagnahmte Kunstsammlung zurückzubekommen. Der mit den Lügen Erfolg hatte und als Kunstfunktionär in der Bundesrepublik schnell wieder Karriere machte. Die Dokumentation zeigt ihn bei einer Ausstellungseröffnung zusammen mit dem Schriftsteller Thomas Mann.
Hildebrand Gurlitts gebrochene Biografie steht für die westdeutsche Vergangenheitsbewältigung der fünfziger Jahre, für Betrug und Selbstbetrug der Täter und Mitläufer. Vergessen macht frei.
"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", heißt das bekannte, Michail Gorbatschow zugeschriebene Bonmot. Das mag so sein, aber was geschieht mit dem, der zu früh kommt? Im Journalismus kann es ihm noch schlechter gehen als dem Verspäteten.
Dokumentarfilmer Remy versucht, dem Unwissen des zu früh kommenden dadurch zu entgehen, dass er sich auf die Vergangenheit konzentriert, auf Hildebrand Gurlitt, den Vater. Er zeigt Hitler und Göring, deren Kampagnen gegen "Entartete Kunst" oder "Verfallskunst" und den gigantischen Kunstraub der Deutschen in ganz Europa. Hildebrand Gurlitt erscheint in dem bösen Spiel als Mitläufer und Mittäter der Nationalsozialisten, später als nicht unsympathischer Wendehals.
Kein Standpunkt, nirgends
Für die Gurlitt-Dokumentation hat Remy viele wichtige Experten vor die Kamera bekommen: Götz Aly, Meike Hoffmann, Vanessa Voigt und journalistische Zeugen wie Denis Trierweiler und die SPIEGEL-Redakteurin Özlem Gezer.
Aber die konventionell und brav erzählte Dokumentation hat dennoch eine eindeutige Schwäche: Was die aktuellen Ermittlungen gegen Gurlitt angeht, ist sie meinungs- und kritiklos. Kein Standpunkt, nirgends. Dabei ist die andauernde Beschlagnahme seiner Bilder ohne Frage Unrecht, auch wenn sich mit ihrer Hilfe vielleicht Gerechtigkeit für die Erben der ausgeraubten Juden schaffen lässt.
Die aktuellen Ermittlungen bleiben schon deshalb unterbelichtet, weil die Dokumentation zu früh gemacht wurde. Die 63 von Gurlitts Anwälten in dessen Salzburger Haus geborgenen Bilder tauchen erst gar nicht auf. Ob die fragwürdige Beschlagnahmung von Gurlitts Bildern weiterhin durch Gerichte sanktioniert wird, muss offen bleiben. Wie und wann das gesamte fragwürdige Ermittlungsverfahren gegen Gurlitt endet, ist noch unklar.
Die interessante Dokumentation "Der seltsame Herr Gurlitt" muss also eine frühe Zwischenbilanz bleiben. Aber das interessierte Publikum kann beruhigt sein: Fortsetzung folgt. Im echten Leben - und wohl auch im Film.
"Der seltsame Herr Gurlitt", Mittwoch, 19.3.2014, 21.50 Uhr, Arte