
"Der Klügere kippt nach": Nur Hella von Sinnen
Vom Gottesbeweis bis zur weiblichen Ejakulation mit nur einem Eierlikör: Der Alktalk "Der Klügere kippt nach" lästert und lallt sich durch Themen zur Zeit.
Dieses Ostern kam die Strafe für schludrige Schnaps-Schokoeier-Bevorratung spät, aber streng: Sah man nüchtern am späten Montagabend bei "Der Klügere kippt nach" auf Tele 5 dabei zu, wie vier prominente Gäste zunehmend alkoholisiert über universelle Themen wie Gott, Griechenland und Gynäkologie diskutierten, fühlte sich das so an, als müsse man die Krakeeler später auch noch nach Hause fahren, weil man am Anfang des Abends beim Schnick-Schnack-Schnuck verloren hatte.
Das Konzept der Sendung ist so simpel wie potenziell effektiv: Fernsehzosse und Kneipenwirt Hugo Egon Balder schenkt in seiner Kneipe auf St. Pauli Alkohol an Hella von Sinnen und drei jeweils wechselnde Gäste aus, Wigald Boning bleibt bei Wasser und unternimmt den Versuch einer Moderation.
Wobei die Trinktalker in der ersten Ausgabe der Sendung noch relativ leicht zu zügeln waren, mal abgesehen von Hella von Sinnen - der einzigen, die das Konzept der Sendung ohne Rücksicht auf Verluste ernst zu nehmen schien: Ihre Sprache wurde immer schlieriger, die Intonation gröber. "Nicht so schreien, bitte!", versuchte sie Boning erdmännchenhaft zur Räson zu bringen.
Schwankend waren bei den restlichen Gästen vor allem ihre Prominentheitsgrade: Der unverwüstliche Bernhard Brink legte zwar durch seine bei jeder Gelegenheit dargebotenen Helmut Kohl- und Willy Brandt-Imitationen einen Zustand fortgeschrittener Trunkenheit nahe, von Sinnen toppte ihn jedoch beherzt mit einer Hitler-Rede. Comedian Ingmar Stadelmann blieb blässlich und blamagenscheu und Paula Lambert, Autorin von "Brüste. Das Buch", bemühte sich etwas zu Prusselise-haft um die ordentliche Abarbeitung der Themenliste, hatte aber einen sehr niedlichen Hund dabei.
Wie der Penispropeller rotiert
Das, wenn man möchte, durchaus kontrovers diskutierbare Konzept der Sendung thematisierte die Trinkrunde gleich zu Beginn in einer Art Disclaimer: Hella von Sinnen erklärte, schon viele Menschen an den Alkohol verloren zu haben, "auch mit Tod". Sie nehme das Thema durchaus ernst, aber zu viel müsse im Fernsehen immer politisch einwandfrei ablaufen: "Wir dürfen uns das einfach mal trauen." Boning sprach den weisen Satz: "Vielleicht ist es ja wie jede andere Talkshow auch?", und Hella von Sinnen leitet mit dem angesungenen Titellied "Beim blauen Bock, beim Äppelwoi…" in die Werbepause über: "Als hätte es Sauffernsehen nicht immer schon gegeben!"
Zumindest die Themenmischung und die Sprünge zwischen den einzelnen Sujets waren ganz sicher kühner als bei anderen Talkshowformaten: Von sexualpraktischen Einlassungen zur weiblichen Ejakulation ("Es ist keine Pisse") zur Gottesgabe der Selbstbestimmung und deren Rolle beim Absturz der Germanwings-Maschine bis Pegida brauchte die Runde nicht viel mehr als einen Eierlikör und ein halbes Pils.
In guten Phasen wurde daraus ein ambitioniert gehüpfter assoziativer Gummitwist: Von der griechischen Finanzmisere zu den horrenden Preisen für Salzwedeler Baumkuchen mit doppelt gezwirbelter Hockschraube. Ganz wie bei einer echten, gut dampfenden Kneipenrunde, bei der man sich nach einem kurzen Toilettengang mit der geistigen Brechstange zurück ins neue Gesprächsthema wuchten muss.
Ohne grobe Kalauer kann das selbstverständlich nicht abgehen, den ärgsten riss Bernhard Brink, der bei einer Blitzdiskussion über Bartmode dem fusselwangigen Stadelmann bescheinigte, er habe "bei der Geburt den Rahmen mit rausgerissen". Der ausschenkende Hugo Egon Balder legte mit "ich war ja mal auf Martinique, das ist die kleine Schwarze aus der Buchhaltung" nach. Und als am Ende eh schon alles wurscht war, beendete Stadelmann das Rätseln über die Frage, ob Uschi Glas in der geplanten Winnetou-Neuverfilmung wohl wieder die Nscho Tschi spielen würde: "Uschi Glas spielt das Lederzelt."
Schade nur, dass die Trinker nicht auf gleichem Pegelstand schienen, da ist für künftige Folgen noch Luft. Als Hella von Sinnen Paula Lambert am Ende zu große Diplomatie vorwarf ("Was findest du eigentlich nicht gut? Sach es! SACH ES!"), hätte da noch eine wunderbar sinnlose Prinzipienstreit-Stichflamme zünden können. So blieb es bei finalen Rülpsern und einer sachkundigen Erläuterung, wie man einen Penispropeller zum Rotieren bringen könne. Mehr Erkenntnisgewinn immerhin als bei manch anderer TV-Talkrunde.
Anja Rützel, Jahrgang 1973, taucht für den SPIEGEL unter anderem im Trash-TV-Sumpf nach kulturellem Katzengold. In ihrer Magisterarbeit erklärte sie, warum »Buffy the Vampire Slayer« eine sehr ausführliche Verfilmung der aristotelischen Argumentationstheorie ist. Sie glaubt: »Everything bad is good for you« – und dass auch »Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!« tieferen Erkenntnisgewinn liefern kann. Ihr Buch über ihre Liebe zu Take That erschien als Teil der Musikbibliothek bei Kiepenheuer und Witsch.