Serien-Meisterwerk "Devs"
An die Grenzen des menschlichen Verstands
Faszinierende und herausfordernde TV-Serien wie diese sind selten: Sci-Fi-Spezialist Alex Garland erzählt in "Devs" von den Möglichkeiten, die Quantencomputer der Menschheit bieten. Und von den Gefahren.
In "Devs" macht sich Lily (Sonoya Mizuno) auf die Suche nach ihrem Freund - und entdeckt eine Welt, die alles bisher Dagewesene auf den Kopf stellt
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So sieht jemand aus, der gerade eine Welt erblickt, die alles bisher Bekannte umstürzt. Sergei schießen Tränen in die aufgerissenen Augen, er zittert am ganzen Körper. Der junge Programmierer blickt auf eine lange Zahlenreihe auf einem Bildschirm, aber für ihn tritt daraus eine Zukunft mit unvorstellbaren Möglichkeiten hervor.
Ein Code, der an die Grenzen des menschlichen Verstandes führt. Eine Serie, die den Zuschauer dorthin mitnimmt: "Devs" ist ein Kunstwerk, wie es das Genre der TV-Serie bisher nur selten hervorgebracht hat. Ein Fiebertraum, ein Quanten-Melodram, eine Meditation über die Beschaffenheit des Universums zugleich. Vor allem aber: eine spannende, mitreißende Geschichte über Menschen, Macht und die Verheißungen neuer Technologien. Und ihre Risiken.
Katie (Alison Pill) hat den geheimnisvollen Quantencomputer in "Devs" entwickelt. Aber was hat sie damit vor?
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Autor, Regisseur und Produzent Alex Garland erzählt eigentlich von Verlust: Die Softwareentwicklerin Lily (Sonoya Mizuno) sucht ihren Freund Sergei (Karl Glusman), der spurlos verschwunden ist. Und das nach einem alles andere als alltäglichen Arbeitstag: Sergei hatte seinen ersten Einsatz in einer geheimnisumwitterten Abteilung des Softwarekonzerns Amaya, für den Lily und Sergei arbeiten.
In dieser "Devs" genannten Abteilung - der Name ist eine Abkürzung für Developments, also Entwicklungen - wird gerüchteweise mit einem Quantencomputer experimentiert. Woran genau der Amaya-CEO Forest (Nick Offerman) in einem entlegenen und durch diverse Sicherheitsschranken gesicherten Gebäude arbeitet, weiß jedoch nur eine Handvoll Menschen.
Bei ihren Nachforschungen zu Sergeis Verschwinden findet Lily heraus, dass ihr Freund ein russischer Spion war und seinem Kontakt darüber berichten wollte, was in "Devs" vor sich geht. Forest, der ebenfalls von einer traumatischen Verlusterfahrung gezeichnet ist - er verlor Frau und Tochter bei einem Autounfall - unterstützt Lily zunächst bei ihrer Suche. Aber bald wird immer deutlicher, dass er etwas zu verbergen hat. Mit seinem rücksichtslosen Sicherheitschef Kenton (Zach Grenier) verfügt er über ein äußerst effektives Werkzeug, um Geheimnisse zu bewahren.
Der Brite Alex Garland, 50, ist Mitte der Neunzigerjahre als eine äußerst illusionslose Stimme der damaligen Generation X und als Autor des Romans "The Beach" bekannt geworden. Dessen Verfilmung machte Leonardo DiCaprio endgültig zum Weltstar. Inzwischen hat Garland sich zu einem der bedeutendsten Autorenfilmer im Bereich der Science-Fiction entwickelt. Seine Filme "Ex Machina" und "Auslöschung" gelten als Meilensteine des Genres.
In "Devs" wird deutlich, was für eine starke, wiedererkennbare Handschrift Garland inzwischen entwickelt hat. Natur und Technik stehen erneut unmittelbar nebeneinander. Der Tech-Guru Forest lässt wie der Robotikexperte aus "Ex Machina" die futuristischen Gebäude seines Konzerns mitten in einen Wald bauen, so als müsse er sich selbst seiner Wurzeln vergewissern. Das sieht fantastisch aus, betont aber eher einen Gegensatz als eine Fusion.
Die Bilder wirken in "Devs" noch stärker als in Garlands früheren Filmen wie mit Stahlwolle ausgeputzt, klar und clean, kurz vor dem Punkt, an dem sie in Künstlichkeit kippen würden. San Francisco wird vor der Linse von Garlands Stammkameramann Rob Hardy zu einer entrückten Metropole der Techträume, sie sieht aus wie mit flüssigem Metall übergossen, unwirklich und hyperreal zugleich.
Auch Stewart (Stephen McKinley Henderson) arbeitet in "Devs" - und erschrickt dann doch, als die Stimme von Jesus aus dem Rechner ertönt
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Deutlicher denn je sind die Anklänge an Stanley Kubricks Klassiker "2001 - Odyssee im Weltraum", "Devs" kann schon fast als Hommage gelesen werden. Im Hintergrund rauschen aber auch aktuelle TV-Serien wie "Dark" und "Westworld", die sich mit ähnlich komplexen techno-philosophischen Fragen beschäftigen.
Was an "Devs" wirklich begeistert: Garland macht seinen Achtteiler mit der Anwendung einer weitgehend konventionellen Seriendramaturgie ganz bewusst zugänglich für ein Massenpublikum. Er baut Spannung auf und Ironie ein, er spielt mit den Möglichkeiten, die Cliffhanger und Episodenstruktur bieten. Eine schwierige Balance, die er durchhält und die aus "Devs" ein organisches Ganzes macht.
Vor allem deshalb, weil die Serie dadurch Grenzbereiche des menschlichen Erkenntnisdrangs und Vorstellungsvermögens in dramatischer Form greifbar macht. In "Devs" geht es um Quantenmechanik und den Gegensatz zwischen Determinismus und Viele-Welten-Theorie. Um die Frage, ob unser Handeln allein durch Ursache und Wirkung bestimmt wird - oder ob es in beinahe unendlich vielen Kopien unserer Welt beinahe unendlich viele Varianten dieses Handelns gibt.
Vor allem aber fragt Garland, was eigentlich geschieht, wenn die Menschheit Technologien entwickelt, deren Wirkung sie nicht absehen kann und nicht versteht? Wenn Menschen sich anmaßen, hochkomplexe Maschinen zu durchschauen, ohne sich ihrer eigenen Gefühle im Klaren zu sein?
Mit dem israelischen Historiker Yuval Harari gesprochen: Öffnet der Mensch eine Büchse der Pandora, wenn er sich zum Homo Deus erhebt? Leitet er seinen eigenen Untergang ein, wenn er Gott spielt?
Alex Garland gibt mit "Devs" auf diese vielen Fragen beunruhigende und vieldeutige, aber überraschend konkrete Antworten. Seine meisterliche Serie ist philosophisches Traktat, sinnliches Erlebnis und spannende Science-Fiction.
Acht Episoden, wöchentliche Ausstrahlungsweise. Auf Sky.