Fotostrecke

Gesprächsformat: Tuttifrutti im Altenheim

Foto: Daniel Bremehr/ NDR

"Die Geschichte eines Abends" mit Olli Schulz Auf einen Eierlikör in der Endstation

Olli Schulz trinkt Alkohol im Seniorenheim, doch Ausschweifungen bleiben aus: Für "Die Geschichte eines Abends" zeigt er sich sympathisch unsicher - und dringt doch zum Wesentlichen vor.

Man sieht es an der Art, wie er im Oberbauchbereich an seinem Hemd herumprokelt. Wie er anfangs mehr tastet als fragt und dann trotzdem versehentlich "Krücke" statt "Gehhilfe" sagt: Musiker und Moderator Olli Schulz ist zu Besuch in einer Hamburger Seniorenresidenz, und er hat Respekt, womöglich auch ein bisschen Bammel vor diesem Ort.

"Ein bisschen fahrig" sei er, findet Frau Stark, 91 Jahre alt. Für "Die Geschichte eines Abends", die NDR-Gesprächssendung, die eben keine Talkshow ist, verbringt Schulz hier den Abend mit vier Bewohnern und Bewohnerinnen. Sie sprechen über Schwabbelärmchen und den Tod und über das Leben von früher, das "einfacher, aber nicht besser" gewesen sei.

"Die Geschichte eines Abends" ist ein erstaunlich gestaltwandlerisches Format. In loser Folge hatte es zuerst Dirk Stermann moderiert, zuletzt rührte Charlotte Roche bei ihren Gästen in einer Hütte im dunklen Wald im sonst luftdicht eingeweckten Gefühls-Eingemachten, und Lars Eidinger führte unter anderem Juso-Chef Kevin Kühnert und Schlagerstar Stefanie Hertel zusammen, um mit ihnen über Selbst- und Fremdbilder zu reden. Bislang trafen nämlich immer Prominente aufeinander, zusammengemantscht wie ein Resteessen, das überraschend gut schmeckt, aber nicht nachkochbar sein wird, weil man so etwas nicht wirklich nach Rezept produzieren kann.

Welcher Ton ist der richtige?

Olli Schulz hat sich gewünscht, fremde, alte Menschen zu treffen. Die ersten neun Jahre seines Lebens wuchs er bei seinen Urgroßeltern auf, weil seine Mutter sehr jung war, als er auf die Welt kam. Trotzdem ist ihm deutlich anzumerken, dass er erst einmal in seiner Tonalitätsschublade kramen muss, um die richtige Ansprache für Frau Stark, Herrn Reimer (97), Frau Friedmann (81) und Herrn Zielke (97) zu finden. Dass er unsicher ist, ob es eine gute Idee ist, hier sein Lied über einen unfreiwillig mitgeschwitzen Seniorentag in der Sauna zu singen.

Fotostrecke

Gesprächsformat: Tuttifrutti im Altenheim

Foto: Daniel Bremehr/ NDR

Nach ein paar Stunden fragt er zwei Frauen vom Pflegepersonal: Ist es okay, mit seiner Runde über das Sterben zu sprechen? Während er noch durch die Themen tappst, sind seine Gäste direkter. "Im Grunde ist das hier eine Wartestation", sagt Frau Stark, "eine Endstation, so isses doch. Aber es ist eine schöne Endstation."

Es sind vorsichtige Gespräche, denen man hier zuhören kann, und die gerade durch die spürbare Wackligkeit des Moderators gewinnen, der die Augenhöhe zu den anderen eben erst ausloten muss, der auch nicht so richtig weiß, was er sagen soll, wenn der ehemalige Tischler Herr Zielke erzählt, wie er als Teil seines Berufes einmal dabei war, als eine Mutter ihrer 19-jährigen, toten Tochter im Sarg noch einmal die Haare kämmte: "Und dann steckt sie den Kamm unter das Kopfkissen, dieses Bild werde ich nie mehr los." Was kann, was soll man da auch sagen?

Keine ranschmiererische Leutseligkeit

Die besten Momente der "Geschichte eines Abends" waren auch in vorangegangenen Folgen immer jene, in denen das Gespräch im Fernsehen denselben Dynamiken folgte, wie ein Gespräch im normalen Leben. Manche Momente bleiben darum auch unkommentiert - etwa, wenn Herr Reimers von seiner Chemotherapie gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs erzählt, die er vergangenes Jahr dann doch abgebrochen hat, und von seinen Waldspaziergängen, bei denen er sich auf eine Bank setzt, den Pflanzen beim Wachsen zusieht und dann keine Angst mehr hat. Und Schulz' Gesprächspartner bleiben "Herr" und "Frau", ohne die schwitzig-ranschmiererische Leutseligkeit, mit der alte Menschen im Fernsehen oft wie Kinder behandelt werden.

Wirklich interessant wird es, als die Senioren und Seniorinnen beim Eierlikör-Absacker anfangen, selbst Fragen zu stellen und mit Olli Schulz über seine gescheiterte Ehe zu reden - ebenfalls vorsichtig, genauso tastend.

Von dieser Rollenumkehr hätte man gern noch etwas mehr gesehen, weil hier die Produktionsbedingungen einer solchen Sendung so schön verwischen. Und es schließlich tatsächlich egal ist, ob sich hier prominente oder unprominente Menschen unterhalten.


"Die Geschichte eines Abends", Freitag, 0 Uhr, NDR. Auch in der Mediathek abrufbar

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren