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Krimiserie: Versehrte Seelen

Foto: ZDF/ Alexander Fischerkoesen

ZDF-Serie "Die Protokollantin" Iris Berben verführt zum Binge-Watching

Rotwein trinken, Katze streicheln, in Abgründe schauen: Iris Berben entwickelt in der Titelrolle der ZDF-Produktion "Die Protokollantin" beachtliche Intensität. Ein Highlight des Serienherbstes.

Ihm sei doch nur "die Hand ausgerutscht", wimmert im Polizeiverhör der Mann, der seine Freundin totgeprügelt hat. Dass er viel zu spät einen Notruf absetzte, erklärt er damit, dass er die Bewusstlose "nicht wecken" wollte, es habe ausgesehen, "wie wenn die schläft". Schwer zu ertragen, wie sich der schwitzende Hüne in Selbstmitleid ergeht - aber das ist Berufsalltag für die Berliner Kripo-Protokollantin Freya Becker ( Iris Berben). Mit stoischer Miene klappert sie die Einlassungen des Straftäters in die Tastatur, bis der verhörende Beamte eine Pause anordnet.

Die unscheinbare, in sich gekehrte Stenotypistin kennt menschliche Abgründe indes nicht nur vom Mitschreiben: Vor elf Jahren verschwand ihre Tochter Marie, als sie gegen einen Zuhälterring aussagen wollte; ihr Mann nahm sich deshalb das Leben. Seither erzählt Freya Becker vor allem ihrem Kater, wie ihr Tag war, abends bei einem Glas Rotwein. Oft erscheint ihr auch die Tochter, scheint leibhaftig im Raum zu stehen, sich im Bett an sie zu schmiegen, zu ihr zu sprechen. Doch so sehr die Eigenbrötlerin in ihrer eigenen Welt lebt, so falsch wäre der Eindruck, sie sei eine stille Leidende.

Spätestens, als sie sich bei den Kollegen für einen Arzttermin abmeldet, stattdessen aber eine Gerichtsverhandlung besucht, muss der Zuschauer ahnen, dass sie eine eigene Agenda hat. Und wenn sie dann einen aus Mangel an Beweisen freigesprochenen Sexualstraftäter, von dessen Schuld sie überzeugt ist, zu beschatten anfängt, sieht das gar nicht nach verhuschter Schreibkraft aus. Eher schon nach "schwarzer Witwe".

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Krimiserie: Versehrte Seelen

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Allein mit dieser Protagonistin - einer höchst ambivalenten Frau in einem trotz Krimi-Boom bislang kaum ausgeleuchteten Beruf - hat Autorin und Regisseurin Nina Grosse die Grundlage für eine außergewöhnliche Serie geschaffen. Vier Jahre hat sie daran gearbeitet und nach einer Idee von Friedrich Ani das Drehbuch geschrieben; die Inszenierung teilt sie sich mit Samira Radsi ("Deutschland 83"). Und die einstige "Rosa Roth"-Kommissarin Berben, 68, nimmt die Herausforderung der Charakterrolle souverän an. Dennoch könnte der von ihrem Sohn Oliver Berben produzierte Fünfteiler am Ende der Auftaktfolge auch auf dem Niveau gehobener Konfektionsware erstarren.

Von "Babylon Berlin" zur "Protokollantin"

Grosses entscheidender dramaturgischer Schachzug ist es, dass in der zweiten Folge ein neuer Chef seinen Dienst in der Mordkommission antritt - und dass er vom großen Peter Kurth gespielt wird. Sein Henry Silowski bringt frischen Wind ins düstere Dezernat. Kurth, derzeit in "Babylon Berlin" als rechtslastiger "Bad Cop" in den Zwanzigerjahren zu sehen, gibt hier mit Meisterschaft den "Good Cop" - einen gleichermaßen massigen wie sensiblen Bullen.

Als der mutmaßliche Vergewaltiger, der vom Gericht freigesprochen wurde, spurlos verschwindet und die Umstände auf ein Gewaltverbrechen hindeuten, beginnt er mit Elan zu ermitteln. Er lässt ungelöste alte Fälle wieder aufrollen und kommt dem Geheimnis Freya Beckers so nahe, dass er es eigentlich entschlüsseln müsste …- würde er sich nicht in sie verlieben.

Die scheue Romanze dieser vom Leben gezeichneten Menschen löst im Zuschauer widerstreitende Gefühle aus: Man wünscht ja der Gerechtigkeit den Sieg, kann aber Selbstjustiz nicht gutheißen, man gönnt Silowski einen Fahndungserfolg, aber auch den beiden eine späte Liebe. Dieses Dilemma entfacht einen Sog, wie er "Babylon Berlin" bei allen Schauwerten abgeht. Während dort die Figuren nur nebeneinanderher existieren, lösen sie hier Anteilnahme aus.

Schön widersprüchlich schillert auch ein weiterer wichtiger Charakter: Freya Beckers jüngerer Bruder Jo (Moritz Bleibtreu), Betreiber eines Edelrestaurants und manisch-besorgter Familienvater, der allerdings seine Verwurzelung im Halbweltmilieu nicht verbergen kann. Brillant, wie die Brüchigkeit seiner bürgerlichen Fassade in jeder Szene durchscheint; stimmig, dass er geschäftlich mit einem Escort-Service verbandelt ist und auch mit Maries Schicksal auf tragische Weise verbunden.

Im linearen ZDF-Programm soll "Die Protokollantin" den Samstagabend-Slot um 21.45 Uhr als Sendeplatz für "hochwertiges Erzählfernsehen aus Deutschland" etablieren, so die Verantwortlichen. Für serienaffine Zuschauer, die in diesem Herbst mit einer wahren Boom von Highend-Produktionen konfrontiert sind, dürfte die Information interessanter sein, dass alle Folgen von jetzt an 180 Tage in der Mediathek zur Verfügung stehen. Die fünf mal 60 Minuten sind genau die richtige Länge für die erzählte Stoffmenge - ab Folge zwei setzt ein starkes Binge-Watching-Bedürfnis ein, das so gestillt werden kann.

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