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Die Mischung von historischen Tatsachen und erfundenen Begebenheiten ist ein faszinierendes, aber auch anfälliges Mittel der Erzählkunst. Ein solches Zusammenspiel kann nur mit großer Glaubhaftigkeit funktionieren. Die Kunst des Films liegt in solchen Fällen darin, Bilder zu finden, die eine Illusion potenzieren und mit dem Möglichen in Einklang bringen. Der Netflix-Produktion "Die zwei Päpste" gelingt beides.
Der Schriftsteller und Drehbuchautor Anthony McCarten hatte schon für "Die dunkelste Stunde" (2018) über die Bedeutung Winston Churchills als britischer Premierminister während des Kriegs spekuliert. In "Die zwei Päpste" erzählt er nun die Geschichte einer angeblichen Begegnung von Papst Benedikt mit dem späteren Papst Franziskus im Jahr 2012, die nie stattfand. Die beiden trafen sich tatsächlich erst ein Jahr später, aber da war Benedikt schon zurückgetreten und Franziskus neuer Papst.
In fein komponierten Bildern und mit den beiden brillanten Hauptdarstellern Anthony Hopkins und Jonathan Pryce setzt Fernando Meirelles ("City of God", 2002) diese ausgedachte Geschichte mit wahren Figuren um. Gemeinsam finden sie einen emotionalen und zugleich witzig-spielerischen Zugang zu den beiden Kirchenmännern.
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Der argentinische Kardinal Bergoglio (Pryce) reist 2012 in die Sommerresidenz des Papsts (Hopkins), um ein bislang ignoriertes Rücktrittsgesuch persönlich einzureichen. Der lebensnahe, freundliche Geistliche will wieder als Gemeindepfarrer arbeiten. Doch Benedikt lehnt das Ersuchen ab - auch um in der Welt nicht den Anschein zu erwecken, er wolle den modernen, reformbereiten Kardinal ausschalten. Zudem hat er ganz anderes im Sinn: Der beliebte Argentinier soll ihm nachfolgen, denn erstmals seit fast 600 Jahren will mit Benedikt ein Papst noch zu Lebzeiten aus dem Amt scheiden.
Es ist ein intimer Blick, den McCarten und Meirelles auf diese beiden so unterschiedlichen Charaktere wirft. Der freundliche Bergoglio, der im vatikanischen Waschraum schon mal "Dancing Queen" trällert, das Abendessen in die Pizzeria verlegt, für Fußball schwärmt, mit Gärtner und Chauffeur ins Gespräch kommt und wenig Sinn für Etikette und Standesdünkel hat.
Und der misanthrope, erzkonservative und eitle Benedikt, der allein zu essen pflegt, klassische Musik und das Lateinische liebt. Manchmal etwas sehr plakativ setzt Meirelles diese Gegensätze ins Bild: Hier der Prunk von Castel Gandolfo und Petersdom, dort die Lebhaftigkeit einer römischen Bar und der Straßen in der argentinischen Hauptstadt.
Hier ein Papst im weißen Gewand und mit roten Pantoffeln, dort ein Kardinal in schlichter schwarzer Soutane und ungeputzten schwarzen Schnürschuhen. Diese eindringlichen Bilder bestätigen letztlich den Eindruck, den die Öffentlichkeit von den beiden Männern hat.
Wortgefechte über "Kommissar Rex"
Die Stärke des Films liegt - neben den beiden großartigen Hauptdarstellern - in den scharfen und amüsanten Dialogen, die eine unglaubliche Dynamik entwickeln. Voller Respekt liefern sich die beiden Geistlichen Wortgefechte über den Glauben, den Katechismus und Ratzingers Lieblingsserie "Kommissar Rex" - eines der menschelnden und grotesken Details über Benedikt.
Genau davon lebt der gut zweistündige Film, so dass man ihm durchaus für eine längere Zeit die große Leinwand gewünscht hätte (Netflix startete "Die zwei Päpste" Anfang Dezember in einigen deutschen Kinos), um die eindrucksvollen Bilder, die ausdrucksstarken Gesichter von Hopkins (im Original mit herrlich deutschem Akzent) und Pryce auf sich wirken zu lassen.
Die Sympathie der Filmemacher liegt dabei eindeutig bei dem Argentinier. In schwarz-weißen Rückblenden blicken sie auf Bergoglios Entscheidung für das Priesteramt als junger Mann zurück, sein ambivalentes und oftmals kritisiertes Agieren während der Zeit der Junta streifen diese Rückblenden nur kurz. Bei Ratzinger bleiben Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit ganz aus.
Es ist ein wohlwollender Blick, den der Film auf diese mächtigen Männer wirft - selbst auf den in den Bars von Rom und Buenos Aires als "Nazi" bezeichneten Benedikt, der zunehmend weicher, verletzlicher wird und eine erstaunliche Selbstironie an den Tag legt.
Allerdings, und das ist die Schwäche des Films, lässt er brisante Themen wie den massenhaften Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche, den Finanzskandal und Verbindungen zur Mafia nahezu ganz aus.
Der Respekt des Brasilianers vor der katholischen Kirche und ihren weltweit mehr als 1,3 Milliarden Mitgliedern steht an diesen Stellen einem kritischen Blick im Weg. Vielleicht will er die Aufarbeitung der Geschichte auch ganz bewusst anderen überlassen. Erst Anfang November zeichnete zum Beispiel die Doku "Verteidiger des Glaubens" den damaligen Kardinal Josef Ratzinger als erzkonservativen Bewahrer monarchischer Strukturen im Vatikan. "Die zwei Päpste" ist dagegen eine sehr unterhaltsame und durchaus kluge Filmfiktion. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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In dem Spielfilm "Die zwei Päpste", der auf Netflix startet, malt sich Regisseur Fernando Meirelles aus, wie es gewesen wäre, wenn sich Papst Benedikt (Anthony Hopkins, links) und der argentinische Kardinal Bergoglio (Jonathan Pryce) getroffen hätten, bevor der Kardinal als Franziskus zum Papst-Nachfolger wurde.
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Benedikt wird in dem Film als einsamer Misanthrop gezeichnet, der den Kontakt zur Welt verliert.
Ihm ist es wichtig, den Vatikan als Zentrum der religiösen Ordnung zu erhalten - Pomp eingeschlossen.
Bergoglio dagegen will eine neue Kirche, die sich den Menschen zuwendet und wieder stärker die Nächstenliebe in den Mittelpunkt stellt.
Die beiden Männer sind grundverschieden. Eigentlich will Bergoglio wieder als Gemeindepfarrer arbeiten. Benedikt aber plant schon, ihn als Nachfolger aufzubauen.
Benedikt liebt klassische Musik und Latein, er ist eitel und selbstgefällig.
Bergoglio dagegen ist Fußball-Fan, isst gern in einer Pizzeria und putzt seine Schuhe nicht.
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